Geldpolitik

Vom Wetterleuchten zum inflatorischen Gewitter

Mit dem Aufschwung nach der Covid-Pandemie steigt das Inflationsrisiko. Es ist höchste Zeit für einen geldpolitischen Kurswechsel der EZB.

Vom Wetterleuchten zum inflatorischen Gewitter

Sind die steigenden Inflationszahlen das Wetterleuchten, das ein anrollendes Gewitter ankündigt, oder handelt es sich doch nur um ein vorübergehendes Phänomen, das sich bald nach dem Aufflackern wieder verzieht? Letztere Version wird vor allem von den Notenbankern verbreitet, die in Diensten der amerikanischen oder europäischen Zentralbank stehen. Sie sehen die Inflationsraten, die in der Eurozone im April 1,6 % und in den USA sogar 4,2 % erreichten und im Jahresverlauf vermutlich noch höher steigen werden, als saisonalen Effekt, der vor allem dem Wiederanspringen der Konjunktur nach der Pandemie und den teilweise noch gestörten Lieferketten mit entsprechenden Preissprüngen geschuldet ist. In den Chor der Notenbanker stimmen auch die meisten Volkswirte der Forschungsinstitute und Banken ein, die auf „transi­tory factors“ verweisen, mit denen man in Gestalt von statistischen Basiseffekten und Nachfrageeffekten gerechnet habe. Insgesamt kein Grund zur Aufregung, so der Tenor der an den fundamentalen Daten orientierten Ökonomen, die umgekehrt den Märkten wie auch manchen Medien Alarmismus unterstellen.

Nun, ganz so einfach sollte man es sich nicht machen, denn die Märkte handeln Zukunft und in der deutlichen Reaktion der Staatsanleihenrenditen wie auch der Aktienkurse spiegelt sich mangelndes Vertrauen der Investoren in die Fähigkeit – oder mehr noch: den Willen – der US-Fed wie auch der EZB, die aktuell hochschießende Inflation und deren denkbare Folgen tatsächlich in den Griff zu bekommen. Während aber die USA und die Fed in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie bei Bedarf schnell reagieren und mit Zinsänderungen das Ruder herumreißen können, steht eine solche Bewährungsprobe für die EZB noch aus. Denn die Fed muss und wird keine Rücksicht darauf nehmen, ob beispielsweise ein für nötig gehaltenes Tapering einzelnen US-Bundesstaaten in die Finanzplanung passt. Doch der EZB sind die Hände gebunden, wenn einzelne hochverschuldete Euro-Länder mit ihrer Pleite drohen. Die Staatsschulden- und die Euro-Krise haben gezeigt, wie politisch erpressbar die Euro-Notenbank ist und dass sie sich zur Not über ihr Mandat hinaus für politische Zwecke wie die monetäre Staatsfinanzierung einspannen lässt.

Inflationsgefahr kleingeredet

Es sind nicht allein die Akteure an den Märkten, die Inflationsrisiken antizipieren und einpreisen, es sind auch Politiker und Unternehmer, die sich um die Stabilität der Preise und damit der Wirtschaft Sorgen machen. Denn anders als die Notenbanker tragen die einen die politische Verantwortung und werden von den Wählern abgestraft, und die anderen tragen eine wirtschaftliche Verantwortung und werden von den Märkten sanktioniert. Während inzwischen für jedes Finanzprodukt ein ausführlicher Beipackzettel über die Risiken dieses Produkts informieren muss, das sich der Anleger ja immerhin aus freien Stücken zulegt, müssen die Notenbanken in keiner Weise über die hohen Risiken ihrer Geldpolitik für die Ersparnisse der Bürger informieren. Deshalb ist es geradezu die Pflicht der Medien, der Schönrednerei der Notenbanker eine kritische Betrachtung ihres Tuns beiseite zu stellen.

Damit sind wir beim Thema: Auf dem Beipackzettel der fortgesetzt ultraexpansiven Geldpolitik der EZB müsste stehen, dass bei gleichzeitig hoher Staatsverschuldung, bei Überhitzungserscheinungen in manchen Branchen und/oder Blasenbildung in einzelnen Assetklassen eine häufige Nebenwirkung das Ausbrechen von Inflation mit der Folge von Vermögenseinbußen für Sparer sein kann, als gelegentliche Nebenwirkung Ausfälle von Schuldnern und steigende Konkurse zu beobachten sind und in seltenen Fällen auch ein Kollaps des Finanzsystems vorkommen kann.

Geldmengenlehre

Als wesentliche Voraussetzung für Inflation nennen Ökonomen steigende Löhne und Arbeitskosten sowie das Anziehen der Inflationserwartung auch am langen Ende. Die Krux: Bis diese Entwicklungen statistisch festgestellt werden, ist es für eine wirkungsvolle Inflationsbekämpfung meist schon zu spät und die Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung wirken dann prozyklisch, also krisenverschärfend.

Man erinnere sich an die 1970er Jahre, als nach der von der Opec ausgelösten Ölkrise, die ökonomisch betrachtet ein ähnlicher externer Schock war wie jetzt die Pandemie, der geldpolitisch viel zu spät bekämpfte Preisschub Inflationsraten von mehr als 20% in Japan und Großbritannien zeitigte und selbst in der stabilitätsorientierten Bundesrepublik eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kam mit der Folge einer Stagflation. Warum soll sich eine solche Entwicklung nicht wiederholen können? Insbesondere der selbst von Ökonomen verbreitete Irrglaube, dass die Geldmenge ihre Wirkung auf die Inflation verloren habe, ist gefährlich. Zwar hat das seit Jahren fortwährende faktische Gelddrucken der Notenbanken bisher nicht zu Inflation geführt – im Gegenteil sorgte man sich zeitweise über Deflationsgefahren. Doch ist der Grund hierfür, dass dieses Geld der EZB aus dem Ankauf der Staatsanleihen über den Sekundärmarkt nie wirklich in den Wirtschaftskreislauf kam, sondern von den Banken gehortet beziehungsweise wieder bei der EZB geparkt wurde und wird.

Fiskalischer Katalysator

Dieser vermeintlich nicht gefährliche, weil bei der EZB geparkte Geldüberhang, so argumentiert beispielsweise der frühere Ifo-Chef Hans-Werner Sinn, dürfte beim Aufschwung nach der Covid-Pandemie von den Banken zur Giralgeldschöpfung genutzt werden, um die Billionen schweren Investitionsprogramme der EU und einzelner EU-Staaten zu finanzieren. Damit würde die ul­traexpansive Geldpolitik mehrerer Jahre mit den fiskalischen Impulsen als Katalysator auf einen Schlag ihre inflatorische Wirkung entfalten. Das harmlose Wetterleuchten würde zum Gewitter mit verheerenden wirtschaftlichen Folgen.

c.doering@boersen-zeitung.de

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