Klimaschutz

Vorsicht vor der Nach­haltig­keits­­illusion

Der gegenwärtige Boom der „grünen Anleihen“ und anderer nachhaltiger Anlageprodukte führt nicht zwangsläufig zu mehr Umwelt- oder Klimaschutz.

Vorsicht vor der Nach­haltig­keits­­illusion

Es vergeht kaum ein Tag ohne Medienberichte oder Veranstaltungen zum Thema nachhaltige Geldanlage. Auch die Nachfrage der Anleger ist riesig, wie die rekordverdächtige Platzierung des ersten „Green Bonds“ der EU-Kommission dieser Tage zeigte. Das ist auch gut so, denn Investitionen zur Förderung der Nachhaltigkeit gehören zu den gesellschaftlich rentabelsten Investitionen, die man sich vorstellen kann. Doch die Kosten der notwendigen Umsteuerung von Wirtschaft und Gesellschaft sind so enorm, dass sie nicht aus den normalen Steuereinnahmen der Staaten beziehungsweise aus Überschüssen gedeckt werden können, die Unternehmen mit ihrer normalen Tätigkeit erzielen. Es liegt auf der Hand, dass hier Mittel über den Kapitalmarkt beschafft werden müssen. Trotzdem lohnt es sich, genauer hinzusehen. Worum geht es bei der Diskussion um „Green Bonds“ und sind die daran geknüpften Erwartungen gerechtfertigt?

Ein zentraler Punkt der aktuellen Diskussion ist die Frage, welche Kapitalmarkttitel als „grün“ oder nachhaltig ausgegeben werden dürfen. Um „Greenwashing“ zu verhindern, braucht es eine effektive Regulierung. Das geht mit Interessenkonflikten einher: Emittenten wünschen sich laxere, Umweltaktivisten strengere Regeln und die Politik versucht, einen fairen Mittelweg zu finden. Eine strenge Auslegung würde die Verwendung des Etiketts nur dann erlauben, wenn der gesamte Ertrag einer Emission für umweltfreundliche oder in anderer Hinsicht gesellschaftlich wertvolle Vorhaben verwendet wird. Das wäre keineswegs leicht umzusetzen und zu kontrollieren. Aber nehmen wir der Einfachheit halber an, diese Regel würde gelten und ihre Einhaltung behördlich überprüft. Wäre damit sichergestellt, dass die Finanzierung durch umweltbewusste Investoren dazu führt, dass die Mittel auch in deren Sinne verwendet werden?

Verfolgt man die öffentliche Diskussion über die Verbindung von Nachhaltigkeit und Kapitalmarkt, könnte man meinen, die Antwort wäre ein klares Ja. Emittenten und weite Teile der Finanzbranche sowie die für die Regulierung zuständigen Akteure scheinen zu glauben, dass eine Milliarde „grüne“ Emissionserlöse zu einer Milliarde mehr an umweltfreundlichen Ausgaben führt. Jedenfalls ist das die Erwartung, mit der Anleger dazu ermuntert werden, grüne Anleihen zu kaufen.

Leider ist diese Einschätzung nicht richtig. Was wird übersehen, wenn „grüne Finanzierung“ gleichgesetzt wird mit umwelt- und klimafreundlichen Ausgaben? Betrachten wir als Beispiel die umweltbewusste Regierung eines fiktiven kleinen Landes: Sie hatte schon länger geplant, in den kommenden Jahren zehn Milliarden für Umweltprojekte auszugeben, und sogar eine Liste von entsprechenden Vorhaben erarbeitet. Nun emittiert sie eine Umweltanleihe mit einem Volumen von fünf Milliarden. Werden die fünf Milliarden wirklich für Umweltprojekte verwendet?

Neugierigen Journalisten und den Inspektoren der Anti-Greenwashing-Behörde zeigt man voller Stolz umweltrelevante Projekte im Umfang von fünf Milliarden, die aus der Umweltanleihe finanziert werden sollen. Das führt zu wohlwollenden Berichten, da ja der gesamte Emissionserlös für wirklich gute Projekte verwendet werden soll.

Können also alle zufrieden sein? Natürlich nicht, denn die vorgezeigten Vorhaben stammen von der Liste der ohnehin geplanten Umweltprojekte. Damit hat sich der Gesamtumfang der Umweltprojekte nicht erhöht, nur deren Finanzierungsquelle. Der Nettoeffekt ist null.

Um den Effekt einer Umweltanleihe zu beurteilen, kommt es nicht darauf an, ob den Einnahmen zweckgebundene Ausgaben zugeordnet werden können. Ausschlaggebend ist allein, ob daraus ein Mehr an zweckgebundenen Ausgaben resultiert. Bedauerlicherweise lässt sich das in der Regel gar nicht überprüfen. Um abzuschätzen, wie hoch die durch die Umweltanleihe ausgelösten Mehrausgaben sind, müsste man wissen, welche Projekte auch ohne deren Emissionserlös umgesetzt worden wären. Doch Pläne und Wunschlisten kann man selten verlässlich unterscheiden.

Dahinter steckt ein allgemeines Zurechnungsproblem: Alle Einnahmen eines Staates, einer großen Bank oder eines anderen Unternehmens finanzieren alle Ausgaben. Wer diese bilanztheoretische und haushaltsrechtliche Grundregel übersieht, unterliegt einer Illusion. Das bedeutet nicht, dass es keine Gesichtspunkte gibt, anhand deren man beurteilen könnte, ob es dem Umweltschutz förderlich ist, Umweltanleihen eines Landes, einer Bank oder eines Unternehmens zu kaufen. Das ausschlaggebende Kriterium muss jedoch sein, ob der betreffende Emittent generell eine umweltfreundliche oder sozial ausgewogene Politik verfolgt. Ist das der Fall, ist die Unterstützung seiner Aktivitäten ratsam – nur hat dies wenig damit zu tun, welche Projekte er mit dem Emissionserlös zu finanzieren vorgibt.

Dass sich der Effekt zweckgebundener Finanzierungsmaßnahmen faktisch nicht abschätzen lässt, ist übrigens nicht neu. Schon vor Jahren stellte die Bundesregierung über die KfW einer großen Bank in einem südamerikanischen Land 20 Mill. DM zur Verfügung, mit denen ausschließlich Kredite an von Frauen geführte Kleinunternehmen refinanziert werden sollten. Als der Nachweis erbracht war, dass die Kreditlinie tatsächlich ausschließlich zu diesem Zweck genutzt wurde, galt das Projekt als Erfolg. Niemand fragte nach, ob diese Geschäftsfrauen nicht ohnehin Kredite bekommen hätten. Genau das war aber der Fall: Die lokale Bank war so groß, dass sie ohne Schwierigkeiten aus den vielen von ihr positiv beurteilten Kreditanträgen eine Liste von Darlehen an Geschäftsfrauen über zusammen 20 Mill. DM zusammenstellen und der KfW übermitteln konnte. Die Möglichkeit, Endkredite einer ausländischen Kreditlinie zuzuordnen, bedeutete daher auch in diesem Fall nicht, dass auch nur ein Cent mehr für den gewünschten Zweck ausgegeben wurde.

Professor Reinhard H. Schmidt ist Seniorprofessor am House of Finance der Frankfurter Goethe-Universität. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.

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