Notiert inSchanghai

Wo ist die nächste Blüte?

Schanghaier erfahren eine nostalgiegetriebene Vitalisierungsspritze sondergleichen. Sie werden mit einem Schlag in die frühen neunziger Jahre versetzt, als Chinas Wirtschaftswunder begann und alles möglich schien.

Wo ist die nächste Blüte?

Notiert in Schanghai

Wo ist die nächste Blüte?

Von Norbert Hellmann

Schanghai präsentiert sich in den Wintermonaten auf ziemlich ekelhaft feuchtkalte Weise und ist im Januar für Promenaden eher ungeeignet. Nun allerdings hat eine Fernsehserie des auch international bekannten Hongkonger Regisseurs Wong Kar-wai den Einheimischen auf eine Art und Weise Herz und Seele gewärmt, dass sie gar nicht mehr anders können, als in Heerscharen auf Flanier-Exkursion zu gehen und sich im Nostalgierausch die Hacken abzulaufen.

Auch von auswärts kommen Massen an Touristen, um wie beseelt die wichtigsten Schauplätze der Filmhandlung als „City Walk“ zu erwandern. Es sind nicht die Sehenswürdigkeiten per se, die zum Aufbruch animieren, sondern es ist der Drang, eine Atmosphäre zu erleben und erschnuppern, die durch die Filmserie „Fan Hua“ (Blossoms Shanghai) auf ein Neues greifbar und erlebbar geworden zu sein scheint.

Schanghai kennt die Magnolie als Stadtwappenblume, aber im Film „Blossoms Shanghai“ geht es etwas unbotanischer um eine Blütezeit und Aufbruchsstimmung, die in den frühen neunziger Jahren in Schanghai ihren Anfang genommen hat und damit zumindest den gefühlten Startschuss für 30 Jahre des Wirtschaftswunders in China setzte.  

„Blossoms Shanghai“ lief am 27. Dezember an, am Freitag wurde die letzte Folge gezeigt. Ergo gab es am Wochenende kein Halten mehr. Auf Huanghe Road, einer ziemlich heruntergekommenen und bis vor kurzem leblosen Straße im Herzen der Stadt, trauen die schläfrigen Anwohner ihren Augen nicht. Es sind Menschenmassen in Fußballstadionquantität unterwegs. Sie haben es insbesondere auf einen Filmschauplatz, nämlich ein Restaurant namens Tai Sheng Yuan als Objekt der Nostalgiebegierde abgesehen.

Das Restaurant ist das einzige Überbleibsel der damals legendären Gastronomieszene in der Huanghe Road. Wer dort saß und aß, war mit dabei. Die Straße wurde zum Meer von grellen Leuchtreklamen im Stile Hongkongs und zum Synonym für pralles Vergnügen.

Andere Höhepunkte des Blossoms-Trek sind freilich auch heute noch en vogue, zum Beispiel das Fairmont Peace Hotel auf der Prunkstraße Nanjing East Road. Dort müssen nun erstmals Wachen vor den Eingängen stehen, um zu verhindern, dass neugierige Besucherhorden den gewöhnlichen Hotelbetrieb stören. Zum Trost kann man sich vor den Eingängen mit neu angebrachten riesigen Filmplakaten satt fotografieren. Theoretisch kann man auch die im Film gezeigte „British Suite“ buchen. Man stößt dabei allerdings trotz Übernachtungspreis von umgerechnet 2.500 Euro auf eine bereits hoffnungslos angeschwollene Reservierungsliste.

Regisseur Wong Kar-wai ist tatsächlich in Schanghai geboren, aber bereits in früher Kindheit nach Hongkong gezogen. Nun hat er ein Zugehörigkeitsgefühl zu Schanghai auf eine Art und Weise zu filmischen Leben erweckt, die in der eher kümmerlichen Filmkultur des Festlands neue Maßstäbe in Sachen atmosphärischer Dichte und Authentizität setzt.

Die Filmstory verfolgt den Weg eines jungen Mannes, der von einem Mentor in die Geheimnisse des in nach vierzigjähriger Unterbrechung in Schanghai wieder neu erwachten Aktienhandels eingeführt wird. Er bringt es tatsächlich zum Millionär und erlebt wilde Zeiten in der brandneuen Neureichenszene. Als anständiger Kerl scheitert er aber letztlich in der rüden Finanzmarktszene und verliert seine Millionen wieder.

Zum Schlusspunkt der schönen Parabel zieht sich der Protagonist auf ein spottbillig erworbenes Grundstück am Rande des Stadtteils Pudong zurück. Wo damals nur Felder waren, sind heute Hochhausschluchten. Er pflanzt dort Blumen als Symbol für bescheideneres Glück. Das Grundstück liegt in einem besonders entlegenen Teil von Pudong, der sich Chuansha nennt. So kommt es zum angedeuteten Happy End. In Chuansha befindet sich heute der Themenpark Shanghai Disneyland. Das Grundstück ist also zwangsläufig eine neue Millionengrube.

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