Ziemlich beste Feinde
Ziemlich beste Feinde
Notiert in Brüssel
Ziemlich beste Feinde
Von Detlef Fechtner
Zu den größten Lebenslügen der deutschen Sprache zählt „Der Scheck ist in der Post“ und „Der beißt nicht“. Aber es kommen auch immer wieder neue hinzu. Beispielsweise die oft zu hörende Floskel: „Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben nur ein Umsetzungsproblem.“ Na also, wenn das mal so stimmt.
In Brüssel ist gerade zu beobachten, dass die vermeintlich gemeinsame Erkenntnis, dass die EU dringend bürokratische Anforderungen abbauen muss, um den Verwaltungsaufwand für Unternehmen und Bürger wieder auf ein erträgliches Maß zurückzufahren, tatsächlich nur in sehr allgemeiner Formulierung von allen geteilt und unterstützt wird. Sobald sich die Diskussion jedoch „from rhetorics to specifics“ bewegt, werden schnell erhebliche Meinungsdifferenzen offensichtlich.
In dieser Woche hat das EU-Parlament dem „Omnibus I“ zugestimmt, also spürbaren Erleichterungen und weitreichenden Ausnahmen bei CSRD und CSDDD, bei Umwelt- und Sozialberichterstattung und Lieferkettensorgfalt. Eigentlich war es ja erklärtes Ziel, dass die Parteien der Mitte – also die politischen Familien der Christ- und Sozialdemokraten sowie von Grünen und Liberalen – sich auf einen Kompromiss verständigen und diese gemeinsame Position beschließen. Genau das ist krachend gescheitert. Die Christdemokraten beklagen, dass die Sozialdemokraten „die vereinbarte Linie der Mitte verlassen haben“. Die gescholtenen Sozialdemokraten wiederum beanstanden, dass sich die Christdemokraten „mit rechtsextremen Parteien zusammengeschlossen“ haben. Die Einen maulen über den mangelnde Entschlossenheit der anderen, Bürokratie abzubauen. Die anderen keilen zurück, indem sie von Verwässerung statt Vereinfachung sprechen und den Konservativen Tabubruch vorwerfen: „Die Brandmauer fällt“.
Die neue Feindseligkeit zwischen den Parteien der Mitte ist umso unverständlicher, als sich doch gerade erst vor wenigen Tagen die vier Parteien erfolgreich in Einmütigkeit gezeigt hatten. Denn mit einem gemeinsamen Schreiben an die EU-Kommissionspräsidentin erreichten sie tatsächlich, dass sich Ursula von der Leyen genötigt sah, ihre Pläne für die langfristige Haushaltsplanung der EU für 2028 bis 2034 in zentralen Punkten zu korrigieren. Das Quartett hatte also erst kürzlich das positive Erlebnis, dass es sich lohnt, gemeinsam vorzugehen.
Nach der Omnibus-Abstimmung jedoch ist die Stimmung im Keller. Man kann von der Leyen nur die Daumen drücken, dass es nun nicht so schnell zu einem neuen Misstrauensvotum gegen sie kommt. Denn langsam klingen die Drohungen von Sozialdemokraten und Grünen, irgendwann von der Nuklearoption Gebrauch zu machen und der Kommissionschefin das Vertrauen zu entziehen, durchaus ernst gemeint. Mario Draghi jedenfalls ist gut beraten, vorerst auf ausgedehnte Reisen zu verzichten. Denn es ist zumindest nicht auszuschließen, dass der Italiener demnächst als Backstop-Lösung gebraucht wird.
