Mindestlohnbericht

Mindestlöhne in Europa steigen nur langsam

Dem Mindestlohnbericht des WSI zufolge besteht in der EU noch viel Handlungsbedarf. Das Gefälle zwischen den Ländern ist groß. Und auch die Bundesrepublik könnte besser dastehen.

Mindestlöhne in Europa steigen nur langsam

ast Frankfurt

Die Mindestlöhne sind in der Europäischen Union nur schwach gestiegen. In den 21 Ländern, die über eine Lohnuntergrenze verfügen, stiegen die Löhne zum Beginn des neuen Jahres um 3,1%. Nach Abzug der Inflation bleibt noch ein Zuwachs von 1,6% übrig. Das hat der diesjährige Mindestlohnbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ergeben. Die Wissenschaftler vermerken auch, dass die Mindestlohninitiative der EU-Kommission in der Coronakrise umso wichtiger sei.

Vor ihrer Wahl zur Kommissionspräsidentin hatte Ursula von der Leyen (CDU) ein Versprechen gegeben. In ihrer Amtszeit wolle sie sicherstellen, dass „jeder Arbeitnehmer in unserer Union einen gerechten Mindestlohn erhält“. Inzwischen gibt es einen Richtlinienentwurf. Erstmals soll die Mindestlohnpolitik europaweit koordiniert werden. Denn das Gefälle zwischen den Ländern ist groß. In den meisten Ländern seien die Mindestlöhne zu niedrig, „um ein menschenwürdiges Leben zu ge­währleisten“, heißt es aus Brüssel.

Ein Blick in die Länder offenbart die absoluten Unterschiede. Um auf den Mindestlohn eines luxemburgischen Beschäftigten (12,73 Euro pro Stunde) zu kommen, müsste ein bulgarischer Arbeitnehmer 6 Stunden und 22 Minuten zum dortigen Mindestlohn in Höhe von 2 Euro arbeiten, rechnen die WSI-Forscher vor. Deutschland (9,50 Euro pro Stunde) liegt bei den westeuropäischen Ländern nach Luxemburg, den Niederlanden, Frankreich, Irland und Belgien auf dem sechsten und letzten Platz, gehört innerhalb der EU aber zur Spitzengruppe. Am wenigsten verdienen Arbeitnehmer neben Bulgarien in Ungarn (2,64 Euro pro Stunde) und Rumänien (2,84 Euro pro Stunde).

Der EU-Kommission zufolge liegen die Mindestlöhne in beinahe allen Mitgliedstaaten unter 60% des Bruttomedianlohns oder 50% des Bruttodurchschnittslohns. Es geht in der Richtlinie aber nicht um die Festlegung eines europaweiten Mindestsatzes. Gemessen an verschiedenen Kriterien – wie den Lebenshaltungskosten, den Bruttolöhnen und der Arbeitsproduktivität – ist das Ziel, dem jeweiligen Land entsprechend einen würdigen Mindestlohn zu errechnen. Länder, die noch keine Lohnuntergrenze haben, sollen durch die Richtlinie aber nicht gezwungen werden, ein solches Gesetz zu verabschieden. Das hatten Dänemark und Schweden befürchtet. Mit ihrer Initiative verfolge die EU-Kommission eine „inklusive Wachstumsstrategie, die die Reduzierung sozialer Ungleichheit als eine wesentliche Voraussetzung für eine nachhaltige ökonomische Entwicklung ansieht“, loben die WSI-Experten Prof. Dr. Thorsten Schulten und Dr. Malte Lübker in ihrem Bericht.

Gerade für Deutschland sehen die WSI-Forscher einen erheblichen Handlungsbedarf. Allein hierzulande würden 6,8 Millionen Arbeitnehmer von einer Erhöhung des Mindestlohns auf 50% des Durchschnittslohns profitieren. Viele Länder hoben ihre Lohnuntergrenzen zum 1. Januar an. Die größte Steigerung verzeichnen Slowenien (+8,9%) und Lettland (+16,35%). In Deutschland wurde der Mindestlohn real um 1,3% angehoben.

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