Einzelhandelssterben nahe Rekordhoch
Einzelhandelssterben nahe Rekordhoch
Einzelhandelssterben nahe Rekordhoch
Anstieg verliert aber in Deutschland an Tempo – Allianz Trade mahnt Investitionen an – Umsätze stagnieren
ba Frankfurt
Immer mehr Einzelhändler in Deutschland geben auf. Die Insolvenzzahlen liegen zwar nur gering unter dem Rekordhoch, die Dynamik des Anstiegs hat sich laut einer Studie des Kreditversicherers Allianz Trade aber leicht abgeschwächt. Den Unternehmen machten die tiefgreifenden Änderungen des Geschäftsmodells zu schaffen, die während der Pandemie begonnen haben. Die Experten erwarten eine weitere Konsolidierung der Branche, die europaweit zu den am stärksten insolvenzgefährdeten zählt.
Von August 2024 bis August 2025 gab es im Einzelhandel 2.490 Insolvenzen. Damit sei der Negativrekord von 2.520 Pleiten aus dem Zeitraum zwischen Oktober 2015 und Oktober 2016 nur knapp verfehlt worden, heißt es. „Im August 2025 lag der Anstieg bei 13% im Jahresvergleich – ein Jahr zuvor waren es noch 20%“, vergleicht Guillaume Dejean von Allianz Trade. Das sei – insbesondere im Vergleich mit anderen europäischen Ländern – immer noch ein deutlicher Anstieg, aber der Trend in den anderen Märkten gebe durchaus Hoffnung, dass sich die Situation zumindest langsam etwas verbessere: „Einige Märkte haben entsprechend die Talsohle bereits erreicht.“ Teils deutliche Rückgänge verzeichneten Frankreich (–2%), die Niederlande (–23%) und Großbritannien (–10%) sowie Norwegen und Dänemark. Laut der Studie sind die Insolvenzen in den letzten Monaten im Jahresvergleich auch in Italien und Belgien gesunken, mittelfristig dürfte jedoch ein weiterer Anstieg der Fallzahlen folgen.
Seit Jahresmitte sind die Einzelhandelsumsätze im Euroraum kaum verändert – für Oktober meldet Eurostat eine Stagnation im Monatsvergleich. Mit einem Minus von 0,3% erweist sich Deutschland als einer der schwächsten Märkte. Nur in Belgien (–1,3%) und Österreich (–0,6%) gab es stärkere Rückgänge. Seit Jahresbeginn hat sich laut den monatlichen Ifo-Umfragen die Stimmung im Handel auf niedrigem Niveau etwas erholt – war jedoch insgesamt schlechter als in den vergangenen Jahren.
Kräftige Investitionen nötig
„Um dem verstärkten Wettbewerb durch große Online-Marktplätze standzuhalten, müssen Einzelhändler massiv in digitale Kanäle, datengestütztes Merchandising und innovative Technologien für den Ladenbau investieren“, mahnt Dejean. Viele Ketten führten autonome Systeme in Lagern, KI-gestützte Produktempfehlungsmaschinen und robotergesteuerte Regalscanner ein. Andere testeten selbst navigierende Serviceroboter im Verkaufsraum, um Kunden bei der Suche nach Artikeln zu unterstützen.
Die Großen gewinnen
„Diese Innovationen verbessern das Einkaufserlebnis und die Rentabilität, erfordern jedoch hohe Vorabinvestitionen, die kleinere Akteure teilweise kaum stemmen können“, betont Dejean. Einige (textile) Einzelhändler hingen schon heute am seidenen Faden. „Insofern dürfte sich der Trend von steigenden Insolvenzen hierzulande weiterhin fortsetzen, und eine weitere Konsolidierung der Branche ist wahrscheinlich.“ Dadurch werde die Konzentration großer Unternehmen begünstigt, die über die Ressourcen und Finanzen verfügten, um diesen industriellen Wandel zu bewältigen.
Lichtblick Euro
Der Kreditversicherer macht aber auch einige Lichtblicke für die Branche aus: Etwa die leicht verbesserten wirtschaftlichen Aussichten oder der Euro, der seit Jahresbeginn 12% zum Dollar gewonnen hat. „Verbesserte Kreditbedingungen und Reallöhne, die die während der Energiekrise 2022 entstandene Kaufkraftlücke verringern, könnten dazu beitragen, das noch fragile Verbrauchervertrauen in Deutschland mittelfristig zu stärken.“ Die Konsumbarometer des Marktforschers GfK und des Einzelhandelsverbands HDE zeigen, wie schlecht es um die Kauflaune hierzulande bestellt ist.
Für Rückenwind dürfte auch die Entscheidung aus Brüssel sorgen, „so bald wie möglich im Jahr 2026“ Zölle auf Billigpakete (De-minimis-Ausnahme) einzuführen. Damit soll der scharfe Wettbewerb durch chinesische Online-Händler wie Shein und Temu gemindert werden. „Die geplante Steuerregelung hilft den hiesigen Einzelhändlern, ist aber auch kein Allheilmittel“, sagt Dejean. „Das Interesse chinesischer Einzelhändler am großen europäischen Verbrauchermarkt könnte weitere Investitionen in Deutschland über Fusionen und Übernahmen oder Joint Ventures nach sich ziehen.“
