Ölindustrie

Ölriesen stecken trotz Preiserholung tief in der Krise

Fast alle großen US-amerikanischen und westeuropäischen Ölkonzerne haben ihre Bilanzen für 2020 vorgelegt. Trotz einiger Unterschiede haben sich doch zumindest zwei Gemeinsamkeiten gezeigt: Rückblickend befand sich „Big Oil“ quasi im...

Ölriesen stecken trotz Preiserholung tief in der Krise

Von Martin Dunzendorfer,

Frankfurt

Fast alle großen US-amerikanischen und westeuropäischen Ölkonzerne haben ihre Bilanzen für 2020 vorgelegt. Trotz einiger Unterschiede haben sich doch zumindest zwei Gemeinsamkeiten gezeigt: Rückblickend befand sich „Big Oil“ quasi im Überlebensmodus. Ausgaben und sogar Dividenden wurden in den meisten Fällen stark gekürzt. Andererseits scheinen die Konzerne kaum von der starken Erholung des Ölpreises seit November zu profitieren.

Notierung fast verdreifacht

Royal Dutch Shell setzte vergangene Woche die Reihe der Ölkonzerne fort, die enttäuschende Zahlen für das Schlussquartal 2020 vorlegten. Wie viele andere der Supermajors berichtete auch das niederländisch-britische Unternehmen von einem Cash-flow und einem Nettoergebnis, die deutlich unter den Marktprognosen lagen. Branchenbeobachter hatten erwartet, dass sich die kräftige Erholung des Ölpreises spürbar positiv im Zahlenwerk niederschlagen werde. Dem war nicht so.

Dabei hatte z.B. die Notierung für die Nordsee-Sorte Brent von rund 37 Dollar je Barrel (159 Liter) Ende Oktober auf über 51 Dollar zum Jahreswechsel zugelegt. Gemessen am Jahrestief von rund 18 Dollar im April 2020 ist das fast eine Verdreifachung. Und seit Januar ging die Rally weiter: Gestern stieg der Preis im Handelsverlauf auf mehr als 60 Dollar – das ist ein 52-Wochen-Hoch. Hintergrund der jüngsten Rally waren freiwillige Produktionskürzungen Saudi-Arabiens, nicht etwa eine Aufhellung am globalen Konjunkturhimmel.

Wie sich aber zeigt, wird die positive Wirkung fester Ölpreise von den negativen Folgen der weltweiten Lockdowns infolge der Coronavirus-Pandemie überkompensiert. Die Tätigkeit im Homeoffice, fehlende Reise- bzw. Urlaubsmöglichkeiten und vor allem der stotternde Konjunkturmotor in vielen Ländern führen nach wie vor zu einem stark gedrückten Benzin-Absatz und schwachen Raffinerie-Margen.

Christyan Malek, Leiter des Re­search für Öl und Gas in der Zone Emea (Europa, Mittlerer Osten, Afrika) bei J.P. Morgan, sagte, die großen Ölkonzerne hätten zuletzt eine Performance gezeigt, die immer noch „das Schlimmste von Covid-19 widerspiegelt“. Die schwachen Cash-flow-Zahlen vom vierten Quartal 2020 sollten sich nach Ansicht Maleks im Laufe dieses Jahres aber verbessern.

Ausgaben nicht verdient

Es war auch nicht alles schlecht, was Big Oil bislang zu berichten hatte – zumindest nicht aus Aktionärssicht. So bestätigte Royal Dutch Shell die Absicht, die Dividende zu erhöhen; im ersten Quartal im Vergleich zur Vorjahreszeit allerdings nur um überschaubare 4%. Die US-amerikanische ExxonMobil versprach trotz Schuldenanstiegs und des ersten Nettoverlustes seit 40 Jahren, die Ausschüttungen zumindest nicht weiter zu senken. Doch keines der beiden Unternehmen – weder Shell noch Exxon – war im vierten Quartal 2020 in der Lage gewesen, einen so hohen operativen Cash-flow zu generieren, der die Investitionen (Capex) und Dividendenzahlungen abgedeckt hätte.

Die steten und hohen Ausschüttungen sind wegen der traditionell hohen Rendite für Anleger einer der wichtigsten Gründe, in Ölwerte zu investieren. Um die Fähigkeit zur Dividendenzahlung zu bewahren, beschafft sich die Ölindustrie Cash durch Assetverkäufe, Schuldenaufnahme sowie Personalabbau. Da auch die Investitionen zurückgefahren werden, ist in den nächsten Jahren mit sinkenden Produktionszahlen zu rechnen. Wie dramatisch die Lage ist, zeigt sich an ExxonMobil. Der schwerste US-Ölkonzern (218 Mrd. Dollar) hat seine langfristige Wachstumsstrategie aufgegeben; diese basierte auf antizyklischen Investitionen. Nun wurden die für 2021 geplanten Capex-Ausgaben auf den tiefsten Stand seit Jahrzehnten eingedampft, und die avisierten Investitionen über die nächsten fünf Jahre sollen insgesamt um rund 50 Mrd. Dollar gesenkt werden. CEO Darren Woods erklärte, er werde die Anpassung der Investitionsprogramme von der Entwicklung der Marktkonditionen abhängig machen. Er priorisiere eine Schuldentilgung.

Bei der Konkurrenz sieht es nicht viel anders aus: Die von Chevron für 2021 geplanten Investitionen sind auf dem niedrigsten Stand seit mindestens einer Dekade und nur halb so hoch wie 2014. Solange Covid-19 die Märkte beeinflusse, heißt es, würden früher budgetierte Ausgaben – etwa für die Förderung im Perm-Becken im Südwesten der USA, einem Schlüsselprojekt – nicht fließen. Derweil bewegen sich die 13 Mrd. Dollar, die BP dieses Jahr investieren will, am untersten Ende der kommunizierten mittelfristigen Ausgabenspanne.

Von den fünf großen, vertikal integrierten Ölkonzernen der westlichen Hemisphäre – Shell, Exxon, Chevron, BP und Total – steht nur noch der Jahresbericht der Franzosen aus; die Zahlen sollen heute vorgelegt werden. Bis Ende September hatte Total die Krise besser gemeistert als die Wettbewerber: Es war gelungen, eine stabile Dividende auszuzahlen, die Förderung von Öl und Gas zu erhöhen und die größten Fortschritte beim Wechsel zu Clean Energy (umweltfreundliche Energien) zu machen – ein Geschäft, das alle europäischen Majors als Wachstumsmarkt identifiziert haben.

Negative Prognosen

Je länger der Ölpreis sein aktuelles Niveau zumindest halten kann und je schneller und kräftiger sich die Weltwirtschaft erholt, desto zügiger und stärker werden auch die Ergebnisse der Ölkonzerne anziehen. Allerdings sind viele Marktkenner für das schwarze Gold – vom erreichten Niveau ausgehend – ziemlich negativ gestimmt, denn hohe globale Lagerbestände, ausreichend freie Produktionskapazitäten und eine weiterhin starke Ölförderung in den USA dürften nachhaltig feste Preise verhindern.

Hinzu kommt das Trittbrettfahrerproblem in der Opec+; wenn sich die 13 Mitglieder der Organisation Erdöl exportierender Länder – u.a. Saudi-Arabien – und Russland auf Produktionssenkungen und -quoten geeinigt haben, um den Ölpreis zu stützen, kam es in der Vergangenheit häufig vor, dass einige Länder den Deal zwar formal mittragen, sich jedoch nicht an die Vereinbarungen halten. Sie profitieren dann einerseits vom festeren Preis, andererseits von ihrer Überproduktion. Wird das bekannt, fällt der Preis deutlich, da künftige Kompromisse zwischen dem Ölkartell und Russland dadurch erheblich erschwert werden.