Andy Jassy

Der Doppelgänger von Jeff Bezos

Der kommende Montag ist für Andy Jassy ein ganz besonderer Tag. Das liegt nicht nur am Feiertag – die Amerikaner begehen am Sonntag den Unabhängigkeitstag und haben deswegen am Montag frei. Jassy wird am Anfang der kommenden Woche Jeff Bezos als...

Der Doppelgänger von Jeff Bezos

Von Norbert Kuls, New York

Der kommende Montag ist für Andy Jassy ein ganz besonderer Tag. Das liegt nicht nur am Feiertag – die Amerikaner begehen am Sonntag den Unabhängigkeitstag und haben deswegen am Montag frei. Jassy wird am Anfang der kommenden Woche Jeff Bezos als Vorstandschef von Amazon beerben. Dass ein freier Tag für den Stabwechsel gewählt wurde, ist zwar dem Zufall geschuldet. Das Datum hat für Amazon dennoch große Bedeutung. Denn am 5. Juli vor 27 Jahren, in den Anfangszeiten des Internets, gründete Bezos seinen Online-Buchhändler, der mittlerweile einer der größten amerikanischen Konzerne geworden ist.

Jassy ist fast ebenso lange dabei und galt schon lange als Kronprinz von Bezos. Als frischgebackener Absolvent der Harvard Business School hinterließ Jassy schon in den späten 1990er Jahren einen ersten bleibenden Eindruck bei dem Gründer, als er Bezos während eines Ballspiels in der Freizeit versehentlich mit einem Kajakpaddel auf den Kopf schlug. Bezos erkannte trotz des Missgeschicks das Talent seines Adjutanten, der die Glaubenssätze, die Unternehmensphilosophie des Gründers in sich aufsog: Kundenbesessenheit, langfristiges Denken und die Notwendigkeit ständiger Selbstüberprüfung und Veränderung. „Es ist wirklich schwer, ein Unternehmen aufzubauen, das über einen langen Zeitraum Bestand hat“, sagt Jassy. „Um das zu schaffen, muss man sich immer wieder neu erfinden.“

Gelernt hat Jassy das von Bezos selbst. Im Jahr 2002 begann der jetzt 53-Jährige, damals eine junge Führungskraft bei Amazon, Bezos eng zu begleiten. Er war 18 Monate lang eine Art Schattenmann für Bezos, folgte ihm auf Schritt und Tritt und nahm an Verwaltungsratssitzungen und an seinen Telefonaten teil, erinnert sich Ann Hiatt, die von 2002 bis 2005 die Assistentin von Bezos war. Die Idee war, dass Jassy „ein Gehirn-Double“ für Bezos sein sollte, einer, der das Denken seines Chefs herausfordern und seine Fragen vorhersehen konnte. „Ich dachte, dass ich sehr hohe Standards hatte, bevor ich diesen Job antrat“, sagt Jassy. Am Ende sei ihm aber klar geworden, dass Bezos wesentlich höhere Anforderungen an seine Mitarbeiter stellte.

Jassy galt als designierter Nachfolger von Bezos, weil er in den vergangenen Jahren einen der wichtigsten Geschäftsbereiche des Konzerns konzipiert und aufgebaut hatte – die Cloud-Sparte Amazon Web Services (AWS). AWS steuerte zuletzt ein Zehntel des Umsatzes, aber die Hälfte zum operativen Gewinn von Amazon bei. Anfänglich hatte die Sparte vor allem Start-ups als Kunden, die mit einer Kreditkarte die benötigten Rechnerdienste in der Datenwolke kaufen konnten. Mittlerweile sind die Kunden der ersten Stunde, wie der Zimmervermittler Airbnb, selbst zu großen, börsennotierten Unternehmen geworden. Später kamen auch etabliertere Konzerne hinzu, die Rechnerleistung bei Amazon mieteten, anstatt eigene Rechner aufzubauen. Mit einem weltweiten Marktanteil von einem Drittel ist Amazon Marktführer im Cloud-Geschäft vor dem Softwarekonzern Microsoft.

Kenner von Amazon rechnen damit, dass es unter Jassy bei einer Fortsetzung des Amazon-Kurses bleibt, auch wenn er sich bislang nicht zur Strategie geäußert hat. Außerdem wird Bezos als Executive Chairman des Verwaltungsrats weiter seine Augen auf Amazon haben.

Es sei klar, dass Jassy, der nie für ein anderes Unternehmen tätig war, fortsetzen werde, was Bezos aufgebaut hat, es also keinen scharfen Bruch geben werde, meinen Analysten. „Andy ist ein großer Teil der gesamten Kultur“, sagte Tom Alberg, ein geschäftsführender Partner bei der Madrona Venture Group und bis 2019 Verwaltungsratsmitglied von Amazon, gegenüber der „New York Times“. „Ich glaube wirklich, dass es eine starke Fortsetzung sein wird.“