Neuer Brenntag-CEO macht die Rolle rückwärts
Neuer Brenntag-CEO macht die Rolle rückwärts
Neuer Brenntag-CEO macht die Rolle rückwärts
Von Annette Becker, Köln
Jens Birgersson, der neue CEO von Brenntag, ist ein Mann der klaren Worte und raschen Entscheidungen. Nur zwei Monate benötigte er, um festzustellen, dass die geplante Aufspaltung der Firma in zwei rechtlich selbständige Einheiten – Basischemikalien auf der einen und Spezialitäten auf der anderen Seite – keinen Sinn ergibt. Daher verordnet der selbstbewusst auftretende Manager dem Unternehmen die Rolle rückwärts.
Birgersson hat aber auch aus den Erfahrungen seines Vorgängers gelernt. Vor Bekanntgabe seiner Pläne hat er sich der Rückendeckung seiner beiden Großaktionäre Kühne Holding (15%) und Artisan Partners (15,9%) versichert: „Unsere beiden größten Aktionäre unterstützen diesen Kurs“, fasst sich der Manager kurz. Vor fast drei Jahren hatten zwei aktivistische Aktionäre seinen Vorgänger im Amt noch mit Nachdruck zur Aufspaltung gedrängt. Die Hauptversammlung 2023 mündete in einer Kampfabstimmung, die Brenntag für sich entschied.
Doppelstrukturen beseitigen
Doch seither hat sich die Welt weitergedreht: „Die große Bewertungslücke, die zwischen börsennotierten Essentials- und Specialties-Unternehmen klaffte, ist mittlerweile in sich zusammengefallen“, sagt der gebürtige Schwede. Zudem gebe es nur wenige Wettbewerber, denen eine eindeutige Abgrenzung zwischen den beiden Segmenten gelingt. Will heißen: Der Druck, die Aufspaltungspläne weiterzuverfolgen, ist gewichen.
Vielmehr steht der Workaholic nun vor einem ganz anderen Problem. Denn im Zuge der geplanten Entflechtung hat Brenntag in den vergangenen zwei Jahren viel Komplexität geschaffen. „Wir werden jetzt die entstandenen Doppelstrukturen beseitigen und zugleich Personal abbauen, um Strukturen und Prozesse zu vereinfachen“, kündigt Birgersson an. Das betrifft nicht nur die Zentrale, sondern auch die Gegebenheiten an den Produktionsstandorten. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum an einem Standort zwei verschiedene Teams für die Sicherheit vor Ort zuständig sein sollen, verdeutlicht der 58-Jährige an einem Beispiel.
Vorstand verkleinert
Mit Blick auf die Organisationsstruktur sind erste Pflöcke eingeschlagen: Künftig wird der Vorstand nur noch aus zwei Köpfen, dem CEO und dem CFO, bestehen. Darunter wird ein Executive Committee installiert. Im Gegenzug werden die Executive Committees, die die Divisionen aufgebaut haben, abgeschafft. An der inhaltlichen Aufstellung der beiden Segmente soll gleichwohl nicht gerüttelt werden.
Zum 1. November hat Francis Bracke-Schröder als Personalchefin (CHRO) begonnen, spätestens zum 1. April kommt Bjørn Andersen als COO, zuständig unter anderem für den Einkauf. Andersen kommt wie Birgersson von der dänischen Rockwool Group, einem Hersteller von Dämmstoffen aus Steinwolle. Von 2015 bis 2024 fungierte Birgersson dort als CEO.
Keine Zeit für einen Umzug
Zweifelsohne ist Birgersson ein Macher, der auf die Tube drückt. Man sollte keine Zeit mit einem Umzug verschwenden, lautet die Antwort auf die Frage des künftigen Wohnorts. Er habe in seiner beruflichen Laufbahn, die bei ABB begann, mehr als zehn grenzüberschreitende Jobwechsel hinter sich und da er ohnehin durch die ganz Welt reise, bleibt der Rückzugsort das schwedische Zuhause. Dort leben seine Frau und die Kinder.
Auch bei seinem neuen Arbeitgeber wird der Physikingenieur und Wirtschaftswissenschaftler viel unterwegs sein. Daher wohnt er auch in Essen lieber im Hotel. Denn sein unmittelbarer Fokus liegt auf dem Vertrieb, das bringt viel Reisetätigkeit mit sich. Kurzfristig gehe es darum, zentrale Strukturen zu vereinfachen und die Kostenbasis zu verbessern, Personalabbau inklusive. Zur Größenordnung äußert sich er sich noch nicht. Zunächst müssen Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern geführt werden.
Größe zählt
Im gleichen Atemzug schwärmt der mit 30 Jahren Industrieerfahrung ausgestattete Manager: „Brenntag ist ein fantastisches Unternehmen. Unser Asset ist die Größe. Wir sind 50% größer als der nächste Wettbewerber im Markt.“ Die Aufspaltung hätte diesen Vorteil zunichtegemacht. „Wir haben in der Vergangenheit hart daran gearbeitet, auf diese Größe zu kommen. Ich werde hart daran arbeiten, dass sich das auch im Gewinn niederschlägt.“
Doch so bereitwillig der neue CEO des Dax-Unternehmens Einblick in seine Pläne mit Brenntag gewährt, so unmissverständlich gibt er zu verstehen, dass es ihn nicht in die Zeitung drängt. Der 1,90-Meter-Mann ist kein Typ für Homestories. Wenngleich er artig auf Fragen zu Familie und Kindern antwortet, ist klar, dass sein Privatleben niemanden etwas angeht. Wer wollte ihm das verübeln?
