Portrait von Bilfinger-CEO Thomas Schulz

„Von Ketchup bis Atommüll“

Thomas Schulz, seit März 2022 Vorstandschef von Bilfinger, nutzt den Kapitalmarkttag nicht nur, um die neuen Mittelfristziele des Industriedienstleisters vorzustellen. Er, der dafür bekannt ist, Klartext zu reden, kritisiert u.a. die auf Kohlendioxid-Emissionen fixierte deutsche Nachhaltigkeitspolitik und indirekt auch den Ausstieg aus der Kernenergie.

„Von Ketchup bis Atommüll“

„Von Ketchup bis Atommüll“

Von Martin Dunzendorfer, Offenbach

„Von Ketchup bis Atommüll – wir arbeiten an allem.“ Mit diesem Satz versuchte Bilfinger-Chef Thomas Schulz die große Bandbreite der Tätigkeiten, die der Industriedienstleister anbietet, zu verdeutlichen. Und um die Aussage, dass das Geschäftsmodell sowohl von wachsenden als auch von rückläufigen Märkten profitiert, zu belegen, griff er an anderer Stelle nochmal das Thema Kernkraft auf: „Wir arbeiten mit am Rückbau in Deutschland und am Aufbau in anderen Ländern.“ Daraus, wie er selbst zu der umstrittenen Technologie steht, machte er keinen Hehl: „Ich bin ein Befürworter der Atomtechnik.“

Bilfinger-Chef redet Klartext

Schulz ist bekannt dafür, Stellung zu beziehen. Diesem Ruf wurde er auch auf dem Kapitalmarkttag gerecht. So sprach er davon, dass es in Deutschland beim Thema Nachhaltigkeit eine „unverständliche Konzentration auf Kohlendioxid“ gebe. „Außerhalb dieser Landesgrenzen versteht das keiner.“ In weiten Teilen der Welt werde an Verbesserungen der Nachhaltigkeit gearbeitet, doch werde außerhalb Deutschlands der Begriff viel weiter gefasst. Zum Beispiel falle auch Arbeitssicherheit bzw. Gesundheitsmanagement darunter. Und wenn Bilfinger helfe, die Energiekosten von Unternehmen zu senken, führe auch das zu einer Senkung der CO₂-Emissionen.

Angesprochen auf die in einigen Ländern gesunkene Relevanz des Klimaschutzes – verglichen mit Umfragen vor zwei, drei Jahren – sagte Schulz, dass sich dies bei Bilfinger bislang nicht im Auftragseingang für klimaschonende Maßnahmen niederschlage.

Auch die Berliner Politik bleibt nicht verschont. Mitte August hatte Schulz anlässlich der Vorlage der Halbjahreszahlen seiner Unzufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik der schwarz-roten Koalition seit Übernahme der Regierungsgeschäfte Luft gemacht: „Wir hatten durch die Bundestagswahl ein bedeutend besseres Gefühl in der deutschen Industrie bekommen. Jetzt sind 100 Tage rum. Es wird langsam Zeit, mehr von den vielen Ideen, die aus dem Wirtschaftsministerium kommen, auch mal umzusetzen.“ Nur so lasse sich das Vertrauen der Wirtschaft wiedergewinnen und der Investitionsstau lösen. „Die Politik ist schwach, wenn man über Sachen nur redet, aber nichts durchführt. In der Industrie sind sie nicht lange CEO, wenn sie so agieren. Da reden wir nicht über 100 Tage; da sind sie schneller weg.“

Kampf gegen überholte Assoziationen

Schulz kämpft, seit er im März 2022 Vorstandvorsitzender von Bilfinger wurde, mit einem Problem der besonderen Art. Er muss auch noch Jahre nach dem Wandel des Baukonzerns zu einem Industriedienstleister versuchen, aus manchen Köpfen die spontane Assoziation der Firma mit Bauarbeitern und -maschinen herauszubekommen. Allerdings erlebt man einen solch grundlegenden Wandel des Geschäftsmodells nicht oft; da hallt die alte Branche noch lange nach, zumal die neue etwas Unbestimmtes hat. Consulting und Engineering sind schwammige Begriffe. Griffiger sind da schon Beschreibungen wie Fertigung, Montage und Instandhaltung.

Einen ähnlichen Fall gab es – noch etwas extremer – bei Preussag, die um die Jahrtausendwende vom Mischkonzern mit Bergwerks- und Hüttenvergangenheit zum weltweit größten Touristikkonzern wurde. Doch im Gegensatz zu Bilfinger, die den Namen behielt, firmiert Preussag seit 2002 als Tui. Das erleichterte die gedankliche Umstellung.

Kapitalmarkttag in Offenbach

Den Kapitalmarkttag nutzte Bilfinger daher auch, um Teile der Dienstleistungen und einige Innovationen wie einen von Boston Dynamics gebauten Roboterhund, den die Deutschen u.a. für gefährliche Messarbeiten einsetzen, in einer Ausstellung vorzustellen. Dafür hatte das Unternehmen eine Industriehalle in Offenbach gemietet. Dass Bilfinger dort den „Capital Markets Day“ veranstaltete und nicht im 90 Kilometer südlich entfernten Mannheim, wo das Unternehmen seinen Sitz hat, dürfte auch an der direkten Nachbarschaft Offenbachs zur Finanzmetropole Frankfurt gelegen haben. Durch eigene Produktionshallen und Werkstätten hätte man Analysten, Investoren und Journalisten ohnehin nicht führen können: Bilfinger besitzt keine eigenen Fabriken.

Weiterentwicklung statt Portfolioumbau

Der Vorgänger von Schulz, Tom Blades, war stark mit Restrukturierung, Portfolioumbau und dem Verkauf defizitärer Geschäftseinheiten befasst. Hinzu kamen Querschüsse wie ein Korruptionsfall. Die Zeit von Schulz ist dagegen von Weiterentwicklung geprägt. Ziele sind nachhaltiges Wachstum, höhere Margen und eine Schärfung des Profils – etwa als „Industriepartner Nummer 1 für Effizienz und Nachhaltigkeit“ bei Kunden aus der Prozessindustrie, so ein Slogan des Unternehmens. Die Marktentwicklungen in den vergangenen drei Jahren spielten Schulz in die Karten, denn die Kunden stehen zunehmend unter Druck, ihre Anlagen effizienter und nachhaltiger zu betreiben, gerade im Hinblick auf den Energieverbrauch.

Ein schwieriger Start

Schulz hatte weder eine günstige Ausgangsposition noch einen guten Start, als er bei Bilfinger antrat. An der Herausforderung, ein zusammengekauftes Sammelsurium an Industrie- und anderen Dienstleistern zu einem schlagkräftigen Konzern zu formen, waren bereits mehrere Vorstände gescheitert. Einige akquirierte Geschäftseinheiten hatten sich als teurer Fehlgriff entpuppt. Am Kapitalmarkt galt Bilfinger schon als eine Art Dauerrestrukturierungsfall, denn die operativen Margen blieben mickrig. Doch die Effizienzprogramme von Schulz zündeten, und die 2023 mit Blick auf 2027 veröffentlichten Mittelfristziele „werden wir erreichen“, wie der CEO nun unterstrich.

Intern setzte der von der RWTH Aachen promovierte Ingenieur mit Schwerpunkt Bergbau während seiner Zeit bei Bilfinger auf Kostensenkungen, mehr Agilität und die Harmonisierung der Prozesse und Systeme, was die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens stärkte.

Von Skandinavien geprägt

Nach früheren Aussagen mag Schulz flache Hierarchien und schätzt offene Kommunikation und Feedback. Dies zeigt, dass den Manager, der 1965 im Saarland zur Welt kam, die skandinavische Unternehmenswelt geprägt hat. Bevor er zu Bilfinger kam, leitete er fast ein Jahrzehnt als CEO das dänische Technologie- und Dienstleistungsunternehmen FLSmidth in Kopenhagen. Davor hatte er führende Positionen im Industriekonzern Sandvik in Schweden inne, wo er zuletzt Präsident von Sandvik Construction war. Seine erste berufliche Station war der schwedische Maschinenbauer Svedala.