Klimaneutralität im Grundgesetz verankert
Neuregelung bereitet keinen Nährboden für Klimaklagen
Von Thomas Voland, Moritz Keller
und Sunny Kapoor *)
Am 19. März 2025 hat der Bundestag die Einrichtung eines Sondervermögens in Höhe von 500 Mrd. Euro beschlossen. Dafür wird im Grundgesetz eine Regelung als Artikel 143h eingefügt, wonach der Bund für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung – also letztlich einen „Schuldentopf“ außerhalb des eigentlichen Bundeshaushalts – errichten kann.
Regelung umstritten
Diese Regelung war bis zuletzt umstritten. Dabei stand nicht nur das bislang einzigartige – vom Bundesverfassungsgericht aber als zulässig erachtete – Vorgehen in der Kritik, dass das Parlament noch in seiner alten Besetzung trotz Neuwahlen in einem Schnellverfahren eine Grundgesetzänderung vornimmt und dadurch milliardenschwere Kredite ermöglicht. Vielmehr hat es auch Bedenken ausgelöst, dass mit dem neu eingefügten Artikel 143h GG zum ersten Mal der Begriff der Klimaneutralität in das Grundgesetz aufgenommen wird. Neben der – aus ihrer Sicht – unzureichenden Definition und mangelnden Bestimmtheit dieses Begriffs kritisierte etwa die FDP-Fraktion, dass nicht absehbar sei, ob damit ein neues Staatsziel in das Grundgesetz eingefügt werden solle und welche Bindungswirkungen sich daraus entfalten könnten. Darüber hinaus haben einige Akteure aus Politik und Wirtschaft die Sorge geäußert, dass speziell Umweltverbände die Neuregelung nutzen könnten, um öffentliche Infrastrukturprojekte und emissionsintensive Unternehmen mit Klagen zu überziehen. Würde man Artikel 143h GG tatsächlich so interpretieren, dass sämtliche aus dem Sondervermögen finanzierte Infrastrukturprojekte dem Ziel der Klimaneutralität dienen sollen, wäre bei emissionsintensiven Projekten, etwa für Rüstung und Transport, bereits fraglich, ob sie nicht von vorneherein das Ziel der Klimaneutralität sogar konterkarieren. Dann wäre deren Finanzierung aus dem Sondervermögen abzulehnen. Ferner könnten beispielsweise Umweltverbände versuchen, Unternehmen, die insbesondere an derartigen Projekten beteiligt sind, mit Verweis auf grundgesetzliche Neuregelung anzugreifen.
Bei näherer Betrachtung erscheint diese Sorge allerdings unberechtigt. Artikel 143h GG erhebt die Klimaneutralität nicht zum allein entscheidenden Maßstab für die Mittelverwendung aus dem Sondervermögen, sondern stellt sie gleichwertig neben Investitionen in die Infrastruktur. Denn die Vorschrift besagt, dass die Ausgaben „für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität“ erfolgen dürfen. Sie regelt somit gerade nicht, dass nur Investitionen „in klimaneutrale Infrastruktur“ in Betracht kommen, sondern eröffnet zwei voneinander unabhängige Investitionsstränge.
Kein Staatsziel
Ein weiteres Argument ist die Verortung der Klimaneutralität in eine finanzverfassungsrechtliche Regelung. Die Formulierung stellt lediglich sicher, dass ein Teil des Sondervermögens für die Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 verwendet wird. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat die Klimaneutralität damit bewusst nicht als Staatsziel ausgestaltet, das insbesondere Umweltverbände in Klagen gegen öffentliche Projekte vorbringen könnten. Hätte es sich um ein Staatsziel handeln sollen, dann wäre dessen Verankerung in der bereits vorhandenen Zielbestimmung des Art. 20a GG naheliegend gewesen, die schon heute den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen regelt. Gegen die Annahme einer Staatszielbestimmung spricht ferner, dass der Bewilligungszeitraum für Investitionen aus dem Sondervermögen auf zwölf Jahre begrenzt ist und daher nicht einmal bis 2045 reicht. Dementsprechend haben verschiedene politische Entscheidungsträger im Gesetzgebungsverfahren mehrfach zutreffend betont, dass mit der Benennung der Klimaneutralität kein neues Staatsziel eingeführt werden soll.
Schutz der Lebensgrundlagen
Gleiches gilt für Klagen gegen emissionsintensive Unternehmen, wie sie Umweltverbände in den vergangenen Jahren erfolglos gegen diverse Energie- und Automobilunternehmen angestrengt haben. In diesen Klagen haben sich die Kläger unter anderem auf eine deliktsrechtliche Drittwirkung von Grundrechten berufen und dabei zahlreiche Argumente aus dem sog. „Klimabeschluss“ des Bundesverfassungsgerichts vom 24.3.2021 sowie die in Art. 20a GG verankerte staatliche Verantwortung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen eingeflochten. Mit diesen Argumenten sind die Kläger indes bislang in sämtlichen deutschen Klimaklagen gescheitert.
Ziel der Neutralität
Daran wird die grundgesetzliche Neuregelung nichts ändern. Denn Artikel 143h GG führt keine neue Handlungspflicht des Staates zur Sicherstellung der Klimaneutralität bis 2045 ein, mit der die Klimakläger ihrem Vorbringen zusätzliches Gewicht verleihen könnten. Die Neuregelung schafft lediglich zusätzliche Handlungsspielräume für den Staat, um die Klimaneutralität bis 2045 erreichen zu können.
*) Dr. Moritz Keller und Dr. Thomas Voland sind Partner, Dr. Sunny Kapoor ist Counsel bei Clifford Chance.