Übernahmerecht

Sanierungs­befreiungen vom Pflichtangebot in der Praxis

Die Covid-19-Pandemie hat bislang offenbar keine Auswirkungen auf die Zahl der Sanierungs­befreiungen. Hierbei legen die Behörden die Kriterien streng aus.

Sanierungs­befreiungen vom Pflichtangebot in der Praxis

Von Volker Land und Stephan Schulz *)

Zur Überwindung einer finanziellen Krise werden Aktienpakete an börsennotierten Unternehmen häufig von Investoren erworben, die bisher noch nicht oder nur in geringem Umfang an der Gesellschaft beteiligt waren. Das geschieht meistens im Rahmen von Kapitalerhöhungen, um die Eigenkapitalposition der Gesellschaft zu stärken.

Zusätzliche Kosten

In diesem Zusammenhang können übernahmerechtliche Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Überschreitet der Investor bei der Transaktion die Kontrollschwelle von 30% der Stimmrechte, ist er nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) verpflichtet, allen anderen Aktionären den Erwerb ihrer Aktien anzubieten (sog. Pflichtangebot). Durch das Pflichtangebot entstehen dem Investor nicht nur zusätzliche Kosten, sondern es fließen in der Regel auch in signifikantem Umfang Mittel an Dritte ab, die nicht für eine Sanierung der Gesellschaft zur Verfügung stehen.

Damit wirtschaftlich sinnvolle Sanierungen nicht verhindert werden, sieht das WpÜG schon seit seinem Inkrafttreten vor, dass die zuständige Behörde einen Bieter unter anderem dann von der Angebotspflicht befreien kann, wenn dies im Hinblick auf die mit der Erlangung der Kontrolle beabsichtigte Zielsetzung unter Berücksichtigung der Interessen des Bieters und der übrigen Aktionäre der Zielgesellschaft gerechtfertigt erscheint. Die Kontrollerlangung im Zusammenhang mit der Sanierung der Zielgesellschaft (sog. Sanierungsbefreiung) ist ein solcher Fall, der typischerweise zur Befreiung führen kann.

Die Kanzlei Noerr hat nun die Behördenpraxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bei der Erteilung von Sanierungsbefreiungen untersucht. Der Studie lagen 105 von der BaFin veröffentlichte Entscheidungen im Zeitraum von 2011 bis August 2021 zugrunde, die eine Vielzahl von Befreiungsgründen betrafen. In 25 dieser Fälle (23,8%) ging es um Sanierungsbefreiungen. Weiter zeigte sich, dass die Covid-19-Pandemie bislang offenbar keine Auswirkungen auf die Zahl der Sanierungs­befreiungen hatte. In den Jahren 2020 und 2021 gab es jeweils nur eine veröffentlichte Sanierungsbefreiung, was unter dem Jahresdurchschnitt des Betrachtungszeitraums liegt. In beiden Jahren bewegte sich die Zahl der öffentlichen Übernahmen auf einem den Vorjahren entsprechenden oder sogar höheren Niveau.

Es zeigt sich weiter, dass die BaFin ihre Auslegung des Ausnahmetatbestands konsequent anwendet. Sanierungsbefreiungen setzen danach voraus, dass die Zielgesellschaft sanierungsbedürftig und sanierungsfähig ist. Ferner muss der Bieter einen Sanierungsbeitrag für die Gesellschaft leisten. Liegen diese Voraussetzungen vor, hat die Behörde immer noch ein Ermessen hinsichtlich der Befreiung.

Sanierungsgutachten

Als sanierungsbedürftig wird eine Zielgesellschaft angesehen, wenn für ihr Geschäft bestandsgefährdende Risiken bestehen oder drohen. Damit wird die Schwelle für die Erteilung einer Sanierungsbefreiung recht hoch angesetzt, da derartige Risiken bei einer lediglich wirtschaftlich schwächelnden Zielgesellschaft we­der bestehen noch drohen. Der Bieter hat im Rahmen des Befreiungsverfahrens entsprechende Nachweise zu erbringen. Wenn entsprechende Risikohinweise bereits im Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers enthalten sind, kann hierauf zurückgegriffen werden. Andernfalls werden der BaFin zumeist separate Stellungnahmen von Wirtschaftsprüfern vorgelegt.

Darüber hinaus muss die Zielgesellschaft nach Ansicht der BaFin sanierungsfähig sein. Hierzu muss der Behörde ein Sanierungskonzept vorgelegt werden, das objektiv geeignet ist, den Fortbestand der Zielgesellschaft zu sichern. Die Eignung der geplanten Maßnahmen zum Erreichen des Sanierungsziels wird in nahezu allen Fällen von einem unabhängigen Gutachter bestätigt. Die damit erforderliche Begutachtung führt zu Kosten, die bei der Transaktionsvorbereitung zu berücksichtigen sind. Allerdings kommt es durchaus vor, dass ein Sanierungsgutachten im Rahmen der Transaktion aus anderen Gründen erstellt werden musste, etwa um ein weiteres Engagement der finanzierenden Banken sicherzustellen. In diesen Fällen ist eine aktualisierte Stellungnahme zur Vorlage bei der Behörde leichter zu erlangen.

Beitrag des Bieters

Was den erforderlichen Sanierungsbeitrag des Bieters betrifft, so gibt es ein breites Spektrum an denkbaren Gestaltungen. Als Sanierungsbeiträge werden Maßnahmen des Investors anerkannt, durch die die Gesellschaft einen wesentlichen wirtschaftlich messbaren Vorteil erlangt. Am häufigsten ist die Beteiligung des Bieters an einer Barkapitalerhöhung. Aber auch die Gewährung von Darlehen, die Erbringung von Sacheinlagen oder Forderungsverzichte sind von der Behörde anerkannt worden. In mehr als der Hälfte der Fälle gibt es nicht nur einen Sanierungsbeitrag, sondern es werden verschiedene Maßnahmen kombiniert. Ob eine bestimmte Maßnahme ausreichend ist, kann freilich nicht ohne Blick auf das maßgebliche Sanierungskonzept beurteilt werden.

*) Dr. Volker Land und Dr. Stephan Schulz sind Partner der Kanzlei Noerr und Herausgeber des Noerr Public M&A Reports.

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