Aktionärsrechte

Urteil schafft mehr Rechts­sicherheit in öffentlichen Übernahmen

Individualansprüche von Anlegern bei öffentlichen Übernahmen beschäftigen schon lange die Gerichte. Das Celesio-II-Urteil des BGH hilft weiter, klärt aber nicht alle Fragen.

Urteil schafft mehr Rechts­sicherheit in öffentlichen Übernahmen

Sabine Wadewitz

Herr Dr. Hofmeister, der BGH hat im Celesio-II-Urteil über die Ansprüche von Aktionären in öffentlichen Übernahmen befunden. Was ist der Hintergrund?

Im Kern ging es um die Frage, ob ein Aktionär seine Aktien dem Bieter noch Jahre nach dem Übernahmeangebot gegen Zahlung der angemessenen Gegenleistung andienen kann, wenn der Bieter die gesetzlichen Mindestpreisregelungen verletzt und in der Angebotsunterlage eine zu niedrige Gegenleistung angeboten hat. Der Rechtsstreit betraf die Übernahme des Pharmagroßhändlers Celesio durch McKesson im Jahr 2014. Aktionäre, die das Angebot angenommen hatten, klagten damals auf eine Erhöhung der angebotenen Gegenleistung von 23,50 Euro.

Mit welchem Ziel?

Streitig war, ob von McKesson erworbene und auch tatsächlich gewan­delte Wandelschuldverschreibungen und der sich daraus für eine Aktie ergebende durchgerechnete Er­werbspreis für die Bestimmung der angemessenen Gegenleistung zu berücksichtigen waren. McKesson hatte den Erwerb der Wandelschuldverschreibungen, deren Wandlung und weitere relevante Details in der Angebotsunterlage offengelegt. Aber weder McKesson noch die BaFin hielten den Erwerb und die Wandlung der Wandelschuldverschreibungen für mindestpreisrelevant. Der BGH gab den Klägern Recht und hob in seinem Celesio-I-Urteil aus dem Jahr 2017 die angemessene Gegenleistung auf 30,95 Euro an.

Und dann Celesio II?

Das Celesio-II-Urteil vom 23.11.2021 betraf eine Klage von Investmentfonds, die das Übernahmeangebot nicht angenommen hatten. Sie machten auf Grundlage des Celesio-I-Urteils geltend, dass sie das Angebot zum „richtigen“ Preis von 30,95 Euro damals angenommen hätten. Sie verlangten für alle von ihnen gehaltenen und nunmehr zur Überlassung angebotenen Aktien die Zahlung von 30,95 Euro pro Aktie.

Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH hat dem Aktionärsverlangen eine sehr gut begründete und klare Absage erteilt. Dem Aktionär steht weder ein primärer Erfüllungsanspruch noch ein Schadenersatzanspruch zu, wenn der Bieter nicht vorsätzlich gehandelt hat. Der BGH stützt sich auf alle gängigen Auslegungsvarianten und berücksichtigt auch europarechtliche Aspekte. Der BGH betont vor allem den Zweck des Gesetzes, ein zügiges und rechts­sicheres Übernahmeverfahren zu schaffen.

Herrscht damit für alle solche Fälle Klarheit?

Nicht ganz. Der BGH lässt an mehreren Stellen im Urteil ausdrücklich offen, ob sein Ergebnis auch dann gilt, wenn anders als im Celesio-II-Fall die Angebotsunterlage fehlerhaft ist und nicht alle erforderlichen Angaben enthält.

Mit welchen Folgeentscheidungen des BGH ist zu rechnen?

Es bleibt abzuwarten, wann dem BGH die Fallvariante der fehlerhaften Angebotsunterlage zur Entscheidung vorliegen wird. Die Ausführungen des BGH im Celesio-II-Urteil deuten darauf hin, dass er in einem solchen Fall einen Schadenersatzanspruch des Aktionärs im Grundsatz für gegeben hält. Das könnte für den Bieter eine sehr unangenehme Überraschung am Backend bedeuten, denn er wäre noch Jahre nach Be­endigung­ des Übernahmeverfahrens unge­planten Aktienerwerbsverpflichtungen mit entsprechenden Fi­nan­zierungsüberlegungen, Liquiditätsabflüssen unter anderem ausgesetzt. Praxisrelevant würde das vor allem in Fällen, in denen der Aktienkurs beziehungsweise Wert des Zielunternehmens in der Zwischenzeit eingebrochen ist. Im Zusammenhang mit einem solchen Aktionärsanspruch sind allerdings noch einige Aspekte näher zu beleuchten und noch nicht hinreichend diskutiert, et­wa eine mögliche Haftungsbeschränkung des Bieters auf grobe Fahrlässigkeit.

Wie sollten sich Bieter verhalten, solange noch keine Rechtssicherheit besteht?

Die vorstehend beschriebenen Gefahren vermeidet der Bieter durch ausreichende Transparenz in der Angebotsunterlage. Vor allem relevante Aktienerwerbe im Vorfeld des Übernahmeangebots sind entsprechend aufzuführen. Hier kann es nach wie vor etwa aufgrund von Earn-­­out-Vereinbarungen oder Sachgegenleistungen Unsicherheiten mit Blick auf die gesetzlichen Mindestpreisregelungen geben.

Dr. Holger Hofmeister ist Partner der Kanzlei Skadden, Arps, Slate, Mea­gher & Flom.

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