Deutsche Wirtschaft: Dienstleister hui, Industrie pfui
Die Spaltung der deutschen Wirtschaft hat sich im Mai deutlich verschärft. Der Einkaufsmanagerindex für die gesamte Privatwirtschaft stieg zwar im Mai um 0,1 auf 54,3 Punkte und damit auf den höchsten Stand seit mehr als einem Jahr, wie der Finanzdienstleister S&P Global am Dienstag zu seiner monatlichen Umfrage unter 800 Unternehmen mitteilte. Das ist aber allein den Dienstleistern zu verdanken, durch deren Aufschwung das an den Finanzmärkten stark beachtete Barometer den vierten Monat in Folge über der Wachstumsschwelle von 50 Zähler blieb. „Das Gespenst einer anhaltenden Rezession ist trotz des Nullwachstums zu Jahresbeginn damit praktisch vom Tisch”, sagte Chefvolkswirt Cyrus de la Rubia von der Hamburg Commercial Bank (HCOB), die die Umfrage sponsert. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten einen Rückgang auf 53,5 Zähler erwartet.
„Die gute Verfassung des Servicesektors deutet darauf hin, dass der private Konsum trotz des inflationsbedingten Kaufkraftverlustes der privaten Haushalte besser läuft als erwartet”, sagte de la Rubia. Hier legte der Einkaufsmanagerindex um 1,8 auf 56,0 Punkte zu. Das ist der höchste Stand seit knapp zwei Jahren. Ganz anders ist das Bild in der Industrie: Hier sackte das Barometer um 1,6 auf 42,9 Punkte ab, den niedrigsten Stand seit drei Jahren. „Das Produzierende Gewerbe hingegen wird vermutlich durch den Einbruch in der chinesischen Industrie nach unten gezogen”, sagte de la Rubia. Die Volksrepublik ist der wichtigste deutsche Handelspartner.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) rechnet für dieses Jahr mit einer Konjunkturflaute und zugleich hohen Inflation. “Anzeichen für einen breiten Aufschwung fehlen weiterhin”, sagte Hauptgeschäftsführungsmitglied Ilja Nothnagel. Die Firmen zeigten sich trotz der weiterhin hohen Energiepreise, steigender Zinsen und des Ukraine-Krieges zwar bemerkenswert widerstandsfähig. Der Ausblick auf die kommenden zwölf Monate bleibe aber insgesamt trübe.
Eurozone gibt ebenfalls nach
In der Eurozone hat die Wirtschaft sogar insgesamt etwas Schwung verloren. Der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft fiel im Mai um 0,8 Punkte auf 53,3 Zähler, wie der Finanzdienstleister S&P Global zu seiner Umfrage unter Tausenden Firmen mitteilte. Das an den Finanzmärkten stark beachtete Barometer liegt für den Währungsraum aber trotz des leichten Rückgangs nach wie vor über der Wachstumsschwelle von 50 Punkten, liegt aber jetzt auf dem tiefsten Stand seit drei Monaten. Die Privatwirtschaft im Euroraum expandiert nunmehr bereits den fünften Monat in Folge. Von Reuters befragte Experten hatten nur einen Rückgang des Barometers auf 53,5 Zähler erwartet.
Die Daten zeigten ein insgesamt sehr freundliches Bild einer sich weiter erholenden Konjunktur, so HCOB-Ökonom de la Rubia. Ein genauerer Blick offenbare aber, dass das Wachstum sehr ungleich verteilt sei. So habe sich die Schere zwischen dem teilweise boomenden Dienstleistungssektor auf der einen Seite und dem schwächelnden Verarbeitenden Gewerbe auf der anderen Seite weiter aufgetan.
Für die Zukunft seien die Unternehmen nicht nur im Dienstleistungssektor, sondern auch in der Industrie eher positiv gestimmt. Grund für den Optimismus sind laut Umfrageteilnehmern unter anderem eine abnehmende Angst vor einem Wiederaufleben der Energiekrise, wieder besser funktionierende Lieferketten sowie die Erwartung, dass die Inflation ihren Zenit überschritten habe: „Letzteres ist verbunden mit der Hoffnung, dass die EZB bald mit ihren Zinserhöhungen pausiert”, so de la Rubia.
Die Wirtschaft im Euroraum war mit wenig Schwung ins Jahr gestartet. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte von Januar bis März im Vergleich zum Vorquartal um 0,1% zu. Ende 2022 stagnierte die Wirtschaft noch. Die EU-Kommission rechnet in ihrer Frühjahrsprognose für die Euro-Zone in diesem Jahr mit einem Plus beim BIP von 1,1%.
Briten pessimistischer gestimmt
Auch britische Unternehmen sind im Mai pessimistischer gestimmt als erwartet. Nach der Stimmungsaufhellung im Vormonat fiel der Einkaufsmanagerindex von S&P Global gegenüber April um einen Punkt auf 53,9 Punkte. Analysten hatten im Schnitt lediglich mit einem Rückgang auf 54,6 Punkte gerechnet. Dabei gab der Indikator für den Dienstleistungssektor überraschend deutlich nach, während die Industrie-Kennzahl unerwartet sank. Weiterhin deutet die Industriestimmung mit weniger als 50 Punkten auf eine Schrumpfung hin, wohingegen die Service-Kennzahl über der Schwelle liegt und damit Expansion nahelegt.
Die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs verzeichnete S&P zufolge im Mai erneut ein starkes Wachstum, das weiterhin von der nach der Pandemie steigenden Nachfrage im Dienstleistungssektor, insbesondere bei den Verbrauchern und den Finanzdienstleistungen, angetrieben worden sei. Das Gastgewerbe habe durch die Feierlichkeiten zur Krönung von Charles III. zusätzlichen Auftrieb erhalten. Der Wachstumsschub führe jedoch zu einem erneuten Inflationsdruck. Die Dienstleister haben demnach Schwierigkeiten, die Nachfrage zu befriedigen. Sie bieten daher nicht nur höhere Löhne, um Mitarbeiter zu gewinnen, sie können auch mehr für ihre Dienstleistungen verlangen.