US-Technologiesektor

Ultima Ratio

Lange Zeit schien es, als würden sich nur die EU-Behörden an der gigantischen Marktmacht der US-Technologieriesen und den immer häufiger auftretenden Missbrauchsfällen abarbeiten. Aber jetzt sind die Unternehmen gewarnt. Denn auch die US-Regierung...

Ultima Ratio

Lange Zeit schien es, als würden sich nur die EU-Behörden an der gigantischen Marktmacht der US-Technologieriesen und den immer häufiger auftretenden Missbrauchsfällen abarbeiten. Aber jetzt sind die Unternehmen gewarnt. Denn auch die US-Regierung hat die Ikonen Amerikas aufs Korn genommen – und fährt schwere Geschütze auf. Die Kartellaufsicht FTC droht Facebook sogar mit einer Zerschlagung: Die Übernahmen von Whats­app und Instagram sollen sogar rückabgewickelt werden. Im Gegensatz zu Europa hat dieses Mittel als Ultima Ratio in den USA durchaus Tradition. Und das nicht nur aufgrund legendärer Unternehmensimperien wie US Steel oder Standard Oil, deren Entflechtung in aufsehenerregenden Prozessen zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Ende einer Ära markierte. Gerade auch im Technologiesektor haben die Behörden schon mehrfach gegen dominante Konzerne auf Zerschlagung gesetzt. Bekannte Beispiele sind die Klage gegen Bell System sowie die Mammutprozesse gegen IBM und AT&T und nicht zuletzt gegen Microsoft.

Nur im Falle von AT&T kam es zur Abspaltung von sieben lokalen Telekomgesellschaften, den sogenannten Baby Bells. Aber auch diese Entflechtung war nicht von Dauer. Stattdessen zeigte die Branche schon zwei Jahrzehnte später einen erheblichen Drang zur Konzentration, der von den Behörden nicht gestoppt wurde. Im Ergebnis gibt es heute nur drei landesweit operierende Telekomnetzbetreiber in den USA: AT&T, Verizon und T-Mobile US. Bei Bell System und später bei IBM führten die Zerschlagungsversuche nicht direkt zum Ziel. Bell System, der eine Monopolisierung von Telefontechnik vorgeworfen wurde, stellte all ihre Patente zur freien Verfügung. IBM trennte Hardware-Sparte und Software-Bereich. Der Schritt führte bekanntlich zum Aufstieg einer neuen gigantischen Industrie mit Microsoft an der Spitze. Deren Konflikt mit der Regierung aufgrund des Missbrauchs von Marktmacht im sogenannten „Browser War“ endete mit einem Vergleich, der diesen Markt wieder für Wettbewerb öffnete und gerade den heutigen Big Tech Companies den Weg ebnete.

Im Technologiesektor blieb die Zerschlagung oft eine Drohkulisse, die nicht mit letzter Konsequenz umgesetzt wurde. Der jeweils gefundene Kompromiss setzte jedoch weit mehr Innovationen frei, als dies mit der tatsächlichen Zerschlagung klassischer Konzerne gelang. Allerdings ist der Aufstieg der Digitalwirtschaft wie kaum ein anderer Innovationssprung mit der Entstehung von „natürlichen“ Monopolen verbunden. Bei diesen sind die gefährlichen Nebenwirkungen zwar dieselben wie bei anderen Monopolen auch, allerdings haben sie auch Vorteile, bei denen es nicht sinnvoll ist, sie wegzunehmen. So gewinnt Google ihre Effizienz und auch den Nutzen für die Konsumenten durch Skaleneffekte. Nur durch diese kann die Plattform so günstig bzw. kostenlos bereitgestellt werden. Gleiches gilt für Facebook auf der Nachfrageseite: Ist nur ein Teilnehmer auf Facebook, ist der Nutzen minimal, sind es viele, ist er maximal.

Obwohl Monopole hier für Konsumenten von größerem Nutzen sind als andere Marktstrukturen, müssen die Wettbewerbshüter sich dennoch vorhalten lassen, bei Akquisitionsfeldzügen der Tech-Riesen lange zugeschaut zu haben. Der Kauf von Youtube durch Google oder von Skype und Linkedin durch Microsoft fielen ebenso durchs Raster wie die Übernahmen von Whatsapp und Instagram durch Facebook. Die Ursache dieser Blindheit liegt allerdings in einem Wettbewerbsrecht, das den Herausforderungen der Digitalwirtschaft nicht gerecht werden kann. Derzeit fußt ein Urteil der Behörden über eine dem Wettbewerb unzuträgliche Marktmacht auf klassischen Kriterien wie Umsatz und Ergebnis in betroffenen Märkten. Das Problem: Weder Google noch Microsoft noch Facebook hatten zum Zeitpunkt der genannten Übernahmen überhaupt einen Fuß in der Tür in den relevanten Märkten. Die Zielobjekte wiederum waren Start-ups, mit Umsätzen, die im Gesamtgefüge der Konzerne kaum mehr als ein Rundungsfehler waren. Die mittelbare Bedeutung dieser Start-ups für die Reichweite der Konzerne und ihre Position in der Digitalwirtschaft wurde nicht erkannt.

Ob eine Zerschlagung oder Rückabwicklung von Übernahmen für den Wettbewerb zum Ziel führt, ist indes keineswegs sicher. Angesichts der Schnelllebigkeit im Technologiesektor hat die EU zu Recht Zweifel an dieser Ultima Ratio. Eine jüngst von US-Behörden ins Spiel gebrachte Überlegung, ab einem bestimmten Transaktionsvolumen grundsätzlich eine vertiefte Prüfung anzusetzen, scheint da zielführender zu sein.