Im InterviewMartin Babilas

Altana nutzt Krise für Akquisitionen

Der Spezialchemiekonzern Altana nutzt die konjunkturelle Krise für Akquisitionen. Mit der Übernahme der Von Roll Holding ist das Pulver längst nicht verschossen, macht Vorstandschef Martin Babilas im Interview deutlich.

Altana nutzt Krise für Akquisitionen

Im Interview: Martin Babilas

Altana nutzt Krise auch für Akquisitionen

Mit der Übernahme von Von Roll ist das „Pulver noch nicht verschossen“ – Vorstandschef schließt sich Forderung nach Industriestrompreis an

Mit der Übernahme der Schweizer Von Roll Holding setzt Altana einen Kontrapunkt zur konjunkturellen Krise. Sein Pulver hat der Spezialchemiekonzern damit jedoch noch nicht verschossen. Ungeschoren kommt Altana zwar nicht durch den Abschwung, doch blickt Vorstandschef Martin Babilas im Interview lieber auf die Chancen, die sich aus dem harzigen Umfeld ergeben.

Herr Babilas, noch im März hatten Sie für den laufenden Turnus mit einer leichten Umsatz- und Ergebnissteigerung gerechnet. Was erwarten Sie nun, nachdem Umsatz und Ergebnis im ersten Halbjahr um 11% respektive 27% nachgegeben haben?

Zu Anfang des Jahres hatten wir mit einer konjunkturellen Erholung ab dem zweiten Quartal gerechnet. Diese Annahme wurde nicht erfüllt. Jetzt erwarten wir im Gesamtjahr einen Umsatzrückgang im hohen einstelligen Prozentbereich, den erwarteten Ergebnisrückgang haben wir nicht quantifiziert. Er wird sich aber voraussichtlich gegenüber dem ersten Halbjahr abschwächen.

Eine prononcierte Nachfrageschwäche, die sich über alle Regionen und alle Geschäftsbereiche erstreckt, prägt das Geschehen in der Chemieindustrie. Wann rechnen Sie mit einer Trendwende?

Im zweiten Halbjahr erwarten wir keine nennenswerte Belebung. Aber wir gehen davon aus, dass wir im nächsten Jahr wieder Wachstumsimpulse sehen werden. Regional ist das vor allem für Nordamerika als auch für Asien zu erwarten. Außerdem beruht ein Großteil der aktuellen Nachfrageschwäche auf Lagereffekten. Das wird irgendwann enden.

Der Lagereffekt erscheint im jetzigen Zyklus extrem ausgeprägt. Woran liegt das?

Das liegt an den Lieferkettenproblemen im Nachgang zur Pandemie. Auch wir mussten uns 2021 sehr um benötigte Rohstoffe bemühen. Das hat dazu geführt, dass in der gesamten Industrie alle Beteiligten erhöhte Sicherheitsbestände aufgebaut haben. Dann hat sich die Konjunktur gedreht. Das Ausmaß der Bevorratung und die Folgen sind deutlich größer als in einem normalen Zyklus.

Die Entwicklung in China dürfte in regionaler Hinsicht die größte Enttäuschung und Fehleinschätzung gewesen sein. Wie schätzen Sie die konjunkturellen Perspektiven für die Volksrepublik ein?

Die größte Herausforderung ist sicherlich der Immobilienmarkt in China, der in den letzten Jahren einen Großteil der wirtschaftlichen Dynamik geprägt hat. Davon sind die Bauindustrie und auch einige unserer Abnehmerindustrien betroffen. Beispielsweise wenn es um Farben, Fassadengestaltung oder auch Immobilienausstattung mit Haushaltsgeräten geht. Das ist eine der wesentlichen Ursachen, warum China bislang noch nicht die erwartete Trendwende gezeigt hat. Ich bin aber sicher, dass wir in den nächsten Jahren wieder Wachstumsimpulse aus China sehen werden. Denn China ist ein großer Markt und hat immer noch eine Menge Aufholpotenzial. Wir haben in China eine Reihe von Wachstumschancen, gerade im Bereich der E-Mobilität.

Der Umsatzanteil von Altana in China beläuft sich auf knapp ein Fünftel. Wie sieht Ihre China-Strategie aus?

Wir sehen uns in China sehr gut aufgestellt. Unsere Märkte sind weltweit und wir wollen in allen wesentlichen Märkten vertreten sein.

Sehen Sie Anpassungsbedarf mit Blick auf die von der Bundesregierung formulierte China-Strategie und die geopolitischen Herausforderungen?

Natürlich sehen wir den. Aber wir sind heute in China schon fast ein lokaler Spieler mit entsprechender Wertschöpfung vor Ort. Von daher haben wir eine gute Basis, um mögliche geopolitische Entwicklungen auch gut begleiten zu können.

Schaut man sich die Umsatz- und Mitarbeiteraufteilung von Altana an, fällt auf, dass Sie umsatzseitig nahezu eine Drittel-Aufteilung (USA, Europa, Asien) haben, 65% der Beschäftigten jedoch in Europa arbeiten. Ist das dauerhaft haltbar?

Wir sind in den letzten Jahren gut damit gefahren. Allerdings hat es auch schon Verschiebungen in Richtung außerhalb Europas gegeben. Unser Ziel ist, weltweit vertreten zu sein. Wir bauen Ressourcen dort auf, wo wir sie brauchen. Mit unserer heutigen Aufstellung können wir wettbewerbsfähig arbeiten, aber unser Ziel ist natürlich schon, unsere Strukturen nah am Kunden aufzubauen. Deshalb haben wir in den letzten Jahren schwerpunktmäßig außerhalb Europas investiert. Das Thema wird uns auch künftig begleiten.

Die Globalisierung hat dazu geführt, dass Zulieferindustrien ihren Kunden in die Welt gefolgt sind. Zugleich warnt die deutsche Industrie jetzt lautstark vor Abwanderung. Wie berechtigt ist diese Warnung?

Wenn man sich anschaut, wie sich die Industrie in den letzten anderthalb Jahren entwickelt hat, muss man die Warnung ernst nehmen. Für die Industrie insgesamt ist das Kostengefüge, allen voran die Energiekosten, schon ein ganz wesentlicher Faktor, unabhängig davon, dass Altana davon deutlich weniger betroffen ist. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es in anderen Regionen deutlich bessere Standortbedingungen gibt, und das berücksichtigen globale Unternehmen bei Investitionsentscheidungen.

Schließen Sie sich, auch wenn Sie kaum betroffen sind, der Forderung nach einem Industrie- oder Brückenstrompreis an?

Wir haben immer gesagt, dass wir einen deutlichen Ausbau von erneuerbarer Energie brauchen. Eine Energieversorgung, die zugleich die Energiewende berücksichtigt. Das ist aus unserer Sicht der entscheidende Punkt. Wir brauchen erstens eine sichere und ausreichende Versorgung mit erneuerbarer Energie. Zweitens muss sie bezahlbar sein und einen Anreiz bieten, um von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Über die Anreizfunktion wird aus unserer Sicht viel zu wenig geredet. Da wäre ein Brückenstrompreis oder wie immer man ihn auch nennt schon ein sinnvolles Instrument.

Braucht Deutschland als Hochlohn- und Hochenergiekostenland eine Grundstoffindustrie?

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir hier über Wertschöpfungsketten sprechen. Wertschöpfungsketten gehen über Branchengrenzen hinaus. Die Chemie steht an vielen Stellen am Beginn der Wertschöpfungskette. Es gilt zu berücksichtigen, dass wir ein rohstoffarmes Land sind und Importeur vieler Ausgangsstoffe. Die Industrien, die damit Wertschöpfung betreiben, sind wichtig, denn die Ketten sind nicht beliebig zerteilbar. Deshalb ist es aus meiner Sicht ein gefährlicher Weg, wenn ein Land wie Deutschland, das von der industriellen Wertschöpfung lebt, meint, auf gewisse Teile der Wertschöpfung verzichten zu können.

Also weiter wie bisher?

Wir müssen beachten, dass wir eine Industrie haben, die den Wandel hin zu Klimaneutralität schaffen muss, und wir müssen berücksichtigen, dass wir in Deutschland nur dann auf Dauer erfolgreich sind, wenn wir Innovationen anbieten können, die anderen überlegen sind. Dafür brauchen wir eine Umgebung, in der Bildung und Innovation die Grundlage für weiteren Wohlstand liefern. Das halte ich in Summe noch für entscheidender als die Diskussion über Kostenniveaus und bestimmte Industrieteile. Für uns als Gesellschaft muss das der Schlüssel sein für weitere Prosperität.

Altana hat trotz der schwierigen Rahmenbedingungen die F&E-Ausgaben im ersten Halbjahr weiter gesteigert. Wie lange halten Sie das durch?

Die Historie zeigt, dass wir das über die Zyklen immer konnten. Wir können und wollen Wachstum der Zukunft über Innovationen befeuern. Dabei blicken wir bei unseren Innovationsaktivitäten über die aktuelle Situation hinaus. Unsere heutigen Innovationsausgaben helfen uns ja nicht im zweiten Halbjahr dieses Jahres, sondern sie führen zu Wachstum in der Zukunft. Daher braucht man bei Innovationsaktivitäten auch einen gewissen Atem. Das können wir uns auch deshalb leisten, weil wir kapital- und finanzstark sind. Wir haben die Mittel, unser Geschäft auch mit Blick auf die langfristigen Erfolgschancen weiterzuentwickeln.

Inwieweit hilft Ihnen dabei, dass Sie nicht mehr börsennotiert sind?

Das ist sicher ein positiver Aspekt. Seit dem Weggang von der Börse können wir unsere Strategie noch konsequenter verfolgen.

Pocht Ihre Eigentümerin Skion, die Beteiligungsholding von Susanne Klatten, nicht auf Dividende?

Das Entscheidende für unsere Aktionärin ist der langfristige Erfolg des Unternehmens. Was notwendig ist, um den Erfolg zu sichern, wird getan. Hier sind wir in ganz engem Einvernehmen.

Mit der Akquisition der Schweizer Von Roll Holding AG nutzen Sie zugleich die Schwäche der Wettbewerber. Wenn das öffentliche Angebot das erwünschte Ergebnis bringt, dürften Sie mehr als 320 Mill. Euro ausgeben. Haben Sie Ihr Pulver damit verschossen?

Zunächst einmal ist Von Roll aus unserer Sicht ein attraktives, innovatives Unternehmen. Deshalb ist es für uns eine Chance, die Elantas und Von Roll zu einem noch schlagkräftigeren Unternehmen für die Energie- und Mobilitätswende weiterzuentwickeln.

Aber es gibt ja einen Grund, warum der Mehrheitsaktionär aussteigt.

Der Mehrwert entsteht aus der Kombination, und die Elantas ist aus unserer Sicht der bessere Eigentümer. Gleichwohl haben wir unser Pulver mit dieser Akquisition nicht verschossen. Da ist sicher mehr möglich. Aber mehr nur dann, wenn wir interessante Opportunitäten finden. Dass uns das in den nächsten Jahren gelingt, davon bin ich überzeugt.

Das schwierige konjunkturelle Umfeld dürfte die Akquisitionsmöglichkeiten doch sicher erhöhen.

Das ist unsere Erwartung und wir schauen uns aktiv um. Wenn es so weit ist, lassen wir es Sie wissen.

Das schwierige Umfeld zwingt zahlreiche Wettbewerber, Sparprogramme aufzulegen und teilweise auch Anlagen zu schließen. Wo gibt es im Portfolio von Altana Optimierungsbedarf?

Es gibt regelmäßig Optimierungsbedarf. Wir haben aber schon immer darauf geachtet, dass wir unsere Hausaufgaben machen, damit unsere Aktivitäten einen Wertbeitrag liefern. Die aktuelle Situation bildet keine Ausnahme und ja, auch wir achten auf die Kosten und das Working Capital. Natürlich gibt es auch Projektverschiebungen auf der Zeitachse. Aber wir haben in der Vergangenheit stets darauf geachtet, in sauberen Strukturen zu arbeiten.

Liegt das auch daran, dass Sie so stark spezialisiert sind?

Das ist sicher ein Vorteil. Wir bespielen Spezialitätenmärkte und haben eine sehr agile, flexible Organisationsstruktur. Das hilft uns auch in diesen Zeiten.

Das Interview führte Annette Becker.

Das Interview führte Annette Becker.

Ein Brückenstrompreis oder wie immer man ihn auch nennt, wäre schon ein sinnvolles Instrument.