Aufsichtsräte tasten sich an KI erst heran
Aufsichtsräte tasten sich an KI erst heran
Gremien stehen bei praktischer Anwendung noch vor Herausforderungen
sar Frankfurt
Künstliche Intelligenz wird für die Aufsichtsratsarbeit wichtig – darüber herrscht breiter Konsens. Doch es hapert an der Umsetzung. Laut einer noch unveröffentlichten Studie von Alix Partners, in die unter anderem 40 Tiefeninterviews eingeflossen sind und die der Börsen-Zeitung vorliegt, nutzen derzeit erst 55% der befragten Aufsichtsräte selbst künstliche Intelligenz in der Gremienarbeit. Die Studie sieht ein Hemmnis in der oft noch geringen technischen Expertise. „Viele Aufsichtsratsmitglieder können Modellrisiken oder Wertpotenziale nicht eigenständig beurteilen“, schreiben die Autoren. Dies lasse sich durch externe Berater „nur bedingt“ kompensieren. „Die Kompetenzen in Aufsichtsräten sind aktuell nicht groß genug, um die kommende KI-Welle bewältigen zu können“, zitiert die Alix-Partners-Studie Claudia Borgas-Herold, Mitglied des Aufsichtsrats bei der Ionos Group.
Aufsichtsräte müssen Risiken beurteilen können
Robert Wendeborn, Partner bei Alix Partners und einer der Studienautoren, sieht KI-Kompetenz „bei einzelnen Aufsichtsräten“, und dies in unterschiedlichen Ausprägungen. „In der Breite ist jedoch ein weiterer Ausbau notwendig“, sagt er. Oberflächliche KI-Trainings genügen seiner Einschätzung nach nicht mehr, um Modellrisiken eigenständig beurteilen zu können, die Kontrollfunktion des Aufsichtsrats zu erfüllen und zugleich als strategischer Berater zu fungieren.
In einer im Januar veröffentlichten Befragung der Hochschule Macromedia gab von 20 befragten Aufsichtsratsmitgliedern nur eine Person an, sie sei Experte im Thema. Auch der jüngste „Praxis-Impuls“ der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) betont, dass die Beschäftigung mit KI „nicht nur eine Aufgabe des Vorstands ist, sondern auch den Aufsichtsrat in seinen beiden zentralen Rollen betrifft – sowohl als Kontrollorgan als auch als strategischer Sparringspartner des Vorstands".
KI als Teil der Entscheidungsfindung
Zwar müsse der Aufsichtsrat nicht zwingend mit KI-Experten besetzt sein, sagt Clara Christina Streit, Vorsitzende der Regierungskommission. „Der Einsatz von künstlicher Intelligenz in einem Aufsichtsrat setzt keine Spezialkenntnisse voraus – wohl aber ein gemeinsames Grundverständnis über Funktionsweise, Möglichkeiten und Grenzen.“ Auch eine geeignete KI-Governance als Regelwerk für den Einsatz findet sie wichtig.
Die Regierungskommission DCGK sieht auch eine haftungsrechtliche Frage auf die Aufsichtsräte zukommen. Hintergrund ist die sogenannte Business Judgement Rule, die den Rahmen für Sorgfaltspflichten der Gremienmitglieder setzt. „Je leistungsfähiger KI-Systeme werden, desto stärker rückt ihre Berücksichtigung in den Fokus der Aufsichtspflicht“, mahnt die DCGK im Praxis-Impuls. Nach Maßgabe der Business Judgement Rule könne es künftig relevant werden, ob ein Aufsichtsrat KI angemessen in seine Entscheidungsfindung einbezogen hat. „Noch gibt es keine bindenden Vorgaben, was den Einsatz und die Nutzung von KI-Systemen im Aufsichtsrat anbelangt“, erklärt Streit. „Doch mit wachsender Leistungsfähigkeit wird es immer schwieriger werden, deren Nicht-Einsatz sinnvoll zu begründen.“
Kandidaten mit Expertise rar gesät
Kandidaten, die KI-Expertise in ein Gremium mitbringen könnten, sind rar gesät. „Ideale Kandidaten kombinieren technische Expertise mit Branchenverständnis und Governance-Erfahrung“, sagt Wendeborn. Solche Profile gebe es aber „nicht wie Sand am Meer.“ Beliebt seien beispielsweise ehemalige Chief Technology Officers sowie Experten im Bereich digitale Transformation.