Neue F&E-Strategie

Bayer strebt in der Pharma unter die Top 10

Viel Hoffnung im Spiel: Bayer will in der Pharma wieder zu den Top 10 in der Welt gehören. Gen- und Zelltherapien sollen künftig den Unterschied machen.

Bayer strebt in der Pharma unter die Top 10

Im Pharmageschäft sucht Bayer Anschluss an Top 10

Große Hoffnung ruht auf Plattformtechnologien – Zell- und Gentherapien im Kampf gegen Parkinson – Integrierter Ansatz

Von Annette Becker, San Sebastián

Bayer ist im Ranking der weltweit größten Pharmaunternehmen auf Rang 17 abgerutscht. Damit gibt sich Pharmachef Stefan Oelrich nicht zufrieden. „Ich möchte weltweit in die Top 10 kommen“, sagte der Manager auf einer Presseveranstaltung. Große Hoffnung ruht dabei auf den noch jungen Biotechunternehmen BlueRock, AskBio und Vividion.

First in class, best in class or nothing – das ist die neue F&E-Strategie, die Bayer in der Pharmasparte verfolgt. Das heißt, Wirkstoffe werden nur noch entwickelt, wenn sie das Potenzial haben, den bisherigen Therapiestandard zur Behandlung von Krankheiten grundlegend zu verändern. Damit ist der Risikohebel hochgezogen, zumal Bayer nur noch in den Therapiegebieten Kardiologie, Onkologie, Zell- und Gentherapien sowie Immunologie forscht. Doch wenn der Plan aufgeht, steht der Bayer-Division eine rosige Zukunft bevor, ist Pharmachef Stefan Oelrich zutiefst überzeugt.

„Forschung und Entwicklung (F&E) ist immer riskant“, sagte Oelrich auf einer Presseveranstaltung in San Sebastián. Eine breitere Aufstellung helfe zwar, das Risiko zu diversifizieren. „Aber für Me-too-Produkte gibt es auch keine Innovationsprämie“, gibt der Manager zu bedenken. Die Ambitionen sind groß: „Heute stehen wir in der Pharma weltweit auf Platz 17. In Europa und China sind wir schon unter den Top 10. Ich möchte weltweit unter die Top 10 kommen“, bekennt Oelrich, relativiert aber sogleich, dass dies kein Ziel, sondern eine Vision sei. Die Folge: „Wir müssen uns in der Pharma strecken.“

Biotech statt Chemie

Die Pharmaforschung, glaubt Oelrich, hat sich in den vergangenen Jahren fundamental verändert. Chemie, die im vorigen Jahrhundert die Arzneimittelforschung bestimmt habe, sei nicht mehr länger das Maß aller Dinge. Heute stünden vielmehr Zell- und Gentherapien im Zentrum. Zu diesem Zweck haben die Leverkusener in den vergangenen Jahren mit BlueRock Therapeutics (Zelltherapie), AskBio (Gentherapie) und Vividion (Wirkstoffforschung) drei Biotechunternehmen erworben, welche die Zukunft des Pharmageschäfts von Bayer bestimmen.

Bei allen drei Firmen handelt es sich um Technologieplattformen. Will heißen: Wenn auf Basis der neuen Technologie eine erste Therapie am Markt ist, lassen sich nach diesem Muster Therapien für andere Krankheiten nachbauen.

Die jüngsten Entwicklungen machen durchaus Mut: In der vorigen Woche wurde der erste Patient in die Phase-III-Studie für den Zelltherapie-Kandidaten Bemdaneprocel aufgenommen. Die Zelltherapie wird zur Behandlung der Parkinson-Erkrankung entwickelt und ist ein völlig neuer Therapieansatz. Im Kampf gegen Parkinson befindet sich Bayer damit in der Pole-Position.

Entwicklung weit fortgeschritten

Die Therapie, bei der embryonale Stammzellen in das Gehirn der Patienten implantiert werden, soll zur Regeneration der durch die Krankheit zerstörten neuronalen Netzwerke führen. Auch die US-Gesundheitsbehörde FDA hat das Potenzial des neuen Ansatzes erkannt und der weiteren Entwicklung einen besonderen Status zuerkannt. Von Phase I der klinischen Entwicklung konnte Bayer direkt in eine kombinierte Phase II/III eintreten, die zur Zulassung berechtigt.

Bis Ende 2026 soll die Rekrutierung der gut 100 Patienten abgeschlossen sein. Die Studie dauert 18 Monate. Läuft alles nach Plan, könnte die Therapie noch 2029 zugelassen werden. Dass nur so wenige Patienten für die Phase-III-Studie erforderlich sind, hängt mit der Therapieform zusammen, handelt es sich bei der Zelltransplantation doch um einen irreversiblen Eingriff, der nur an Parkinson-Erkrankten vorgenommen werden darf.

Herausforderung Business Case

Den Zell- und Gentherapien ist gemein, dass sie nicht an der Linderung der Symptome ansetzen, sondern auf die Heilung der Krankheit abzielen. Auch in der Gentherapie gibt es einen Entwicklungskandidaten (AB-1005) gegen Parkinson. Er befindet sich in Phase II der klinischen Entwicklung und könnte ebenfalls bis zum Ende der Dekade zugelassen werden.

Wie sich daraus ein Business Case stricken lässt, steht allerdings dahin. Denn die Therapien sind darauf ausgerichtet, mit einmaliger Anwendung das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Es lässt sich unschwer erahnen, wie sich das im Preis niederschlagen muss. Noch sei es zu früh, über Preismodelle zu sprechen, heißt es bei Bayer unisono. Zu spekulieren sei unseriös, stehe die Entwicklung doch erst am Anfang der entscheidenden klinischen Entwicklungsphase.

Die Produktion von Gentherapien in größerem Umfang ist extrem komplex. Quelle: Bayer
Bayer

Auf dem Weg zur Kommerzialisierung gilt die Produktion sowohl in der Zell- als auch in der Gentherapie als Flaschenhals. Bayer geht dieses Thema mit einem integrierten Ansatz an. In beiden Therapiegebieten decken die Leverkusener die komplette Wertschöpfungskette von der Forschung bis zur Produktion ab. Auf dem Gebiet der Gentherapie ist die AskBio-Tochter Viralgen mit Sitz in San Sebastián als Auftragsfertiger für die Produktion verantwortlich.

Um weltweit unter die Top 10 zu gelangen, will Bayer aber auch weiterhin auf Einlizenzierungen setzen. Den größten Werthebel gebe es, wenn ein Entwicklungskandidat kurz vor dem Eintritt in die klinische Entwicklung stehe. „Diese Ziele sind jedoch nicht leicht zu finden“, erläutert Oelrich. Um die weltweiten Vermarktungsrechte für Entwicklungskandidaten in der späten Entwicklung ist dagegen ein harter Preiswettbewerb entbrannt. Aufgrund ihrer tieferen Taschen macht bei diesen Wirkstoffen in der Regel Big Pharma das Rennen.

Längere Durststrecke

Angesichts der Fortschritte in der eigenen Entwicklungspipeline könne es sich Bayer leisten, nicht an diesem Wettstreit teilzunehmen, sagte Vorstandschef Bill Anderson. Die Leverkusener gehen inzwischen davon aus, den Umsatzausfall aufgrund des Patentablaufs des Thrombosehemmers Xarelto vollständig durch neue Produkte auffangen zu können. Zuletzt war die 2025er-Zielsetzung für die Pharma erhöht worden.

Ergebnisseitig dauert die Durststrecke noch etwas länger. Erst 2028 rechnet Bayer wieder mit einem Anstieg der operativen Umsatzmarge bezogen auf das bereinigte Ebitda. Doch wenn die noch jungen Plattformfirmen die in sie gesteckten Erwartungen erfüllen, könnte die Bayer Pharma tatsächlich wieder vorne mitspielen. Es ist viel Hoffnung im Spiel, doch die jüngsten Erfolge stimmen Oelrich zuversichtlich.