Die Energiewende braucht jetzt Klarheit und Ehrlichkeit
Die Energiewende braucht jetzt Klarheit und Ehrlichkeit
Von Marcus Wittig, Vorstandsvorsitzender DVV
Bis 2030 soll Deutschland seine CO2-Emissionen um zwei Drittel bezogen auf 1990 reduziert haben. Die Stromversorgung soll bereits 2035 vollständig CO2-frei sein. Dass die Energiewende aber weit mehr ist als eine Stromwende, wissen vor allem die Stadtwerke als die Versorger „auf der letzten Meile“. In ihrer täglichen Arbeit werden wie unter einem Brennglas viele Widersprüchlichkeiten zwischen allgemeinen politischen Absichtserklärungen auf Bundes- sowie Landesebene und deren konkreter Umsetzung vor Ort im Sinne der gesetzlich ebenso vorgegebenen sicheren, wettbewerbsfähigen und umweltschonenden Energieversorgung deutlich.
Kommunale Wärmeplanung
Dies betrifft aktuell vor allem die Ziele zu einer Wende im Wärmebereich: Hier sind die Erstellung verbindlicher kommunaler Wärmeplanungen bis spätestens 2028, der jährliche Zubau von rund 100.000 Netzanschlüssen im Fernwärmebereich und die zunehmende Erzeugung grüner Wärme im Bereich der Fernwärme vorgegeben. In Summe soll der Anteil der – dann immer grüneren – Fernwärme an der gesamten Wärmeversorgung auf 40% bis 2030 wachsen. Da die Wärmeversorgung einen Anteil von 70% an der gesamten Endenergienachfrage der privaten Haushalte hat, sind diese Maßnahmen erfolgskritisch für die gesamte Wärmewende.
Es gehört jedoch nicht zu viel Mut zu der Prognose, dass diese Ziele nicht erreicht werden können. Die Liste der Gründe, die dagegensprechen, ist lang und beginnt dort, wo die aktuelle Bundesregierung in der Aufstellung ihres 2024er Bundeshaushalts die Förderung für effiziente Wärmenetze um 200 Mill. Euro reduziert hat. Noch schwerwiegender sind jedoch die strukturellen Defizite: In keiner Kommune Deutschlands stehen aktuell die Fachkräfte für ein so massiv auszulegendes städtisches Bauprogramm zur Verfügung, ebenso wenig wie die erforderlichen finanziellen Mittel zu dessen Umsetzung.
Absehbar ist, dass dieser Umbau, wenn er in Angriff genommen wird, auch den Preis für die „grünen“ Fernwärmelieferungen massiv erhöhen wird. Die Akzeptanz hierfür steht ebenso in den Sternen wie die der Bevölkerung für massive und lange Baustellen und Straßensperrungen, die für diese Umbauarbeiten erforderlich sein werden.
Grüner Wasserstoff in „Demeter-Qualität“
Die Probleme im Bereich der „grünen Wärmewende“ addieren sich zu den immensen Herausforderungen in anderen Feldern der Energieversorgung. Dies überrascht insofern nicht, als Deutschland bei diesem Umbau einen besonderen Wert auf die stets ökologisch beste Lösung zu legen scheint: Unter grünem Wasserstoff in „Demeter-Qualität“ soll es nach dem Wunsch mancher Politiker nicht vonstattengehen. Wie dieser Energieträger auch nur ansatzweise in den Mengen für Industrie und Versorger beschafft werden soll, der nach den Planungen der Bundesregierung für die Energiewende erforderlich ist, bleibt ein Rätsel.
Die verfügbaren Mengen an erneuerbaren Energien in Deutschland werden jedenfalls, so der Bundeswirtschaftsminister, den zukünftigen Wasserstoffbedarf in grüner Form nur zu einem Drittel decken können – zwei Drittel des Bedarfs müssen entsprechend importiert werden. Es gibt jedoch kein einziges Land auf der Welt, das grüne Energie für solche Exporte im Überschuss hat. Je höher der deutsche Import, umso größer die anschließenden ökologischen und klimapolitischen Defizite im Exportland. Nachhaltigkeit sieht anders aus.
Stromnetze werden zum neuralgischen Punkt
Diese Argumentation lässt sich einfach fortsetzen. In den kommenden 20 Jahren wird Deutschland mehr als 1 Bill. Euro in die Energiewende investieren müssen, wenn es die Klimaziele erreichen will. Rund die Hälfte davon entfällt auf die Stromnetze. Diese werden zum neuralgischen Punkt in der Transformation. Denn nur mit ihnen ist der erwartete Zuwachs an grüner Stromerzeugung überhaupt nutzbar und der wachsende Bedarf an Elektrizität in den Bereichen Strom, Wärme und Verkehr zu decken.
Damit Strom aber auch bei diesen Investitionen kein Luxusgut wird, müssen andere Belastungen, die den Stromverbrauch verteuern, radikal gesenkt werden. Und: Die Netzbetreiber brauchen eine finanzielle Ausstattung, die es ihnen ermöglicht, diese Investitionen vorzunehmen. Ist diese nicht gegeben, leidet die Ertragskraft der Stadtwerke und die Fähigkeit, den stets defizitären öffentlichen Nahverkehr auszugleichen. Das wäre fatal für die im Bereich des Verkehrs geplanten Transformationsmaßnahmen.
Dilemma
Wo liegt ein Ausweg aus diesem Dilemma? Wir müssen in erster Linie aufhören, immer neue und höhere Ziele zu addieren, bevor die vorhandenen erreicht sind. Wir müssen auf mehr Kosteneffizienz achten und die Maßnahmen so festlegen, dass sie auch verlässlich erreichbar sind. Alles andere führt zur Frustration und dazu, dass die Akzeptanz für die Energiewende weiter verloren geht. Das Vorgehen beim Gebäude-Energiegesetz hat das Gegenteil seines Zieles bewirkt: einen kurzfristig erhöhten Absatz an Gaskesseln und eine hohe Frustration bei den Hausbesitzern. Wir sollten bei den anstehenden Maßnahmen zum Fernwärmeausbau diese Fehler nicht wiederholen. Für den Netzausbau bedarf es eines abgestimmten und verstetigten Förderprogramms, weil ansonsten die Mehrkosten die Akzeptanz vor Ort für die Wärmewende unterminieren.
Gleiches gilt für die in den kommenden Jahren absehbar steigenden CO2-Preise, die von einem Klimageld begleitet werden müssen. Und auch die Bundesnetzagentur muss die veränderten Zinsbedingungen auf den internationalen Finanzmärkten in der Strom- und Gasnetzregulierung adäquat abbilden, weil ansonsten eine ehrliche Finanzierung der anstehenden Milliardeninvestitionen nicht gelingen kann.
Finanzierung offen
Der Duisburger DVV-Konzern hat bereits 2015 und 2017 erste, umfassende Programme zum Erreichen der Klimaneutralität vorgelegt und seitdem die CO2-Emissionen in der Energieerzeugung gegenüber 1990 um 70% gesenkt. Bis 2035 sollen mit einem abgestimmten Maßnahmenprogramm die Schritte hin zu einer CO2-neutralen Energie- und Verkehrsinfrastruktur erreicht sein. Hierfür sind Investitionen von mehr als 3 Mrd. Euro vorgesehen. Duisburg ist sich der Tatsache bewusst, dass es bei der CO2-Vermeidung mehr leisten muss als andere Städte, was sich aus der Besonderheit des Wirtschaftsstandorts und seiner industriellen Historie erklärt.
Wir wissen, dass für die Umsetzung eines solchen ambitionierten Programms Milliardeninvestitionen erforderlich sind, die über die Zeit verdient werden müssen. Duisburg hat wie die meisten anderen Kommunen in Deutschland nicht die finanzielle Kraft, das vorhandene Eigenkapital seiner kommunalen Beteiligungen-Gruppe beliebig weiter zu erhöhen. Die offene Frage der Finanzierung trifft in den Städten mit der Energiewende und der Verkehrswende gleich zwei Systeme, die häufig über einen Querverbund zusammen zu betrachten sind und transformiert werden müssen.
„Viel hilft viel“ ist also nicht der Königsweg bei begrenzten Finanzen und technischen Möglichkeiten der Umsetzung. Was hilft, ist die Einsicht, dass große Projekte Vorlauf und Fehlertoleranz brauchen und dass sie nur mit den Menschen vor Ort umsetzbar sein werden.