Autoaktien

Die Margenparty geht zu Ende

Die deutschen Autohersteller erwirtschaften in diesem Jahr so hohe Umsatzrenditen wie nie zuvor. Doch wird die Profitabilität der Unternehmen sukzessive nachlassen.

Die Margenparty geht zu Ende

Von Stefan Kroneck

Die deutschen Autowerte BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen glänzen derzeit zwar in ihren operativen Geschäften mit Margen, von denen das Dax-Trio vor Jahren nur hätte träumen können. Trotz eines abermals weltweit einbrechenden Pkw-Absatzes erwirtschaften diese drei Blue Chips im laufenden Jahr so hohe zweistellige Umsatzrenditen wie nie zuvor in ihren Unternehmensgeschichten. Grund dafür ist eine Knappheit an Fahrzeugen wegen pandemie- und kriegsbedingter Lieferengpässe. Doch die Anleger honorieren die deutlich verbesserte Profitabilität nicht. Aufgrund der von den führenden Notenbanken der Welt avisierten Zinswende, einer steigenden Inflation und der wachsenden Furcht vor einer weltweiten Rezession infolge des Ukraine-Kriegs brechen mit den Turbulenzen an den Börsen auch die Aktien vieler Autowerte ein.

In diesem Jahr hat sich die Talfahrt der Titel der Konzerne aus München, Stuttgart und Wolfsburg beschleunigt. Die Richtung der Titel geht mit dem allgemeinen Trend in einem typischen Bärenmarkt nach unten. Während der deutsche Leitindex Dax seit Jahresanfang über 17 % einbüßte, verloren die BMW-Stämme in etwa gleicher Größenordnung. Die Aktie des weiß-blauen Konzerns lag zuletzt mit rund 78 Euro sogar um 22 % unterhalb des 52-Wochen-Hochs von etwas über 100 Euro, welches im Januar verzeichnet wurde.

Die VW-Vorzüge gingen seit Anfang 2022 sogar fast um ein Viertel in den Keller. Der Kurs des Anteilscheins des Mehrmarkenkonzerns lag dieser Tage mit 144 Euro mehr als ein Drittel unter dem im Frühsommer 2021 erreichten 52-Wochen-Hoch von seinerzeit nahezu 225 Euro. Lediglich die Papiere von Mercedes-Benz weisen mit einem Rückgang von „nur“ etwas über 9 % die seit dem Jahresstart 2022 „beste“ Kursperformance unter den drei Adressen auf (vgl. Tabelle über Autoaktien). Gegenüber dem im Februar erreichten 52-Wochen-Hoch von fast 78 Euro entsprach der zuletzt auf dem Kurszettel verzeichnete Wert von 63 Euro einem Rückgang von rund einem Fünftel.

Tesla-Blase platzt

Im Vergleich zu den drei traditionsreichen Schwergewichten eines der wichtigsten Wirtschaftszweige Deutschlands schmiert der kleinere Herausforderer aus den USA noch deutlicher ab. Die Tesla-Blase ist faktisch am Platzen. Im gleichen Zeitraum ging die Aktie des Elektroautobauers von Elon Musk um fast zwei Fünftel in den Keller. Das Unternehmen aus Kalifornien und Texas notierte zuletzt an der Nasdaq bei 715 Dollar. Zur Erinnerung: Im Herbst vergangenen Jahres erreichte der Titel mit 1.243 Dollar seine bisherige Höchstmarke.

Seinerzeit war Tesla über 1 Bill. Dollar wert. Seitdem ist ein Marktwert von rund 300 Mrd. Dollar zerbröselt. Aktuell bringt Tesla umgerechnet über 700 Mrd. Euro auf die Waage. Das ist mehr als das Dreifache dessen, was BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen zusammen als Marktkapitalisierung darbieten können.

Angesichts der in Relation zu Wettbewerbern nach wie vor hohen Marktkapitalisierung von Tesla ist die Einschätzung mancher, die Firma sei immer noch völlig überbewertet, nachvollziehbar. Das veranschaulicht das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Mit Blick auf die durchschnittlichen Analystenerwartungen für den Gewinn je Aktie im laufenden Jahr kommt Tesla auf ein KGV von 72. Im Vergleich dazu sind die Werte für BMW (4), Mercedes-Benz (5,7) und VW (4,4) sehr bescheiden. Der italienisch-französisch-amerikanische Volumenhersteller Stellantis, die Muttergesellschaft von Opel, verzeichnet ein KGV von 2,9. Das sind nach herkömmlichen Maßstäben typische Signale für einen Kauf dieser Papiere. Doch in einem von hoher Unsicherheit geprägten Umfeld wächst die Risikoaversion der Anleger. Niedrige KGVs bieten derzeit keinen überzeugenden Anreiz, tatsächlich zuzugreifen. Eine breite Trendwende an den Aktienmärkten rückt daher noch in weite Ferne. Für Analysten wird es schwieriger, auf dieser Basis überzeugende Aktieneinschätzungen mit Kurszielen abzugeben, wenn die Fundamentaldaten aufgrund der wachsenden Unsicherheit als Entscheidungsgrundlage für einen Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers für die breite Masse vor allem der Kleinanleger nicht mehr so stark ins Gewicht fallen wie in der zurückliegenden Hausse an den weltweiten Börsen.

In Zeiten wachsender Volatilitäten an den Kapitalmärkten achten allerdings langfristig orientierte professionelle Investoren wie Pensionskassen und Versicherer mit einem strukturierten Anlagehorizont mehr denn je auf die Finanzeckdaten, die Prognosen der Konzernführung, die Strategien und die Qualität des Managements der Unternehmen im Allgemeinen. Darüber hinaus erhalten nachhaltige Kriterien wie ESG, das heißt Environment, Social und Governance, eine immer stärkere Bedeutung für Anlageentscheidungen.

In Bezug auf seine Innovationskraft und Visionen hat Musk den angestellten Vorstandschefs der Konkurrenten unstrittig vieles voraus. Dank seiner Hartnäckigkeit hat der CEO von Tesla es tatsächlich geschafft, das Unternehmen aus den tiefroten Zahlen zu führen und mittlerweile operative Umsatzrenditen zu erwirtschaften, die mit rund 20 % an das Niveau des Sportwagenbauers Porsche heranreichen. Musk beweist, dass mit der Produktion und dem Verkauf rein batteriebetriebener Pkw ordentlich Geld verdient werden kann.

Mit ihrem eingeschlagenen Vorwärtsgang treibt Tesla mittlerweile die etablierten deutschen Adressen vor sich her. Denn der aufstrebende Elektrowagenbauer hat einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: den Zeitfaktor. Während sich BMW, Mercedes-Benz und VW noch mitten in einem kostenaufwendigen Transformationsprozess in Richtung Elektromobilität befinden, hat die ehemalige Start-up-Firma dies längst vollendet. Musk ist nun dabei, mit steigenden Fertigungskapazitäten Skaleneffekte auszunutzen. Und das bei einer geplanten reduzierten Mannschaft. Die Ankündigung der Konzernspitze, aufgrund der Abschwächung der Weltwirtschaft bis zu 3,5 % der Stellen – das sind über 3000 Arbeitsplätze – zu streichen, sorgte an jenem Tag im Juni für ein Kursplus von über 9 %, welches sich allerdings in den derzeitigen Turbulenzen an den Märkten als Strohfeuer erwies. Tesla jagt den größeren Wettbewerbern Marktanteile ab.

Musks entscheidende Schwäche

Allerdings hat Musk eine entscheidende Schwäche. Aufgrund seines atemberaubenden Erfolgs hält er sich augenscheinlich für unfehlbar und unangreifbar. Das zeigt zum Beispiel sein beratungsresistentes Verhalten in Bezug auf die Nutzung von Tweets, wenn es darum geht, kursrelevante Informationen zu verbreiten. Das sorgt immer wieder für hohe Kursausschläge und offene Fragen bei irritierten Anlegern. Erinnert sei dabei an seine überraschende Ankündigung vor vier Jahren, Tesla von der Börse zu nehmen. Warnschüsse der US-Börsenaufsicht SEC nimmt er offensichtlich nicht ernst genug, um seine besorgniserregende Kommunikationspolitik gegenüber Investoren zu ändern. Im Gegenteil. Musk macht so weiter. Das dürfte der Regulator in Washington sich nicht mehr auf Dauer mit ansehen. Musk drohen drastische Maßnahmen der einflussreichen Behörde.

Währenddessen profitieren die deutschen Hersteller ebenso wie Tesla vom verknappten Pkw-Angebot bei einer zugleich (noch) stabilen hohen Nachfrage. Das treibt die Verkaufspreise. Nachlässe im Neu- und Gebrauchtwagengeschäft gibt es derzeit kaum. Das sorgte für steigende Deckungsbeiträge, vor allem im Luxussegment. Dieses bauen BMW und Mercedes-Benz stetig aus. Zusätzliche Windfall Profits winken beiden Adressen im laufenden Jahr mit diesem Geschäftsmodell.

Dieses Konzept geht aber zulasten der Kompakt- und Mittelklassebaureihen, die länger auf dringend benötigte, aber knappe Mikrochips warten müssen, weil die Hersteller derzeit jene Fahrzeuge bei der Versorgung der knappen Ware Mikrochips bevorzugen, die renditeträchtiger sind als andere. Genau in dieses Segment stößt Tesla nun vor, wenn BMW und Mercedes-Benz offene Flanken bieten. Das sorgt für Verwässerungseffekte im Brot-und-Butter-Geschäft der deutschen Premiumhersteller. Vor allem BMW und Mercedes-Benz gehen hier auf strategischer Ebene ein Risiko ein, was sich später rächen könnte. Im Interview bezeichnet Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer diesen erweiterten Luxus-Ansatz in Bezug auf die Schwaben als Fehler von Vorstandschef Ola Källenius. Die Vernachlässigung beziehungsweise Aufgabe bisheriger Standardmodelle im Flottenangebot vergrault Kundengruppen, die den Unternehmen bislang die Treue hielten.

Derweil bleibt sich VW beim Thema Governance selbst treu: Bei diesem ESG-Kriterium zeigen die Niedersachsen besorgniserregende Schwächen im Vergleich zum BMW-Konzern, der in der Gesellschafterstruktur mit seinen beiden Großaktionären, den Geschwistern Stefan Quandt und Susanne Klatten, ebenfalls familiendominiert ist. Doch mit den längst aus der Zeit gefallenen VW-Gesetz und den weit verzweigten Unternehmerfamilien Porsche und Piëch, die faktisch zusammen über eine Stimmrechtsmehrheit verfügen, gleicht VW einem Biotop, welches schwer zu führen ist. Das VW-Gesetz verschafft dem Bundesland Niedersachsen mit einem Anteil von 20 % über diese Art der Goldenen Aktie ein einmaliges Vetorecht beziehungsweise eine Sperrminorität. Bei VW sitzt fortwährend die Politik mit am Tisch. Frühere Versuche der EU-Kommission, aus Wettbewerbsgründen dieses Gesetz abzuschaffen, waren gescheitert unter anderem am Widerstand Berlins.

Die Besonderheit der VW-Governance spürt Konzernchef Herbert Diess in regelmäßigen Abständen, wenn er aus Sicht der mächtigen Betriebsräte und der Gewerkschaft IG Metall mit seinem Modernisierungskonzept wieder mal weit übers Ziel hinausschießt. Hausinterne Reibereien, die auch über die Medien ausgetragen werden, gehören bei VW zur Tradition.

Branche bleibt krisenanfällig

Am Horizont verdüstert sich unterdessen die Lage für die weltweite Autoindustrie. 2022 geht voraussichtlich der globale Pkw-Markt das dritte Jahr in Folge zurück nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie im März 2020. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres verzeichneten die wichtigsten Absatzmärkte USA, China, Westeuropa mit Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien teils hohe zweistelligen Rückgänge. Die Hersteller sitzen auf Überkapazitäten. Das kostet viel Geld.

Hält diese Situation an, steigt der Druck auf manche Adressen, Stellen zu streichen. Dabei sind den deutschen Konzernen aber weitgehend die Hände gebunden. Ausgehandelte Arbeitsplatzgarantien mit den Betriebsräten machen umfangreichere Personalabbauprogramme für diese auf kurze bis mittlere Sicht undurchführbar. Vor diesem Hintergrund sind BMW, Mercedes-Benz und VW darauf angewiesen, mit dem Verkauf unter anderem teurer SUVs genügend Cashflow zu erwirtschaften, um den Umbau der Unternehmen für das Zeitalter der Elektromobilität mit eigenen Finanzmitteln zu stemmen. Doch die Umstellung der Branche vom Benzin- und Dieselmotor auf batteriebetriebene Fahrzeuge wird nicht ohne Personalabbau funktionieren. Solange die deutschen Konzerne ausreichend Mittelzuflüsse aus dem Geschäft mit herkömmlichen Antrieben verzeichnen, gelingt ihnen dieser Drahtseilakt.

Eine Serie von Krisen rüttelt die Autobranche durch. Nach dem Coronaschock folgte die Lieferkettenkrise. Nun sind die Autobauer gezwungen, sich gegen die Folgen steigender Rohstoff- und Energiepreise infolge des von Russland entfachten Ukraine-Kriegs zu stemmen. Aufgrund guter derivativer Absicherungsgeschäfte und langfristiger Lieferverträge sind die Dax-Mitglieder vorerst gegen diese externen Schocks kurzfristig abgefedert, 2023 dürfte die hohe Teuerungsrate in deren Bilanzen aber voll durchschlagen. Zugleich wird ein Abschwung oder gar eine Rezession die Nachfrage dämpfen. Das drückte auf die Profitabilität. Daher neigt sich die Margen-Party der deutschen Autobauer spätestens im kommenden Jahr ihrem Ende zu. Kommen Angebot und Nachfrage wieder ins Lot, wenn die Chipversorgung auf breiter Ebene wieder gesichert ist, werden auch Incentives wieder die hart umkämpfte Branche wie in der Vergangenheit prägen.

Insofern stehen die Ampeln für Autoaktien tendenziell nach wie vor auf Rot. Anleger benötigen starke Nerven und viel Geduld, um das Tief zu überwinden. Künftig dürften die Transformationsprozesse wieder in das Blickfeld der Investoren rücken. Denn in Westeuropa zeichnet sich das Ende des Verbrennungsmotors bei den Neuzulassungen spätestens Mitte der kommenden Dekade ab. Bis dahin bleibt also BMW & Co. nicht mehr viel Zeit, um Tesla entscheidend Paroli zu bieten. „Wettbewerb spornt uns immer an“, sagte BMW-Finanzvorstand Nicolas Peter im Mai zur Vorlage der Quartalszahlen. Daran werden nicht nur der weiß-blaue Autobauer, sondern auch die Adressen in Stuttgart und in Wolfsburg sich messen lassen müssen.