EU beschließt erstmals umfassenden Abbau von Berichtspflichten
EU beschließt erstmals umfassenden Abbau von Berichtspflichten
EU beschließt erstmals umfassenden Abbau von Berichtspflichten
„Omnibus I“ erreicht das Ziel – Nur noch große Firmen meldepflichtig
fed Frankfurt
In der Nacht zum Dienstag haben sich die Unterhändler vom Europäischen Parlament und den im Rat vertretenen nationalen Regierungen auf die Überarbeitung der europäischen Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und zum EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) geeinigt. Der berühmt-berüchtigte „Omnibus I“ – ein Gesetzespaket, das viele Ausnahmen insbesondere für kleinere Unternehmen von den Umwelt- und Sozialberichten enthält – hat damit die Zielhaltestelle erreicht. Es ist das erste der mittlerweile sieben Vereinfachungspakete, mit denen die EU Unternehmen von Bürokratie entlasten möchte.
80 Prozent ausgenommen
In Bezug auf die nachhaltigen Berichtspflichten, also die CSRD, werden alle Unternehmen unter 1.000 Beschäftigten sowie alle unter 450 Mill. Euro Umsatz ausgenommen. Das dürfte dazu führen, dass die Regeln für 80% aller Unternehmen nicht gelten werden, erklärte Dänemarks Industrieminister Morten Bodskov für sein eigenes Land – wobei dieser Prozentsatz auch eine gute Schätzung für andere Länder sein dürfte. Finanzholdings werden ebenfalls aus dem Anwendungsbereich herausgenommen. Für Firmen, die eigentlich für 2024 berichten müssen, die aber künftig davon entlastet werden, wurden spezifische Bestimmungen verabredet.
Noch umfassender fallen die Entlastungen beim EU-Lieferkettengesetz, der CSDDD, aus. Hier wird der Schwellenwert auf 5.000 Beschäftigte und einen Nettoumsatz von 1,5 Mrd. Euro gehoben. Daraus ergibt sich nach Angaben des konservativen EU-Berichterstatters Jorgen Warborn, dass je nach Land zwischen 80% und 87% der Unternehmen von den EU-Sorgfaltspflichten entbunden werden. Seiner Kalkulation nach wird die CSDDD künftig nur noch für 1.500 große, in der EU tätige Unternehmen gelten.
Risikoorientierter Ansatz
Der Ansatz ist nun risikoorientierter: Unternehmen sollen zunächst einmal identifizieren, wo sich in ihrer Lieferkette Risiken verbergen. Dazu müssen sie dann „zugängliche“ Informationen sammeln und zusammenstellen, nicht mehr umfangreiche Fragebögen an ihre Geschäftspartner versenden. Firmen müssen also nicht mehr alle ihre Geschäftspartner „kartieren“, sondern dürfen sich auf die Teile der Lieferkette konzentrieren, in der potenzielle Verstöße gegen Vorgaben oder Schädigungen von Klima, Umwelt und Sozialstandards am wahrscheinlichsten sind. Und schließlich wird unter der CSDDD die Pflicht zur Erstellung eines Übergangsplans zur Eindämmung des Klimawandels gestrichen.
Insgesamt, so behauptet der schwedische EU-Abgeordnete Warborn, werden Europas Unternehmen durch das Gesetzespaket jährlich um 4,5 Mrd. Euro bei den Kosten für den Berichts- und Due-Diligence-Aufwand entlastet. Noch nie, erklärte der Konservative, habe es in der Geschichte der EU eine Entlastung von solchem Umfang gegeben.
Keine harmonisierte Haftung
Beim sensiblen Thema Haftung sieht der jetzt erzielte Kompromiss vor, dass es keine Harmonisierung der Regeln geben soll. Der federführende Europaabgeordnete Warborn unterstrich, dass Investoren und Unternehmen dieser Punkt in allen Gesprächen wichtig gewesen sei, da harmonisierte Haftungsregeln aus deren Sicht neue Rechtsunsicherheit geschaffen hätte. Nach wie vor würden selbstverständlich die nationalen Haftungsvorgaben gelten. Und letztlich fallen in Zukunft auch die Sanktionen bei Zuwiderhandlungen gegen das EU-Lieferkettengesetz nicht so streng aus. Die Unterhändler von Rat und Parlament verabredeten eine Obergrenze von 3% des weltweiten Nettoumsatzes. Die EU-Kommission wird mandatiert, dazu die erforderlichen Leitlinien zu verfassen.
Das Verhandlungsergebnis muss nun nächste Woche im Plenum des EU-Parlaments und im Kreise der nationalen Regierungen noch abgesegnet werden. Das ist zwar in diesem lange Zeit umstrittenen Dossier nicht bloß eine Formalie, gilt aber dennoch als sehr wahrscheinlich.
Großes Lob und bissige Kritik
Möglich geworden ist die Einigung im sogenannten Trilog, also in den Schlussverhandlungen von Vertretern des EU-Parlaments und des Ministerrats, weil die christdemokratisch-konservative Parteienfamilie im EU-Parlament bereit war, mit den Stimmen von Rechtsaußen die Vorbehalte von Sozialdemokraten und Grünen zu überstimmen. Entsprechend fielen am Dienstag die politischen Reaktionen aus.
„Mit dem heutigen Ergebnis bringen wir das größte Entlastungspaket für Unternehmen auf den Weg, dass es in der EU je gegeben hat“, jubelt die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler (CSU), die Co-Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament. „Mit dem Nachhaltigkeits-Omnibus machen wir aus einem überambitionierten Regelwerk endlich etwas, das Unternehmen in der Praxis auch umsetzen können“, begrüßt auch ihr Parteikollege Markus Ferber die Verständigung.
Sozialdemokraten und Grüne hingegen kritisieren die Einigung. Mit ihr verspiele „eine konservativ-rechtsextreme Mehrheit eine Chance für Europa“, beanstandet der SPD-Europaabgeordnete René Repasi. Ein starkes europäisches Lieferkettengesetz wäre ein Wettbewerbsvorteil für die europäische Wirtschaft. Unternehmen, die verantwortungsvoll produzierten, brauchten verlässliche europäische Standards. Die grüne EU-Parlamentarierin Anna Cavazzini schimpft darüber, dass die Konservativen und die EU-Mitgliedstaaten „heute Nacht den letzten Nagel in den Sarg des EU-Lieferkettengesetzes geschlagen haben“.
