Earlybird-Chef bereitet Exits vor
IM GESPRÄCH: HENDRIK BRANDIS
„Die Kapitalmärkte kommen zurück“
Der Earlybird-Mitgründer sieht wieder die Chance für Exits aus Startups – Werben um Investoren kostet mehr Einsatz als früher
Von Michael Flämig, München
Earlybird erkennt erste Anzeichen für eine Erholung der Bewertung europäischer Startups. „Die Kapitalmärkte kommen zurück“, sagt Mitgründer und Partner Hendrik Brandis im Gespräch mit der Börsen-Zeitung vor dem Beginn der Münchner Branchenmesse Bits & Pretzels. Im ersten Quartal dieses Jahres habe es in Europa und den USA mit 71 Mrd. Dollar das höchste Startup-M&A-Volumen seit 2021 gegeben. Der Berliner Frühphaseninvestor zählt zwölf Tech-Börsengänge und M&A-Deals mit einem Volumen von jeweils mehr als 1 Mrd. Dollar von Januar bis März.
Brandis will den Rückenwind auch mit Earlybird nutzen. „Wir versuchen jetzt wieder Exits“, sagt er. Aktuell gebe es Vorbereitungen für zwei Transaktionen, namhafte Investmentbanken seien an Bord. Selbstverständlich sei bisher nicht klar, ob man erfolgreich sein werde: „Aber ich bin vergleichsweise zuversichtlich, dass das durchgeht.“
Das Einwerben neuer Investmentgelder laufe für Earlybird gut, berichtet Brandis. Zwar sei es grundsätzlich so, dass die Fundraising-Märkte nicht leicht seien, dies gelte für alle aktiven Spieler: „Das liegt daran, dass es in den letzten drei bis vier Jahren nur wenige Rückflüsse an die Investoren gegeben hat.“ Aber Earlybird erreiche ein Volumen in der gleichen Größenordnung wie 2021. Damals waren rund 350 Mill. Euro gemeldet worden. Klar ist für Brandis dennoch: „Wir müssen aktuell stärker um Investoren werben als vor vier Jahren.“
Investoren sind verunsichert
Der Earlybird-Mitgründer hatte Anfang 2023 noch prophezeit, dass die Baisse für Startups wie in früheren Zyklen nur drei Jahre anhalten werde. Er rechne mit einer substanziellen Erholung gegen Ende 2024, sagte er damals im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Die jetzige Verzögerung des Aufschwungs erklärt er nun weniger mit den anhaltend hohen Langfristzinsen; schon damals sei klar gewesen, dass die Null-Zins-Periode vorüber gewesen sei.
Dagegen seien die geopolitischen Rahmenbedingungen neu: „Die globale politische Volatilität ist ein sehr schädlicher Faktor.“ Die Investoren legten sich in diesem Umfeld ungern fest. Die Tatsache, dass die Bewertungen der Aktienmärkte immer neue Höchststände erreichten, sei hierzu kein Widerspruch.
Skalierung fehlt
Während öffentliche Kapitalmärkte die aktuell sehr hohen Gewinne und Cashflows bewerteten, seien im Venture-Capital-Markt Visionen und Hoffnungen relevant. Diese Erwartungsdimension leide natürlich ganz besonders unter Unsicherheit: „Wir kommen aus dem Keller raus, aber eben nicht in jener Geschwindigkeit wie früher einmal gedacht.“ Die Branche sei noch meilenweit von ihrem Höchststand im Jahr 2021 entfernt.
Europa leidet Brandis zufolge darunter, dass Firmen nicht schnell genug an Größe gewännen. Zwar seien die Forschungsausgaben in Bezug auf die Wirtschaftsleistung höher als in den USA, es mangele aber an der Kommerzialisierung von Spitzenforschung: „Wir können bisher die Weltklasse-Technologien nicht in große Technologieunternehmen umsetzen.“
Europa als sicherer Hafen
Dies belege auch eine Analyse der öffentlichen Aktienmärkte. Bis 2010 hätten sich die Bewertungen in den USA und in Europa weitgehend parallel entwickelt. Die Lücke der vergangenen 15 Jahre gehe ausschließlich auf Giganten wie Amazon & Co. zurück. Wenn man die zehn größten Unternehmen aus dem S&P 500 herausrechne, habe sich der Index auch seit 2010 im Gleichschritt mit europäischen Indizes vorwärtsbewegt.
Trotzdem ist Brandis für den Alten Kontinent zuversichtlich: „Der Wind dreht sich zugunsten Europas.“ Erstens übertreffe allein das Volumen der aktuellen deutschen Investitionsprogramme die Summe des Inflation Reduction Act der USA bei weitem. Allerdings müssten Investitionsentscheidungen durch strukturelle Reformen wie Bürokratieabbau erleichtert werden. Letzteres sei aktuell das Hauptrisiko für die weitere Entwicklung.
„Wie auf hoher See"
Zweitens werde Europa zunehmend als der letzte sichere Hafen wahrgenommen, der einigermaßen regelbasiertes Investieren und Wirtschaften ermögliche: „Da ist man nicht wie in den USA und in China wie auf hoher See mit dem lieben Gott allein.“
Dies führt Brandis zufolge zu einer massiven Umschichtung von Ressourcen. Die Wanderungsbewegung des Geldes lasse sich an den europäischen Kapitalmärkten ablesen. Deren Outperformance basiere darauf, dass mehr Kapital nach Europa fließe.
USA verlieren Ressourcen
Noch wichtiger aus Sicht des Frühphasen-Spezialisten: Auch das Know-how wandert nach Europa. Beispielsweise verliere Amerika im laufenden Jahr erstmals mehr Experten für künstliche Intelligenz (KI) als das Land gewinne, und zwar seit Beginn der Erfassung der Zu- und Abwanderung derartiger Fachleute im Jahr 2011. Die Schlussfolgerung von Brandis: „Die Menschen beginnen mit den Füßen abzustimmen.“ Dies sei zwar kurzfristig noch folgenlos: „Aber mittelfristig hat das eine riesengroße Wirkung.“ Hinzu komme, dass Europa mit 19 Millionen deutlich mehr Studenten habe als die USA mit 15 Millionen (Stand 2022).
Disruption verlangt Know-how
Diese „Power of the Brain“ ist laut Brandis auch deswegen eine Riesenchance für Europa, weil man nicht mehr automatisch Vorherrschaft allein mit enorm viel Geld erzwingen könne. Denn disruptive Konzepte könnten die Dinge von heute auf morgen auf den Kopf stellen. Dies zeige die Entwicklung in der künstlichen Intelligenz. Er habe noch vor Augen, wie US-Präsident Donald Trump mit OpenAI-Chef Sam Altman im Weißen Haus stehe und ein KI-Infrastrukturprogramm über 500 Mrd. Dollar namens Stargate verkündete, nur damit wenige Tage später ein Startup wie Deepseek aus dem Busch springe und sage: „Wir haben es übrigens mit 6 Mill. Dollar Trainingskosten gemacht.“
Im Earlybird-Portfolio gebe es mit der Münchner Firma Marvel Fusion ein potenziell ähnliches Beispiel. Das Technologieunternehmen arbeitet an einem disruptiven Fusionsersatz, der die Zündenergie nicht über die Erzeugung eines 100 Millionen Grad heißen Plasmas, sondern über die laserinduzierte Beschleunigung von Protonen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit einbringt, berichtet Brandis.
Kapital hinkt Innovation hinterher
Wenn dies in einer Demonstrationsanordnung wie geplant 2027 nachgewiesen wird, habe Marvel von ersten physikalischen Überlegungen bis zum Baubeginn des Reaktorprototypen 400 Mill. Euro benötigt, während in die konkurrierenden Konzepte der thermischen Fusion ein Betrag in der Größenordnung von 60 Mrd. Euro geflossen seien: „Künftig ist nicht Geld allein entscheidend, sondern eine Kombination von Geld und Innovation.“ Schließlich lebe man in einem Zeitalter extremer technologischer Disruption: „Ich habe noch nie in meinem Leben eine solche Dichte an disruptiven Technologie-Startups gesehen wie jetzt. Das ist wirklich sensationell.“
Aus Sicht von Investoren sind in Europa auch die relativ niedrigeren Eintrittsbewertungen für Startups interessant, ist der Earlybird-Chef überzeugt. Die Ursache sei eine Unterkapitalisierung des Sektors, die sich kontinuierlich fortschreibe. Denn die Beschleunigung der technologischen Innovationen vollziehe sich aktuell exponentiell, und damit so schnell, dass die Allokation von Kapital nur schwerlich mithalten könne. Dies führe dazu, dass einer Untersuchung von McKinsey zufolge die durchschnittlichen kumulativen Renditen europäischer Venture Fonds seit 20 Jahren kontinuierlich stiegen: „Dieses Bild ist für uns natürlich sehr erfreulich.“
Earlybird-Chef Hendrik Brandis will die Exit-Flaute beenden und bereitet zwei Transaktionen mithilfe von Investmentbanken vor. Mit dem Einwerben von Investmentgeldern ist er zufrieden. Für Europa ist Brandis positiv gestimmt. IT-Fachkräfte verließen die USA: „Die Menschen beginnen mit den Füßen abzustimmen.“