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Poker mit Valeo um Elektro­motoren

Elektroantriebe für Autos sind ein Wachstumsmarkt. Das Joint Venture Siemens Valeo investiert und schreibt hohe Verluste. Es wird ein Wechsel im Eigentümerkreis diskutiert.

Poker mit Valeo um Elektro­motoren

mic München

Elektromobilität boomt in Deutschland. Im Juli sank die Zahl der Neuzulassungen von Benzinern im Vergleich zum Vorjahresmonat um 40%. Elektrofahrzeuge und Plug-in-Hybride legten dagegen um gut die Hälfte zu. Sie stellten in den ersten sieben Monaten 2021 fast ein Viertel des Neuwagenmarktes. Weltweit geht es ebenfalls vorwärts.

Glücklich darf sich schätzen, wer den Fuß in der Tür zu diesem Markt hat – so wie Siemens und Valeo, die gemeinsam Hochvoltantriebe für Elektroautos herstellen. Doch mag die Zukunft noch so golden sein, aktuell produziert das Joint Venture Siemens Valeo vor allem Verluste. In dieser Lage müssen sich die Eigentümer über eine Bewertung der Aktivitäten einigen, sollte Siemens – wie als Option im Vertrag der Partner festgeschrieben – den Anteil von 50% an den Partner verkaufen.

Laut Valeo existiert die Möglichkeit vom Jahr 2021 an, und zwar in Form einer Put-Option von Siemens und einer Call-Option von Valeo. Analysten sprechen übereinstimmend von Ende des Jahres – exakt fünf Jahre nach Start des Gemeinschaftsunternehmens. Der Wert nur der Optionen wird im Valeo-Geschäftsbericht 2020 mit jeweils rund 30 Mill. Euro angesetzt.

Die Signale, wann das Geschäft über die Bühne geht, sind trotzdem widersprüchlich. Die Münchner halten sich bedeckt. Sie bestätigen lediglich die Existenz der Put- und Call-Optionen, möchten aber keine Angaben über das Timing machen. „Mehr gibt es zum jetzigen Zeitpunkt dazu nicht zu sagen“, erklärte ein Sprecher. Finanzvorstand Ralf Thomas sagte den Analysten bei Vorlage der Quartalszahlen im August lediglich, die Angelegenheit sei „eine sehr wichtige Frage“ auch für ihn.

Valeo-Finanzchef Robert Charvier hatte Ende 2019 bekannt gegeben, der Aufkauf der Anteile werde nicht vor dem Jahr 2023 erfolgen. Er begründete seine Einschätzung während des damaligen Investorentages mit der geplanten Reduzierung der Valeo-Investitionsausgaben. Christophe Périllat, im Mai zum stellvertretenden Valeo-Vorstandsvorsitzenden aufgestiegen, hält dagegen mittlerweile alles für möglich. Er erklärte jüngst am Rande der Automesse IAA, es sei noch nicht klar, ob die Transaktion bald, 2022 oder 2024 geschehe.

Extrem hoher Geldabfluss

Siemens Valeo bezeichnet sich als einen führenden Zulieferer in dem Markt der Elektromobilität. Während Valeo die Komponenten unter 60 Volt auf eigene Rechnung herstellt, ist das Joint Venture auf Hochvoltelektromotoren und dazugehörige Elektronikprodukte wie DC/DC-Wandler oder Ladegeräte spezialisiert. Es bestückt reine Elektrofahrzeuge ebenso wie Plug-in-Hybride.

Das Unternehmen entstand im Dezember 2016, indem Siemens ihren Geschäftsbereich E-Car Power­train Systems mit 500 Beschäftigten und Valeo die Powertrain Systems Business Group mit 200 Mitarbeitern einbrachte. Die Transaktion verdeutliche die Fähigkeit europäischer Unternehmen, führende Industriekooperationen zu entwickeln, jubelte Valeo-Chef Jacques Aschenbroich.

Der Geldbedarf der Firma ist selbst für zwei Schwergewichte wie Siemens und Valeo beachtlich. Valeo beziffert den Free Cash-flow des Joint Venture in den Jahren 2017 bis 2019 auf –1,2 Mrd. Euro. Im Jahr 2019 planten die Franzosen für die darauffolgenden Jahre 2020 und 2021, allein rund 450 Mill. Euro in die Firma zu pumpen.

Es sei ja bekannt, dass sich das Joint Venture im Investitionsmodus befinde, lautet der Kommentar des Siemens-Sprechers. Tatsächlich vervielfachte sich die Zahl der Beschäftigten, die an zehn Standorten in fünf Ländern aktiv sind, binnen eines halben Jahrzehnts auf mehr als 4000. Das Unternehmen schiebt ein Auftragsbuch von 11 Mrd. Euro vor sich her. Vor der Coronakrise prognostizierte der Mutterkonzern Valeo, das Gemeinschaftsunternehmen werde im Jahr 2024 rund 2 Mrd. Euro erlösen und eine Ebitda-Marge von 12% erreichen. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sollten vom laufenden Jahr an kräftig reduziert werden, hieß es zur Erklärung.

Schöne Aussichten, wenngleich die Pandemie zu einer Verzögerung führen dürfte – ob wie geplant mehr als 1,4 Mrd. Euro schon im nächsten Jahr erlöst werden, bleibt abzuwarten. Seit der Gründung schreiben die Erlanger rote Zahlen, und zwar in zunehmendem Tempo. Valeo weist bei einem Anteilsbesitz von 50% einen anteiligen Nettoverlust von 4 Mill. Euro (2016), 55 Mill. Euro (2017, nachträglich korrigiert) und 147 Mill. Euro (2018) aus. Im Jahr 2019 waren es 260 Mill. Euro, so dass der Verlust von Siemens Valeo inklusive des von Siemens zu tragenden Betrags den Umsatz weit übertraf: –520 Mill. bei Erlösen von 290 Mill. Euro. Im vergangenen Jahr stieg der Umsatz zwar stark, aber der Verlust blieb fast unverändert (siehe Grafik).

In München wird dies mit hochgezogenen Augenbrauen verfolgt. Das Joint Venture stelle Siemens nicht zufrieden, weil man nach wie vor Geld verliere, sagte Vorstandsvorsitzender Roland Busch kürzlich in einem „Manager Magazin“-Interview. Doch was ist die Konsequenz? Potenziale heben oder doch gleich an Valeo verkaufen? „Wir werden das Beste für unsere Aktionäre tun, und da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, die wir prüfen und abwägen“, erklärte der Siemens-Sprecher.

Klar ist aber auch: Siemens Valeo gehört zu dem 2019 gegründeten Segment Portfolio Companies. Dort sind Unternehmen gebündelt, von denen sich der Konzern im Prinzip trennen will. Damit hatte Siemens endgültig das im Jahr 2011 ausgegebene Ziel begraben, selbst zum führenden Systemanbieter in der Elektromobilität zu werden.

Mit der näher rückenden Möglichkeit, dass die Optionen ausgeübt werden können, bewegt diese Frage auch die Investoren. Jonathan Mounsey, Analyst von Exane BNP Paribas, rechnete kürzlich vor, dass der Unternehmenswert laut Valeo das Siebenfache des Ebitda betrage – und damit könne er angesichts der Verluste mit –2 Mrd. Euro oder mehr sehr negativ sein. „Ich frage mich, ob Sie zahlen müssen, um das Joint Venture zu verlassen“, so seine Frage in einer Siemens-Analystenkonferenz.

Vorstand Thomas reagiert auf derlei Befürchtungen gelassen. Zwar seien Anbieter kürzlich in börsennotierte Firmenmäntel (Spacs) geschlüpft und ihr Wert daher schwer einzuschätzen, sagte er den Analysten. Wenn man sich die Multiples der wenigen reinen Anbieter anschaue und wenn dies der wahre Wert sei, „dann schauen wir in eine glückliche Zukunft“, lautete aber sein Kommentar. Zugleich lässt er Erwartungen nicht ins Kraut schießen: „Der Vertrag mag in dieser Hinsicht keinen vollen Handlungsspielraum bieten.“

Konglomeratsfluch austreiben

Jeder Verkaufserlös schlägt voll auf die Gewinn-und-Verlust-Rechnung durch. Zwar hatte die Abgabe der Elektromotoren-Aktivitäten in das Joint Venture im Geschäftsjahr 2016/2017 (30. September) zu einem Veräußerungsgewinn von 175 Mill. Euro geführt. Doch im vergangenen Geschäftsjahr schrieb Siemens den Anteil um 453 Mill. Euro ab, seitdem beträgt der Buchwert 0 Euro. Siemens gehe davon aus, dass die Firma mittelfristig weiterhin Verluste schreiben werde, lautete damals die Begründung von Thomas.

Die Deutsche Bank rechnet damit, dass Siemens einen „anständigen Preis“ erhalten werde. Analyst Gael de-Bray diagnostiziert spürbare Auswirkungen auf den Unternehmenswert des Münchner Konzerns. In seiner Studie „Exorcising the con­glomerate curse“ geht er davon aus, dass der Verkauf des defizitären Gemeinschaftsunternehmens – quasi als Teil der Austreibung des Konglomeratsfluchs – das Ergebnis pro Aktie aktuell auch dann um 4% erhöhen werde, wenn bei der Transaktion ein Wert des Gemeinschaftsunternehmens von null angesetzt wird.

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