Deutsche Konzerne

Rekordzahl an Prognoseanhebungen

Die Geschäftsentwicklung der deutschen Konzerne übertrifft deren eigene Erwartungen. Die Zahl der Prognoseanhebungen hat sich auf Rekordniveau verdreifacht.

Rekordzahl an Prognoseanhebungen

cru Frankfurt

Von Januar bis August dieses Jahres haben 243 der 309 im Prime Standard gelisteten Firmen gemeldet, dass sie die zuvor veröffentlichten Prognosen voraussichtlich übertreffen werden. Damit gab es in Deutschland nach der Zählung der Unternehmensberatung EY bereits nach acht Monaten mehr Positivkorrekturen als in jedem Gesamtjahr seit Beginn der Erhebungen 2011 – allein 99 davon kamen im dritten Quartal.

Die Zahl der entsprechenden Meldungen hat sich beinahe verdreifacht. Gleichzeitig sank die Zahl der negativen Prognosekorrekturen um 83% auf 29 – zu drei Vierteln mit Covid-19 begründet und aus dem Handel stammend. Die Hälfte der im Prime Standard gelisteten Unternehmen hat im Jahresverlauf mindestens einmal ihre eigene Jahresprognose heraufgesetzt – nur 9% korrigierten die Prognose nach unten.

85% der Chemieunternehmen und 80% der Energieversorger ha­ben im ersten Halbjahr die eigene Prognose nach oben korrigiert. Bei Industrieunternehmen liegt die Quote bei 69%, im Automobilsektor bei 56%. Die wenigsten Aufwärtskorrekturen gab es bei Immobilienfirmen (25%) sowie Finanzdienstleistern (36%).

Ob Anhebung oder Senkung – in beiden Richtungen reagiert der Markt in ähnlichem Umfang: So reagiert der Kurs im Schnitt am ersten Tag mit 3% in der entsprechenden Richtung und nach einer Woche mit 4% nach oben oder unten.

„Für Anleger brachte die Pandemie ein Wechselbad der Gefühle mit sich“, sagt Milan Knarse, Partner bei EY in der Restrukturierungsberatung. „Als 2020 Teile der Wirtschaft zeitweise zum Stillstand kamen, brachen Umsätze und Gewinne in nie dagewesener Weise ein, was zu einem Rekord an Gewinnwarnungen führte. Nun erleben wir das Gegenteil: Die Wirtschaft erholt sich schneller als erwartet, einige Unternehmen haben Rekordgewinne gemeldet.“

Warnung vor Überschwang

 Trotz der auf den ersten Blick positiven Entwicklung vieler deutscher Top-Unternehmen warnt Knarse vor zu großem Optimismus. Die Zahl der Risiken sei in den letzten Monaten größer geworden: „Die Lieferketten sind nach wie vor anfällig, die Versorgungslage bei Rohstoffen, aber auch bei diversen Zulieferteilen ist teils sehr angespannt.“ Sein Kollege Martin Steinbach, Partner und Leiter des Bereichs IPO bei EY, ergänzt: Gerade die positive Konjunkturentwicklung führe zu zusätzlichen Herausforderungen. „Es gibt massive Preisschwankungen, Engpässe bei Rohstoffen und Zulieferteilen, lange Lieferzeiten. Für die meisten Marktteilnehmer ist das eine ungewohnte Situation.“

Auch die weitere Entwicklung wichtiger Absatzmärkte bleibe gerade angesichts der unvorhersehbaren Entwicklung der Pandemie unklar, meint Knarse: „Niemand weiß, ob der Wachstumsmotor China weiter auf Hochtouren läuft und welche konjunkturellen Auswirkungen die erneut steigenden Infektionszahlen in zahlreichen Ländern haben werden.“ Lockdowns und Grenzschließungen könnten erhebliche Auswirkungen auf Lieferketten und die exportorientierten Konzerne haben.

Unzuverlässige Voraussagen

 Steinbach sieht die Rekordzahl an Positivkorrekturen mit gemischten Gefühlen: „Zwar ist es erfreulich, wenn sich so viele Branchen nach dem Coronaschock so schnell wieder erholen. Wenn aber immer mehr Unternehmen ihre eigenen Prognosen kassieren, stellt sich die Frage, wie verlässlich Unternehmensprognosen überhaupt noch sind.“

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