Rentenpolitik

Vertrauen in der Altersvorsorge erfordert Realitätssinn

Von Schweden lernen, so heißt es allerorten in der Altersvorsorge. Die Rendite des je nach Alter auf eine Aktienquote von bis zu 150% gehebelten schwedischen Staatsfonds war in den vergangenen zehn Jahren auch beeindruckend. Deshalb werben immer...

Vertrauen in der Altersvorsorge erfordert Realitätssinn

Von Schweden lernen, so heißt es allerorten in der Altersvorsorge. Die Rendite des je nach Alter auf eine Aktienquote von bis zu 150% gehebelten schwedischen Staatsfonds war in den vergangenen zehn Jahren auch beeindruckend. Deshalb werben immer mehr Kräfte dafür, mit einem staatlichen Produkt rein aktienbasiert vorzusorgen.

Die Grünen haben den „Bürgerfonds“ ins Spiel gebracht, vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) kommt die „Extrarente“, aus Hessen die „Deutschland-Rente“. Und nun also auch die „Doppelrente“ aus Kreisen der CDU und die „gesetzliche Aktienrente“ aus der FDP. Die beiden neuen Vorschläge siedeln die Aktienanlage sogar direkt in der gesetzlichen Rente an. Die Finanzierung soll anders als in Schweden allerdings nicht vom Beitragszahler kommen. In beiden Fällen erfolgt die Aktienanlage direkt oder indirekt kreditfinanziert.

Als Grundlage der Konzepte wird suggeriert, man könne trotz Negativzinsen mit Aktien dauerhaft Renditen von 6 bis 8% erwirtschaften, wie in den vergangenen Jahrzehnten. Auf diesen Ertragsniveaus beruht letztlich auch die Annahme, Verluste am Aktienmarkt seien spätestens nach 15 Jahren ausgeglichen.

Fortschreibungen aus der Vergangenheit können sinnvoll sein, wenn wesentliche Strukturen und Parameter unverändert bleiben. Für die Kapitalmärkte stimmt das allerdings nicht, im Gegenteil. Wir stehen an einem demografischen Umkehrpunkt, die Babyboomer ­– Grundlage des Wachstums der vergangenen Dekaden – gehen von 2025 an in Rente. Auf zwei Neurentner kommt nur noch ein Junger in den Arbeitsmarkt nach. Auch der Produktivitätsfortschritt fällt in einer alternden Gesellschaft niedriger aus. Entsprechend geringer sind die Wachstumspotenziale. Ein Teil des säkularen Zinsrückgangs geht darauf zurück. Dazu kommt international eine ultra-expansive Geldpolitik. So hat zum Beispiel die Europäische Zentralbank mittlerweile 30% der Staatsanleihen der Eurozone aufgekauft, die Zinsen ins Negative gedrückt und viele Anleihegläubiger in Immobilien- und Aktienmärkte abgedrängt.

Renditen von gestern

Diese Strukturbrüche sind Wasserscheiden zwischen Vergangenheit und Zukunft – auch für rationale Renditeerwartungen. Denn niedrige Zinsen bedeuten nicht nur, dass sich Investitionen in Anleihen weniger lohnen, das ist evident. Fallende Zinsen treiben die Preise aller Anlageklassen, auch von Immobilien oder Aktien. Während ein Mietshaus in Berlin 2010 noch für gut zwölf Jahresmieten zu haben war, kostet es heute mehr als 30. Käufer fanden 2010 folglich noch eine Bruttorendite vor Kosten von 8% angemessen, heute bescheiden sie sich mit gut 3%. Vergleichbares hat am Aktienmarkt stattgefunden. Anleger, die weniger Zinsen bekommen, sind bereit für Ak­tien immer höhere Preisen zu be­zahlen, ergo geringere Renditeer­war­tungen und höhere Risiken zu ak­zeptieren. Aktienkurse sind nicht trotz, sondern wegen fallender Zinsen gestiegen. Dies zeigen auch Indikatoren wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Das um zyklische Ef­fekte bereinigte „Shiller-KGV“ ist beim US-Aktienindex S&P 500 im Ja­nuar auf über 34 geklettert, gegenüber einem historischen Mittel von knapp 17. Damit haben sich die Ge­winnrenditen von Aktien mehr als halbiert.

Wer für kapitalgedeckte Altersvorsorge nur auf Aktien setzt, spielt mit dem Vertrauen in die Alterssicherung insgesamt. Keine Frage, wir brauchen in der Alterssicherung mehr Spielraum für chancenreichere Anlagen. Dafür müssen wir Abschied nehmen von Produktwelten mit hohen Garantien. Wir brauchen dafür aber eine intelligente Mischung aus Rendite und Sicherheit, einen vernünftigen Mix verschiedener Anlageformen, ergänzt mit durchdachten Risikominderungstechniken.

Riskantes Kalkül

Wenn die Rechenannahmen der Reformer allein auf der Fortschreibung von Vergangenheitswerten beruhen, beunruhigt das. Denn bei den aktuell negativen Zinsen implizieren die erwarteten Renditen Risikoprämien auf Aktien von über 7%. Diese Werte sind als mehrjährige Mittelwerte irreal. Stattdessen sollten Rendite- und Risikoannahmen einem realistischen Kapitalmarktmodell entstammen, mit aktuellen Parametern wie dem jeweiligen Zinsniveau.

Zinsen spielen in finanztheoretischen Bewertungsmodellen eine Schlüsselrolle. Chancen an den Aktienmärkten gäbe es auch dann weiterhin, sie wären realistisch gesehen aber kleiner und die Risiken größer, als es Vergangenheitswerte suggerieren. Gefährlich wird es, wenn kreditfinanziert auf hohe Aktienrenditen spekuliert werden soll. Das kann in eine Falle führen, wenn wie 1929 steigende Zinsen sowohl die Kreditfinanzierung verteuern als auch Aktienkurse einbrechen lassen. Haften würde dafür der Steuerzahler.

Zuletzt gilt: Die Vorschläge lösen das demografische Problem nicht; die Babyboomer gehen schon bald in Rente. Ihre Alterseinkommen hängen maßgeblich davon ab, dass die heutigen Vorsorgesysteme funktionieren. Mit diesen wurde viel erreicht: 70% der Arbeitnehmer sparen heute mit einer geförderten Privatvorsorge oder einer betrieblichen Altersversorgung für das Alter. Dazu kommen viele Millionen anderer Lebens- und Rentenversicherungen, Fondssparpläne oder Immobilienfinanzierungen. Wir dürfen die Bevölkerung nicht mit politischen Konzepten verunsichern, die auf für die Zukunft unrealistischen Vergangenheitsrenditen basieren. Sinnvoller wäre es, gemeinsam das Bestehende zu verbessern und die funktionierenden Strukturen weiterzuentwickeln. Die Verbände der Anbieter haben dazu in einem Fünf-Punkte-Plan konkrete Vorschläge gemacht, wie die private Altersvorsorge reformiert werden kann. Der Ball liegt im Feld der Politik.

Dr. Peter Schwark ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Ge­samtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.

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