Klimawandel

Viele Baustellen in der Klimapolitik

Der Kampf gegen den Klimawandel wird eine der drängendsten Aufgaben für die nächste Regierung sein. Die Wahlprogramme sind voll von Vorschlägen für mehr Klimaschutz. In Koalitionsverhandlungen wird es auch darum gehen, wer das bezahlen soll.

Viele Baustellen in der Klimapolitik

Von Anna Steiner, Frankfurt

Der Kampf gegen den Klimawandel hat den Bundestagswahlkampf geprägt. Der Klimaschutz wird für egal welche Regierungskoalition eine der Mammutaufgaben der nächsten Legislaturperiode. Mit dem Ziel der Europäischen Union, die Emissionen bis 2030 um 55% zu senken („Fit for 55“), und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz gibt es gleich zwei große Baustellen. Es gilt die Weichen zu stellen für die kommenden Jahrzehnte. Nicht zuletzt der vor wenigen Wochen veröffentlichte Bericht des Weltklimarates zeigt: Die Zeit drängt. Seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 haben viele Länder weltweit ihre Klimaziele angepasst (siehe Grafik).

EU gibt Marschroute vor

Im Frühjahr urteilte das Bundesverfassungsgericht, das im Dezember 2019 auf den Weg gebrachte Klimaschutzgesetz sei verfassungswidrig. Die Begründung: Mit dem Gesetz sei die Freiheit heutiger und kommender Generationen nicht zu erhalten. Klimaaktivisten jubilierten: „Klimaschutz ist Grundgesetz“. In Berlin übertrafen sich derweil Politiker nahezu aller Parteien damit, den Urteilsspruch zu loben. Richtungsweisend, bedeutend, ein Ausrufezeichen sei die Entscheidung der obersten Richter. Passiert ist seitdem wenig, obwohl mehrere Entscheidungsträger tönten, noch in der laufenden Legislaturperiode Anpassungen vornehmen zu wollen. Immerhin: Kurz vor dem Ende der Legislaturperiode einigte sich die Koalition auf das Ziel, die Klimaneutralität bis 2045 erreichen zu wollen. Aber wie?

Im Juli präsentierte Ursula von der Leyen den Plan „Fit for 55“, der die CO2-Emissionen bis 2030 um 55% senken soll. Er beinhaltet ein ganzes Bündel an Vorhaben, die auch oder insbesondere Deutschland betreffen. Nach dem Willen der Kommission sollen neue Autos ab 2035 emissionsfrei sein. Man habe sich bei der Definition dieses Ziels an den Aussagen der großen Autohersteller orientiert, hieß es bei der Vorstellung des Plans in Brüssel. Die Autoindustrie ist die mit Abstand umsatz- und mitarbeiterstärkste Branche des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland.

Zudem soll der europäische Handel­ mit Emissionszertifikaten (EU-ETS), der bislang nur etwa 40% des klimaschädlichen Ausstoßes be­denkt, ausgeweitet werden. Die Kommission will die Zahl der Zertifikate schneller verringern und weniger Gratiszuteilungen ausgeben. Ab 2023 soll der Schiffsverkehr eingeschlossen sein, ab 2026 auch Gebäude und der Straßenverkehr. Mit dem Paket aus insgesamt zwölf Gesetzesvorschlägen, die noch im Parlament und den Staaten diskutiert werden müssen, gibt die EU die Marschroute eindeutig vor. Und Deutschland droht hinterherzuhinken.

Denn die EU hat den deutschen Parteien – ganz gleich welche am Ende die neue Bundesregierung stellen – etwas voraus: Sie hat sich bereits einige Gedanken gemacht über die Finanzierung der Maßnahmen und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Über einen Grenzausgleichsmechanismus sollen europäische Betriebe vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden. Außereuropäische Importeure von Stahl, Aluminium, Zement, Düngemitteln oder Strom müssten dann ebenfalls CO2-Zertifikate kaufen. Die Einnahmen aus dem erweiterten Emissionshandel sollen in einen Fonds mit einem Gesamtumfang von rund 70 Mrd. Euro fließen, aus dem etwa einkommensschwache Familien unterstützt werden.

Auch die Parteiprogramme für die Bundestagswahl sind voll mit Vorschlägen für mehr Klimaschutz. Die Union will etwa die erneuerbaren Energien ausbauen und fordert Steuervorteile für Investitionen in Klimatechnologien und Energieeffizienz. Die SPD will den emissionsneutralen Nahverkehr erweitern. Die Grünen wollen das Stromnetz ausbauen und ein Klimawohngeld zahlen. Die Antwort auf die Frage, wie all das finanziert werden soll – zumal nach einer Zeit hoher Staatsausgaben durch die Coronavirus-Pandemie – bleiben die Parteien allerdings weitgehend schuldig. Sie alle wollen zwar den Preis pro ausgestoßener Tonne CO2 erhöhen und so für zusätzliche Einnahmen sorgen. Das allein reicht aber bei weitem nicht aus, um dem Staatshaushalt so viel Geld zuzuführen, dass alle Boni und Investitionsförderungen bezahlt werden könnten. Ganz gleich, wer am Ende regiert: Die wichtigste Aufgabe wird sein, Gesellschaft und Wirtschaft zu erklären, dass der Klimaschutz Geld kostet und festzulegen, woher dieses Geld kommen soll.

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