Halbleiter-Mangel

Vom Trabant bis zum Chip-Engpass für moderne Autos

Ehemalige DDR-Bürger können sich daran erinnern, wie lange man auf einen fabrikneuen Trabant aus dem volkseigenen Autowerk in Zwickau warten musste. Im real existierenden Sozialismus auf deutschem Boden musste man sich dafür mindestens zehn Jahre...

Vom Trabant bis zum Chip-Engpass für moderne Autos

Von Stefan Kroneck, München

Ehemalige DDR-Bürger können sich daran erinnern, wie lange man auf einen fabrikneuen Trabant aus dem volkseigenen Autowerk in Zwickau warten musste. Im real existierenden Sozialismus auf deutschem Boden musste man sich dafür mindestens zehn Jahre gedulden, bis das begehrte Modell aus Duroplast und einem Zweitaktmotor übergeben wurde.

Der seinerzeit oberste Mann des Staates von Moskaus Gnaden, Erich Honecker, bewunderte auf einer Führung in einem „Hochtechnologiebetrieb“ das erste mikroelektronische Bauelement aus volkseigener Produktion, wie die „Aktuelle Kamera“ Mitte der 1980er Jahre im Fernsehen berichtete. Dass die DDR mit dem Westen auf diesem Feld nicht mithalten konnte, war längst klar – auch dem Staatsrat in Ost-Berlin.

Heute wie damals kommt ein Trabant – oder was davon auf den Straßen bisweilen noch zu sehen ist – vollständig ohne solche Bauelemente aus, im Fachjargon nunmehr Halbleiter genannt. Für heutige Verhältnisse ist das ein undenkbarer Zustand. Neuwagen gleichen mittlerweile fahrenden Bordcomputern, vollgepackt mit allerlei elektronischen Fahrerassistenzsystemen, Sensorik und Hilfsmitteln für Elektromobilität und sonstigem (freilich teils unnötigem) Schnickschnack. Die Verantwortlichen aus der Halbleiter- und Autoindustrie sind hocherfreut, stützt das doch deren Geschäftsmodelle. Das Analysehaus IHS Markit rechnet vor, dass der zusätzliche Halbleiterbedarf bei einem vollelektrischen Auto mit 377 Dollar im Schnitt pro Fahrzeug über 80% des Bedarfs eines Standardwagens (457 Dollar) entspricht. Strategy Analytics prognostiziert, dass der zusätzliche Halbleiterbedarf mit steigendem Grad der Automatisierung von derzeit durchschnittlich bis zu 180 Dollar auf bis zu 1250 Dollar je Fahrzeug im Jahr 2030 steigen wird. Das klingt für die Chip- und Autobranche verlockend. Die Erwartungen in den obersten Etagen der Konzerne sind entsprechend hoch.

Vater Staat schaltet sich ein

Doch die Kalkulation zum erhofften goldenen Zeitalter hat neuerdings einen Riss bekommen. Volkswagen beklagt sich über Produktionskürzungen, Kurzarbeit und drohende zeitweilige Werksschließungen. Daimler und BMW befürchten Ähnliches, sollte das Problem nicht auf absehbare Zeit behoben werden, wie zu hören ist. Der Grund aus Sicht der Autohersteller sind Engpässe bei der Fertigung von Leistungshalbleitern infolge der Coronakrise.

Mancher könnte sich dabei bisweilen an die sozialistische Plan-Mangelwirtschaft zu DDR-Zeiten erinnert fühlen. Parallelen zum zögerlichen Impfstart gegen die Corona-Pandemie in der EU im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen sind nicht von der Hand zu weisen. Wo Probleme auftauchen, wird in Zeiten wie diesen gerne nach Vater Staat gerufen. So auch in der deutschen Autoindustrie. Deren Interessenvertretung in Berlin, dem Dachverband VDA, gelang es, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) für ihre Lobbyarbeit einzuspannen. Der Verehrer des einstigen Reichskanzlers Otto von Bismarck und Bücherwurm Altmaier ließ es sich nicht nehmen, in dieser Angelegenheit Taiwans Regierung zu kontaktieren. In der asiatischen Inselrepublik ist der Chiphersteller TSMC ein zentraler Lieferant der deutschen Autoindustrie. Parallel dazu droht der Wolfsburger Mehrmarkenkonzern mit Schadenersatzklagen gegen seine Zulieferer Bosch und Continental, die die notwendigen Bauelemente von Herstellern wie Infineon und NXP beziehen. Beide Unternehmen sind die größten Anbieter in diesem Segment.

Das Verhalten mancher Konzerne zeugt davon, wie blank mittlerweile die Nerven in den Führungsetagen liegen. Die Halbleiterhersteller selbst ducken sich. Öffentlich wollen sie sich zu diesem Thema nicht äußern. Das ist nachvollziehbar, möchten die Chipfertiger doch nicht zusätzlich Öl ins Feuer gießen, sollten sie sich zu unbedachten Stellungnahmen hinreißen lassen. Andernfalls könnte das die Geschäftsbeziehungen zu ihren Großabnehmern schwerwiegend belasten. Doch während vor allem Volkswagen den Chipherstellern die Schuld zuweist, wird die Wahrheit vermutlich in der Mitte liegen. Die deutschen Autobauer haben im vergangenen Jahr ihre Produktion um rund ein Fünftel zurückgefahren. Das war vor allem die Folge des ersten harten Lockdowns im Frühjahr 2020, als auch die Pkw-Hersteller ihre Werke schließen mussten. Sie traten radikal auf die Bremse. Daraufhin schalteten die Halbleiterfertiger ihre Kapazitäten um. In der Pandemie sind verstärkt Produkte im Bereich Consumer Electronic ge­fragt. Die Chipbranche steuerte kurzerhand um, während der Bereich Automotive seinerzeit das Nachsehen hatte. Erst ungefähr im September vergangenen Jahres setzte ein Nachholprozess ein, als die Nachfrage nach E-Fahrzeugen – unter anderem unterstützt mit staatlicher Förderung – deutlich anzog.

Die Engpässe sind also eine Spätfolge der Coronakrise und werden sich womöglich als eine kurze Episode erweisen. Das belegt aber zugleich, wie holprig die Halbleiterbranche in die Spur kommt nach einem zyklischen Abschwung, welcher bereits vor dem Ausbruch der Pandemie zu verzeichnen war. Seinerzeit wirkten von den USA ausgelöste Handelskonflikte mit China und der EU zusätzlich dämpfend auf die Chip-Konjunktur. Donald Trump im Weißen Haus ist nun Geschichte. Unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden kann es nur besser werden. Darauf hofft auch die Chipindustrie.

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