Bundesbankchef

Weidmann-Rücktritt löst Richtungsstreit über Bundesbank aus

Nach dem völlig überraschenden Rückzug von Bundesbankchef Jens Weidmann zum Jahresende kommt auf die neue Bundesregierung gleich eine wichtige Personalentscheidung zu.

Weidmann-Rücktritt löst Richtungsstreit über Bundesbank aus

ms/rec/wf Frankfurt/Berlin

Nach dem völlig überraschenden Rückzug von Bundesbankchef Jens Weidmann zum Jahresende kommt auf die neue Bundesregierung gleich eine wichtige Personalentscheidung zu. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bedauerte die Entscheidung Weidmanns, das Amt des Bundesbankpräsidenten Ende Dezember vorzeitig abzugeben. Über ihren Sprecher Steffen Seibert ließ Merkel ausrichten, es werde Aufgabe der neuen Bundesregierung sein, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden, „der das stabilitätsorientierte Erbe der Bundesbank fortsetzt“. Für Weidmanns Nachfolge kursieren bereits etliche Namen. In ersten Reaktionen deutete sich zwischen FDP und Grünen ein Richtungsstreit über die künftige Rolle der Bundesbank an.

Weidmann hatte am Mittwoch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier um seine Entlassung aus dem Amt zum 31. Dezember gebeten. Er verlasse die Bundesbank, an deren Spitze er seit Mai 2011 steht, aus persönlichen Gründen, ließ er mitteilen. „Ich bin zur Überzeugung ge­langt, dass mehr als zehn Jahre ein gu­tes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich“, schrieb Weidmann in einem Brief an die Mitarbeiter der Bundesbank. Eigentlich wäre seine zweite Amtszeit bis Mai 2027 gelaufen.

In seinem Brief ließ Weidmann aber erkennen, dass seine Entscheidung auch mit der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zen­tralbank (EZB) in den vergangenen Jahren und den aktuellen Weichenstellungen auch nach der EZB-Strategieüberprüfung zu tun hat. Weidmann stand vor allem breiten Staatsanleihekäufen stets kritisch gegenüber, und er plädierte zuletzt für ein möglichst rasches Ende des Corona-Notfallanleihekaufprogramms PEPP. „Krisenmaßnahmen mit ihrer außergewöhnlichen Flexibilität sind nur in der Notsituation, für die sie geschaffen wurden, verhältnismäßig“, wiederholte er jetzt in seinem Brief. Viele andere Euro-Notenbanker wollen hingegen dauerhaft an Anleihekäufen und der PEPP-Flexibilität fest­halten.

Mit seinem Rücktritt ist Weidmann bereits der vierte deutsche Notenbanker, der auch im Streit über die EZB-Politik vorzeitig abdankt. Vor ihm waren das 2011 der damalige Bundesbankchef Axel Weber, 2012 der damalige EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark und 2019 Sabine Lautenschläger, seinerzeit Mitglied des EZB-Direktoriums.

Ex-EZB-Chefvolkswirt Stark zeigte sich nicht überrascht von Weidmanns Rücktritt und äußerte Verständnis für diesen Schritt. „Er ist sogar sehr verständlich und konsequent. Niemand kann über mehr als ein Jahrzehnt eine Politik gegen die eigene Überzeugung mittragen“, sagte Stark der Börsen-Zeitung. Unerwartet kam der Schritt hingegen für Starks Nachfolger Peter Praet. Man könne sich „des Eindrucks nicht erwehren, dass die Aussicht auf größere Veränderungen in der deutschen Wirtschaftspolitik bei seiner Entscheidung eine Rolle spielte. Zweifellos entsprach die Entwicklung der Zentralbanken in den letzten zehn Jahren nicht seinen Vorstellungen.“

Für Weidmanns Nachfolge werden in Notenbankkreisen und unter Ökonomen mehrere aussichtsreiche Kandidaten gehandelt. Darunter sind Isabel Schnabel, die deutsche Vertreterin im EZB-Direktorium, die gegenwärtige Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch, der Ökonom Marcel Fratzscher, der früher bei der EZB tätig war, und der Frankfurter Wirtschaftsweise Volker Wieland.

Mit Blick auf konkrete Kandidaten hielten sich Spitzenpolitiker von SPD, Grünen und FDP, die an diesem Donnerstag Verhandlungen über eine Ampel-Koalition aufnehmen, be­deckt. Es zeichnete sich aber eine Kontroverse über die künftige Ausrichtung der Bundesbank an. FDP-Chef Christian Lindner, der als möglicher neuer Finanzminister gehandelt wird, kündigte an, einen Kurswechsel bei der Bundesbank verhindern zu wollen: „Mit einem Wechsel an der Spitze der Deutschen Bundesbank darf keine Änderung des politischen Kurses verbunden werden. Die Deutsche Bundesbank muss weiter Anwältin einer stabilitätsorientierten Geldpolitik in Europa sein.“ Grünen-Co-Chef Robert Habeck forderte eine Modernisierung der Bundesbank. Weidmanns Abschied müsse auch als Chance für einen Neuanfang begriffen werden, betonte Habeck, den Parteifreunde ebenfalls für den Posten des Finanzministers in einer Ampel-Koalition ins Spiel gebracht haben.

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