Wirtschaftsweise gegen Steuererhöhung
Führende Ökonomen und Wirtschaftsvertreter sprechen sich gegen Steuererhöhungen oder eine Vermögensabgabe zur Finanzierung der Kosten der Coronakrise in Deutschland aus.
Henning VöpelDirektor HWWI | Monika SchnitzerMitglied Sachverständigenrat | Clemens FuestPräsident Ifo | Christian KellerChefökonom Barclays Capital | Klaus Günter DeutschChefvolkswirt BDI | |
Wie viel Lockdown kann die deutsche Wirtschaft noch vertragen, bevor sie in eine erneute tiefe Rezession stürzt? | Der zweite Lockdown hat nicht mehr zu dem großen Einbruch geführt wie der erste. Das liegt vor allem an der Industrieproduktion. Letztlich hat der Gesundheitsschutz auch volkswirtschaftlich Vorrang. Es wäre wichtig, die kontaktarmen, epidemiologisch nicht so relevanten Branchen so gut es geht aufrechtzuerhalten. Das erfordert aber echte Konzepte in Gesundheitsämtern, Schulen etc. Die sozialen Kosten der Pandemie sind viel höher, als es nötig wäre. | Der Lockdown ist für die betroffenen Wirtschaftszweige und die Bevölkerung eine schwere Belastung. In den nicht betroffenen Wirtschaftszweigen, insbesondere im verarbeitenden Gewerbe, ist die wirtschaftliche Entwicklung aber nach wie vor robust, auch wegen der starken Exportnachfrage. Eine Verlängerung des Lockdowns würde die weitere Erholung zwar bremsen, aber mit einer erneuten tiefen Rezession ist derzeit nicht zu rechnen. | Ein großer Teil der deutschen Wirtschaft läuft trotz der Lockdown-Maßnahmen sehr gut, eine Rezession ist derzeit nicht in Sicht. Durch den Lockdown fallen etwa 3 % der normalen Wertschöpfung weg. Gesamtwirtschaftlich ist das noch eine Weile durchzuhalten, für die betroffenen Sektoren ist das allerdings hart. Deshalb ist es wichtig, dass die Hilfen weiter gewährt werden und dass sie auch rechtzeitig ankommen. | Lockdowns treffen den Dienstleistungssektor hart, und je länger sie dauern, desto größer die Gefahr längerfristiger Narben. Insgesamt steht die deutsche Wirtschaft jedoch vergleichsweise gut da, denn sie hat einen hohen Anteil an verarbeitender Industrie und Außenhandel, wo es global derzeit trotz Lockdowns eine starke Erholung gibt. Bei einer schrittweisen Öffnung in den kommenden Quartalen sehen wir eher einen Boom als eine erneute Rezession. | Das Risiko einer Rezession ist in diesem Jahr gering. Zwar dürfte die wirtschaftliche Aktivität im ersten Quartal einen Dämpfer erhalten, ab Ostern ist jedoch mit einer graduellen Normalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zu rechnen. Wir erwarten im Gesamtjahr ein Wachstum der realen Wirtschaftsleistung von 3,5%, wenn eine dritte Welle durch eine Test-, Impf- und Hygienestrategie vermieden werden kann. |
Tut die Bundesregierung genug und das Richtige, um den wirtschaftlichen Schaden zu minimieren, oder sollte sie jetzt schon fiskalisch nachlegen und andere Prioritäten setzen, etwa auf Investitionen? | Die Bundesregierung tut viel, aber vieles nicht richtig. Die Hilfen kommen zu spät und nicht dort an, wo sie benötigt werden. Die staatliche Handlungsfähigkeit gibt insgesamt – ob Hilfen, Tests oder Impfungen – Anlass zu großer Sorge. Außerdem wird deutlich, dass der Strukturwandel sich durch die Krise beschleunigt hat. Die Überwindung der Krise besteht eben nicht in einer Erholung, sondern in einer Erneuerung. | Die Regierung hat bisher grundsätzlich die richtigen Maßnahmen ergriffen. Allerdings sollte die Auszahlung der Überbrückungshilfen beschleunigt und der steuerliche Verlustrücktrag ausgeweitet werden. Ob weitere Hilfen notwendig werden, hängt vom Pandemieverlauf ab. Die im Konjunkturpaket und im europäischen Aufbauplan Next Generation EU vorgesehenen Investitionsmittel sollten rasch verausgabt werden, um den Aufschwung und das Wachstum zu stärken. | Entscheidend ist die Beschleunigung der Impfungen. Jede Woche Verlängerung der Pandemie durch die schlechte Organisation von Beschaffung und Verwendung der Impfstoffe verursacht einen wirtschaftlichen Schaden, der jede denkbare Ausgabe für die Beschleunigung in den Schatten stellt. Außerdem ist wichtig, die jetzige Lage für mehr öffentliche Investitionen zu nutzen. Wenn die Pandemie vorüber ist und sich die Konjunktur erholt, werden Kapazitätsengpässe in der Bau- oder in der IT-Branche öffentliche Investitionen wieder erschweren. | Die Regierung hat in der Krise schnell und richtig reagiert. Kurzarbeit und andere Maßnahmen galten international als vorbildlich. In Europa wurden die am stärksten betroffenen Länder stabilisiert und mit dem EU Recovery Fund die Weichen für die Zukunft gestellt. Zunächst galt es, Einkommensverluste zu mildern und Liquidität zu sichern. Nun müssen Investitionen gefördert und durch richtige Anreize ein nachhaltiger Aufschwung gestaltet werden. | Die Koalition hat den Schaden für Firmen und Beschäftigte durch Stützung und Konjunkturimpulse bereits erheblich gemindert. Eine verbesserte Verlustverrechnung steht noch aus. Eine zehnjährige Investitionsstrategie für Klimaschutz, Infrastruktur, Bildung und Gesundheit im Volumen von 450 Mrd. Euro war schon vor der Pandemie notwendig. Dies gilt für höhere öffentliche Investitionen wie für Anreize für private Investitionen jetzt umso mehr. |
Wie groß ist die Gefahr dauerhafter Schäden durch die Coronakrise – etwa in Form permanent höherer Arbeitslosigkeit oder eines geringeren Potenzialwachstums? | Dauerhafte Schäden wird es dann geben, wenn alte Strukturen und Geschäftsmodelle verteidigt und dadurch verlängert werden. In vielen Bereichen sind Arbeitsplätze bereits strukturell stark gefährdet. Es geht deshalb darum, das Potenzialwachstum zu stärken und den Kapitalstock durch Investitionen in Technologie, Forschung und Entwicklung zu erneuern. Der Wohlstand hängt nicht an mehr Wachstum, sondern an nachhaltigem Wachstum. | Wir werden durch die Coronakrise in unserer wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeworfen. Mit einer Rückkehr zum Vorkrisenniveau ist voraussichtlich erst im nächsten Jahr zu rechnen. Durch die krisenbedingt ausgebliebenen oder verschobenen Investitionen wird das Potenzialwachstum etwas geschwächt. Deshalb ist auch mit einer leicht erhöhten permanenten Arbeitslosigkeit zu rechnen. | Der größte permanente Schaden liegt sicherlich in der ausgefallenen Schulbildung. Hinzu kommt, dass Unternehmen in den am meisten betroffenen Branchen Eigenkapital eingebüßt haben. Das erschwert die Finanzierung von künftigen Investitionen. | Es gibt Gründe, optimistisch zu sein. Die Pandemie hat z. B. die Anwendung neuer Technologien vorangetrieben und politisch eine stärkere Ausrichtung auf Zukunftsinvestitionen bewirkt. Das kann sich positiv auf Wachstum auswirken. Wir müssen nun die Balance zwischen Arbeitsplatzsicherung und notwendigen strukturellen Anpassungen finden. Die Corona-Hilfsprogramme könnten sich dann negativ auswirken, wenn sie den notwendigen Wandel verhindern. | Das ist noch offen. Die Rettungsmaßnahmen haben den Zweck, permanente Schäden für Unternehmen und Arbeitnehmer strikt zu begrenzen. Eine anhaltende Schwäche von Nachfrage und Angebot in bestimmten Branchen kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dürfte aber die Ausnahme bleiben. Entscheidend ist, Beschäftigte aus diesen Unternehmen nicht dauerhaft im Arbeitsmarkt zu verlieren, sondern sie auf dem Weg in andere Aktivitäten zu unterstützen. |
Wie lassen sich die Kosten der Coronakrise dauerhaft tragen und gesellschaftlich fair verteilen? Braucht es dafür etwa Steuererhöhungen oder eine Vermögensabgabe? | Nein, ein Fiskalschock nach dem Pandemieschock wäre kontraproduktiv. Der Staat sollte die Coronaschulden zu den derzeit geringen Zinsen strecken und über lange Zeiträume herauswachsen. Das Verhältnis der Zinsaufwendungen zu den Steuereinnahmen war noch nie so günstig. Steuererhöhungen oder Kürzungen der öffentlichen Investitionen sind nicht nötig. Eine Rückkehr zu nachhaltiger Finanzpolitik ist aber gleichwohl geboten. | Eine Steuererhöhung wäre aktuell die falsche Maßnahme, denn damit würde man Gefahr laufen, die sich erholende Konjunktur wieder abzuwürgen. Gegen eine Vermögensabgabe spricht, dass sie zu Ausweichreaktionen führen und deshalb nicht viel einbringen wird. Die vielversprechendste Option ist, das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen, um so durch steigende Steuereinnahmen die Krise zu finanzieren und die Staatsverschuldung wieder abzubauen. | Wenn es gelingt, die Krise bald zu überwinden und Impulse für Wirtschaftswachstum zu setzen – stetige und gut durchdachte öffentliche Investitionen, gute Bedingungen für private Investitionen –, dann kann Deutschland ohne Steuererhöhungen auskommen und die Schuldenquote schrittweise senken. Eine Vermögensabgabe einzuführen wäre ein sehr markantes Signal an alle Investoren, Deutschland zu meiden, – das würde die wirtschaftliche Erholung beeinträchtigen. | Deutschland ging dank der konservativen Finanzpolitik der Vergangenheit mit starken Reserven in die Krise. Zwar steigen die Staatsschulden nun erheblich, aber Deutschland ist in der Lage, die Kosten der Coronakrise auch ohne zusätzliche Schritte auf der Einnahmenseite zu schultern. Die Herausforderung liegt eher im Strukturwandel und der Notwendigkeit von mehr Investitionen. Neue Steuern und Abgaben könnten sich hier sogar negativ auswirken. | Eine Jahrhundertkrise wie die Pandemie muss durch ein beherztes Handeln des Staats bewältigt werden. Gerade Deutschland verfügt über den fiskalischen Spielraum, diese Krise mit einer höheren Nettokreditaufnahme durchzustehen. Die fiskalische Anpassung nach der Krise kann mit einem moderaten Ausgabenpfad für den Gesamtstaat auch ohne Erhöhung der Steuer- und Abgabenlast über wenige Jahre gelingen. Man braucht keine Corona-Steuererhöhung. |
Droht perspektivisch – also auch nach Überwindung der Coronakrise – eine dauerhaft höhere Inflation in Deutschland? | Nicht unmittelbar, aber die makroökonomische Stabilität gerät allmählich unter Druck, weil sich mehrere Faktoren in die falsche Richtung entwickeln. Geld- und Fiskalpolitik haben sich voneinander abhängig gemacht. Finanzielle Repression kann die Folge sein. Mit zunehmenden Verteilungskonflikten wäre die typische Konstellation für Inflationsprozesse hergestellt. Die Politik muss daher nach der Krise auf den mittelfristigen Stabilitätspfad zurückkehren. | Der Bundesbankpräsident rechnet für dieses Jahr mit einem einmaligen Preisanstieg von bis zu 3%. Gründe dafür sind u. a. das Ende der temporären Mehrwertsteuersenkung und steigende Energiepreise. Auch kann es nach Ende der Einschränkungen zu einer Mehrnachfrage und deshalb zu Preissteigerungen kommen. Nach bisherigem Stand ist aber damit zu rechnen, dass dies ein einmaliger Effekt sein wird und nicht der Beginn einer dauerhaften Inflation. | Durch das Ende der Mehrwertsteuersenkung und steigende Ölpreise wird die Inflationsrate vorübergehend zunehmen. Ob es zu einer dauerhaft höheren Inflation kommt, hängt davon ab, ob wir uns in Richtung einer dauerhaften Finanzierung von Staatsausgaben durch die Notenpresse bewegen und ob das Vertrauen in solide Staatsfinanzen und eine stabilitätsorientierte Geldpolitik beschädigt wird. Ich rechne nicht damit. Die EZB hat einen klaren Auftrag, für Geldwertstabilität zu sorgen, notfalls auch um den Preis einer Belastung der Staatsfinanzen. | Das Inflationsziel wurde über Jahre hinweg meist unterschritten, und eine etwas höhere Inflation ist somit nicht per se eine Bedrohung. Nach dem Preisverfall im Krisenjahr 2020 werden die Preise dieses Jahr weltweit deutlich steigen. Die Gefahr, dass diese Entwicklung aus dem Ruder läuft, bleibt aber gering. Denn viele Faktoren, die bislang einer Inflation entgegengewirkt haben, z. B. technologischer und demografischer Wandel, bleiben bestehen. | Die Perspektiven für die Inflationsentwicklung im Euroraum sind mittelfristig schwach. Die Inflationsrate dürfte erst Mitte des Jahrzehnts wieder in die Nähe des EZB-Ziels kommen. Der Preisauftrieb in Deutschland könnte kurzfristig etwas zulegen, falls die Konsumenten rasch ihre Extraersparnisse ausgeben. Mittelfristig bleiben die dämpfenden Spätfolgen der Pandemie auf Wachstum und Beschäftigung aber dominant. Hohe Inflation auf Dauer droht nicht. |
Die Fragen stellte Mark Schrörs. Börsen-Zeitung |