InterviewThomas Döring

Sondervermögen in Treuhandanstalt auslagern!

Investitionen aus dem Sondervermögen sollen Deutschland modernisieren. Doch es droht eine große Enttäuschung. Der Finanzwissenschaftler Thomas Döring schlägt ein Investitionsvehikel abseits etablierter Institutionen vor.

Sondervermögen in Treuhandanstalt auslagern!

Im Interview: Thomas Döring

„Sondervermögen in Treuhandanstalt auslagern!“

Darmstädter Finanzwissenschaftler warnt vor Verpuffung der Milliardenausgaben – Vereinfachung der Investitionsbedingungen gefordert

Um die Gelder aus dem Sondervermögen zügig und wirksam ausgeben zu können, bräuchte man eigentlich eine vorgeschaltete Staatsreform. Da dies versäumt wurde, muss man andere Wege gehen, fordert Thomas Döring, und schlägt eine Auslagerung vor. Ein Investitionsvehikel könnte auch in einem eigenen legislativen Beschleunigungsumfeld agieren. Ein Vorbild für die Standard-Gesetzgebung?

Herr Döring, Deutschland schickt sich an, mit dem Sondervermögen endlich die marode Infrastruktur zu reparieren und zu modernisieren, und damit die Wachstumsgrundlage zu erneuern und zu stärken. Doch der Impuls scheint zu verpuffen, die riesige Investitionssumme droht in Bürokratie zu ersticken, wegen Kapazitätsengpässen in Inflation umzuschlagen und über Verschiebungen von Investitionen aus dem Kernhaushalt an Wirkung zu verlieren. Was läuft falsch?

Nun, immer wenn es bei Bund, Ländern und Kommunen zu Finanzierungschwierigkeiten kommt, sind es die Investitionen, die als erstes gekürzt wurden. An die Personalausgaben kommt die Politik nur schwer ran, die Sozialausgaben sind weitgehend festgelegt, während es für die Investitionen keine harten Regeln gibt. Seit jeher haben wir das Problem, dass Gegenwartskonsum immer auf Kosten der Zukunftsinvestitionen bevorzugt wird.

Und ist das auch hier wieder so – trotz der riesenhaften Summe?

Schon im Jahr 2013 hatten die Wirtschaftsweisen eindringlich gefordert, das abbröckelnde Produktionspotenzial mit mehr, viel mehr öffentlichen Investitionen wieder zu stärken. Aber geschehen ist: nichts – oder zumindest nicht genug! Und weil auch die privaten Investitionen von der öffentlichen Infrastruktur mit abhängen, schwächeln auch diese nun auf breiter Front. Die Lage ist jetzt nach einigen Rezessionsjahren sogar noch dringlicher als je zuvor. Zumal wir schon seit längerem aus der Substanz heraus leben und diese auszehren. Die neuen Investitionsmilliarden setzen zwar ein Zeichen, zu einem Turnaround taugen sie für sich genommen aber nicht.

Können Sie das konkret vorrechnen?

Das Sondervermögen liegt bei 500 Mrd. Euro. Der Bund dürfte das Geld vorwiegend in große Infrastrukturprojekte stecken samt Digitalisierung, woran es durchaus auch fehlt. Aber eines der größten Probleme in Deutschland ist der Investitionsstau in der kommunalen Infrastruktur. Der wird je nach Studie auf zwischen 186 und 225 Mrd. Euro geschätzt. Von den 500 Mrd. Euro sollen zwar 100 Mrd. Euro an die Länder und Kommunen gehen, doch es ist noch unklar, wie viel dann wirklich bei den Kommunen ankommt. Obendrein gibt es für das Geld keinerlei Investitionsauflagen. Wenn die Ausgaben auf mehrere Jahre gestreckt werden, landen dann im günstigsten Fall vielleicht 5 bis 8 Mrd. Euro jährlich bei den Kommunen. Das hilft schon weiter, aber eine Zeitenwende ist das angesichts des gigantischen Investitionsstaus nicht.

Prof. Thomas Döring lehrt an der Hochschule Darmstadt Institutionenökonomik und befasst sich seit vielen Jahren mit fiskalpolitischen Fragestellungen. Er forscht aktuell zum Thema Finanzausgleich und Kommunalpolitik. Sein jüngstes Lehrbuch beschäftigt sich mit der Psychologie der budgetwirksamen Staatstätigkeit: Öffentliche Finanzen und Verhaltensökonomik.
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Aber auch die 400 Mrd. Euro für den Bund sind doch ein Wort! Wie kann man diese große Summe überhaupt zügig und effizient einsetzen?

Das ist in der Tat ein Problem. Und eigentlich hätte man bereits vorher das Feld dafür bereiten müssen. Stichworte sind: Digitalisierung, Entbürokratisierung, Deregulierung, Verschlankung der Gesetze, kürzere und schnellere Verwaltungswege – und wenn es zu langsam geht: im Zweifel für den Antragsteller. Erst dann könnte man sicher sein, dass die Milliarden auch tatsächlich zügig abfließen und zielgenau ankommen. So teile ich Ihre Skepsis aus der Eingangsfrage.

Man hätte also eher umgekehrt vorgehen müssen: erst reformieren, dann Geld ausgeben?

Richtig. Das hat man versäumt, weshalb nun Verzögerungen, Fehlinvestitionen, Teuerungsschub und Stückwerk drohen.

Zukunftsthemen werden in einem demokratischen System leider häufig zurückgestellt, verschleppt – oder es wird ihnen nicht die angemessene Bedeutung zugemessen.

Warum hat es der Staat nicht geschafft, die Investitionsgrundlagen mit Reformen zu verbessern? Das ist zwar mühevoll, doch kriegt man das ja immerhin ohne Geld hin, worum man immer streitet.

Das stimmt zwar, aber Zukunftsthemen werden in einem demokratischen System leider häufig zurückgestellt, verschleppt oder es wird ihnen nicht die angemessene Bedeutung zugemessen. Jede amtierende Regierung blickt immer auf die nächste Wahl, was politökonomisch die Kurzfristorientierung der Politik erklärt. Hinzu kommt: Für viele Strukturreformen reicht eine Legislaturperiode oft nicht aus, um vom positiven Effekt später zu profitieren. Insgesamt gilt, dass sich Politik und Wähler ungern den Gegenwartskonsum einschränken lassen zugunsten von Zukunftsinvestitionen. Denn mit Blick auf den gebotenen politischen Kraftakt oder finanziellen Aufwand müsste müsste man ja dann in der Gegenwart zurückstecken.

Wie könnte man diese Blockaden aufbrechen?

Letztendlich geht das wohl nur über eine Staatsreform und wenn man die Wahlperioden verlängert oder clustert, damit Politiker auch riskante Entscheidungen wagen.

Fraglich, dass die Wähler mitspielen.

Das zeigt in der Tat die Erfahrung aus der Agenda 2010 der Nullerjahre: Die Wirkung war wachstumsmäßig zwar grandios positiv, Deutschland wurde vom europäischen Schlusslicht an die Spitzenposition gerückt, doch die Regierung wurde schnöde abgewählt. Seither hält sich die Politik auf breiter Front bei Reformen zurück.

Wir müssen uns fragen, wie wir die demokratischen Strukturen so ändern, damit Reformen künftig leichter fallen und die Politik wieder mehr die Zukunft im Blick hat als die Gegenwart.

Ketzerisch gefragt: Kann Demokratie überhaupt noch Reformen?

Zur Demokratie gibt es keine Alternative. Aber wir müssen uns natürlich fragen, wie wir die Strukturen so ändern, damit Reformen künftig leichter fallen und die Politik wieder mehr die Zukunft im Blick hat als die Gegenwart. Eine Staatsreform, wie sie jüngst eine Initiative der Hertie School vorgelegt hat, ist insofern dringlicher denn je.

Gibt es vielleicht auch andere Wege? Warum die Umsetzung des Sondervermögens nicht aus der Politik ausgliedern wie bei der Notenbank?

Das wäre aktuell eine Möglichkeit. Man könnte eine Investitionsagentur einsetzen, eine Art Treuhandanstalt, welche die Gelder zudem unter bürokratisch entschlackten und beschleunigten Bedingungen ausgeben kann nach klarem Plan samt Endfälligkeit. Vorbild könnte das Beschleunigungsgesetz während der Energiekrise sein, das als „Deutschlandtempo“ apostrophiert wurde. Aber natürlich werden Kritiker sogleich einwenden, dass eine solche Anstalt ja nicht hinreichend demokratisch legitimiert sei. Noch dazu, weil es sich um die Verausgabung von Schulden handelt, die später als Zins- und Tilgungslast auf den Kernhaushalt zurückfällt.

Die Wähler sind kaum zu bewegen, auf aktuellen Konsum zu verzichten zugunsten der Zukunft.

Aber die Not ist doch heute genauso groß wie seinerzeit in der Gaskrise. Schließlich schwächelt der ganze Standort.

Grundsätzlich hätte ein temporärer Entzug der Investitionsverfügung durch eine Auslagerung in eine separate Institution zusammen mit einer Entschlackung der Verfahrenswege auch den großen Charme, dass man sich diese Struktur auch in der normalen Gesetzgebung zum Vorbild hernehmen könnte. Warum nicht das als Blaupause in den Kernhaushalt übertragen?

Aber spielen die Wähler überhaupt mit, wenn im Kernhaushalt mehr Geld für Investitionen auf Kosten des Konsums abgezweigt werden?

Studien zeigen, dass wir in der Tat eine extreme gegenwartsbezogene Präferenz unter den Wählern haben. Sie sind kaum zu bewegen, auf aktuellen Konsum zu verzichten. Deshalb war ja auch der Verzicht auf das versprochene Klimageld aus der CO2-Steuer für Privathaushalte psychologisch einer der Sargnägel für die Ampelkoalition.

Wie kann man Wähler überzeugen, damit sie auch einen etwas beschwerlicheren Reformweg mitgehen? Helfen vielleicht Leuchtturmprojekte?

Sie können allenfalls für etwas mehr Aufmerksamkeit sorgen. Entscheidend ist aber, was beim Wähler vor Ort passiert. Also wieder: die Kommunen. Und insgesamt schaut der Wähler bei der Beurteilung von Reformen immer auf Vergleichsgruppen, ob sie besser wegkommen als er. Insofern muss jede Reform möglichst ausgewogen sein, Härten fordern von allen, und sie darf keine Sondergruppen bevorzugen, wie das ja häufig bei einzelnen Subventionen passiert. Ansonsten würde die dahinterstehende Politik sofort abgelehnt. Und was wird wertgeschätzt – und häufig von der Politik unterschätzt? Bildungsausgaben werden eigentlich durch die Bank positiv aufgenommen, ebenso wie Investitionen in Verkehrsadern oder die digitale Vernetzung bis ins eigene Haus. Hier zaudert die Politik und lässt viel Wertschätzung liegen.

Intelligenz ist eher sogar hinderlich bei der Realitätswahrnehmung von Politik.

Helfen mehr Kommunikation und Information?

Da muss ich Sie enttäuschen. Untersuchungen zeigen, dass Informationen nur gefiltert aufgenommen werden – quasi über das Bauchgefühl ins Bewusstsein kommen. Auch ein mehr an Informationen wird zunächst nach Bestätigung gefiltert, was man gerne hätte als Wähler. Da ist es dann auch egal, ob der Wähler mehr oder weniger intellektuell ist. Intelligenz ist eher sogar hinderlich bei der Realitätswahrnehmung von Politik. Jene, die sich für schlau halten, und das tun wir ja alle, benutzen die Informationen häufig selektiv, um Denkfehler wegzurationalisieren. Und dort, wo ein Mehr an Informationen nicht die bereits bestehenden Überzeugungen bestätigt, werden diese häufig als unglaubwürdig empfunden.

Eine Treuhandanstalt für die Verwendung des Sondervermögens könnte für die nötige Fairness und Klarheit sorgen, weil ihr eine gewisse Sonderstellung und Unabhängigkeit zugesprochen würde.

Wie soll man als Politiker dann also vorgehen?

Informationen sind immer wichtig, aber das Konzept muss auch überzeugen – in seiner Zielrichtung, seiner Kalibrierung und in seiner sozialen Ausgewogenheit. Und hierbei könnte in der Tat eine Institution helfen, die als Treuhandanstalt für die Verwendung des Sondervermögens für die nötige Fairness und Klarheit sorgt, weil ihr eine gewisse Sonderstellung und Unabhängigkeit zugesprochen würde.

Wird das also mit dem Herbst der Reformen nichts?

Jedenfalls gehe ich nicht davon aus, dass die wirklich heißen Eisen zielführend angepackt werden. Bürokratie- und Regulierungsabbau, Beschleunigung von Investitionen und Unternehmensgründungen, höhere Bildungsausgaben – das sind jene dicken Bretter, an denen die Politik regelmäßig scheitert. Dabei käme es heute darauf noch mehr an als auf die vielen Milliarden, um die es jetzt geht. 2,9 Millionen Menschen unter den 20- bis 34-Jährigen sind aktuell ohne Abschluss – und zwar nicht nur Personen mit Migrationshintergrund. Das sind 19% einer ganzen Generation. Sie fehlen bei der Produktivität. Oder gucken Sie auf die Migranten, die viel zu langsam an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Hier lassen wir Wachstum, Innovationen, Modernisierung liegen. Das sind die wirklichen politischen Herausforderungen. Aber sie taugen nicht dazu, um wie bei der Eröffnung einer neuen Produktionsanlage oder eines Autobahnabschnitts ein Band zu zerschneiden.

Geld ist das teuerste Mittel, um Menschen zu motivieren. Soziale Normen sind nicht nur billiger, sondern häufig auch wirksamere Motivatoren als Geldscheine.

Aber sind die vielen Milliarden nicht zumindest geeignet, den Wähler für die weitergehenden Reformen gewogen zu machen?

Der US-amerikanische Verhaltensökonom Dan Ariely hat einmal sinngemäß gesagt: „Geld ist das teuerste Mittel, um Menschen zu motivieren. Soziale Normen sind nicht nur billiger, sondern häufig auch wirksamere Motivatoren als Geldscheine“. Man kann die Menschen viel leichter zu Verhaltensveränderungen bewegen, wenn man sie dort abholt, wo ihre Wert- und Normeinstellung sind. Geld wirkt zudem oft gar nicht so lang wegen der Gewöhnungseffekte. Auch verdrängt Geld jede intrinsische Motivation. Insofern wäre es vielleicht sogar zielführender und erfolgreicher, zunächst eine Staatsreform auf den Weg zu bringen, die auch einen ökonomischen Aufbruch markiert.

Wie groß ist die Gefahr, dass der jetzt eingeschlagene Weg eines Sondervermögens über die höhere Staatsverschuldung sogar das Gegenteil bewirkt als intendiert?

Schon bald dürfte in den Blick rücken, dass die Zinsausgaben und Tilgungsleistungen des Bundes steigen werden. Sie haben dann im Kernhaushalt absoluten Vorrang bei der Bedienung, weil sie vertraglich vereinbart sind und die Finanzmärkte auch absolut sensibel darauf reagieren. Und was werden sie verdrängen, wenn sie immer weiter zulegen? Natürlich zuallererst die Investitionen.

Das Interview führte Stephan Lorz.


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