Kritik an der Handelseinigung

Zoll-Deal offenbart Europas Schwäche

Die Einigung der EU mit den USA über den transatlantischen Handel gibt nur eine Atempause, ist sich die deutsche Wirtschaft sicher. Jetzt muss Brüssel anderswo neue Partnerschaften eingehen. Denn die USA seien kein verlässlicher Partner mehr.

Zoll-Deal offenbart Europas Schwäche

Deal offenbart Europas Schwäche

Ökonomen rechnen mit Wachstumsknick von 0,2 Prozentpunkten – Langfristig Schaden größer

lz Frankfurt
Von Stephan Lorz, Frankfurt

Die deutsche Wirtschaft sowie Wirtschaftswissenschaftler sehen das Handelsabkommen der Europäischen Union mit den USA insgesamt kritisch, sind aber gleichwohl hin- und hergerissen in ihren Einschätzungen zur EU-Verhandlungsführung, weil der „Deal“ einerseits Planungssicherheit verspricht und mit 15% niedrige Zollsätze als die angedrohten 30% mit sich bringt. Andererseits wird das Abkommen unisono aber auch als das Ergebnis der europäischen Schwäche angesehen, weil sich Brüssel weitgehend den US-Forderungen gebeugt hat.

Ökonomen zufolge ist der direkte Schaden durch höhere Handelsbarrieren in den US-Markt zunächst recht überschaubar. Die DZ-Bank veranschlagt den Wachstumsverlust auf 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte, die über das Jahr hinaus fortwirken. Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat seit längerer Zeit ein speziell auf Zolltarife angepasstes Wachstumsmodell laufen und kommt auf ein um 0,13 Prozentpunkte verringertes Wachstum.

Auf die Stärken besinnen

Insgesamt, so Ralph Solveen und Vincent Stamer von der Commerzbank, werde zwar ein Teil der Zolleffekte durch die geldpolitischen Impulse und die expansive deutsche Finanzpolitik kompensiert, aber die sich aktuell abzeichnende Belebung der Konjunktur dürfte wohl eher „verhalten ausfallen“. Die Ökonomen gehen zudem davon aus, dass die EU-Exporte in die USA über die kommenden zwei Jahre um etwa ein Viertel nachgeben werden. Allerdings, so betont IfW-Handelsexperte Julian Hinz, sei der langfristige Schaden noch viel größer, weil das multilaterale Handelssystem insgesamt ausgehöhlt wird. Die EU sollte sich daher „dringend auf ihre Stärken besinnen und verstärkt Handelspartnerschaften mit gleichgesinnten Ländern fördern, um dem regelbasierten System wieder Rückhalt zu geben“. Langfristig auch zum Schaden der USA könnte werden, dass Washington „politisch und wirtschaftlich kein verlässlicher Partner mehr ist“, wie Thomas Gitzel von der VP-Bank betont.

Trump gibt keine Ruhe

Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, warnt zudem vor neuen Störfeuern. „Darauf vertrauen, dass nun Ruhe herrscht, kann man nicht“, sagt er. Trump nehme die Zolldrohung nie vollends vom Tisch. Und Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank ergänzt: „Machen wir uns nichts vor: Solange Donald Trump US-Präsident ist, kann jederzeit eine neue Runde im Poker um nationale Interessen losgetreten werden.“

Die Wirtschaftsverbände stellen stärker auf die kurzfristigen Folgen des Deals ab. Denn „auch ein Zollsatz von 15% wird immense negative Auswirkungen auf die exportorientierte deutsche Industrie haben“, sagte Wolfgang Niedermark vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Positiv sei indes, dass eine weitere Eskalationsspirale zunächst abgewendet worden sei. Das sieht auch der Hauptgeschäftsführer des Chemieverbands VCI, Wolfgang Große Entrup, so: „Wer mit einem Hurrikan rechnet, ist für ein Unwetter dankbar.“

Der Außenhandelsverband nennt die Zolleinigung mit den Vereinigten Staaten einen „schmerzhaften Kompromiss“. Jedes Prozent Zoll sei ein Prozent zu viel, erklärte der Präsident des Branchenverbands BGA, Dirk Jandura. „Der Zollaufschlag bedeutet für viele unserer Händler eine existenzielle Bedrohung.“ Auch wenn jetzt zunächst Sicherheit über die Handelsbedingungen herrsche, würden sich Lieferketten verändern und Preise erhöhen. „Die Einigung mit den USA wird hier im Land spürbare Auswirkungen haben. Sie wird Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze kosten.“

Wettbewerbsfähigkeit stärken

DIHK-Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov richtet die Aufmerksamkeit auf die nun noch drängenderen innenpolitischen Herausforderungen: „Wir brauchen wettbewerbsfähige Standortbedingungen, verlässliche Politik, gezielte Investitionsanreize und vor allem mehr Tempo und weitere Freihandelsabkommen.“ Das Mercosur-Abkommen müsse endlich ratifiziert, die Verhandlungen mit Indien, Indonesien und Australien mit Nachdruck weitergeführt werden. „Eine exportstarke Volkswirtschaft wie Deutschland braucht mehr denn je offene Märkte, nicht neue Hürden.“ Die EU müsse nun zeigen, dass sie mehr sei als ein Binnenmarkt, sagt BDI-Experte Niedermark: „Wir brauchen eine Strategie für eine wettbewerbsfähige und resiliente Wirtschaft sowie den politischen Willen, im globalen Machtgefüge selbstbewusst mitzuspielen.“


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