InterviewCaroline Gauthier

„Wir befinden uns in einer noch nie dagewesenen Marktanomalie“

Small und Mid Caps sind in den vergangenen Jahren hinter den Blue Chips zurückgeblieben. Warum das so ist und was nötig ist, damit Neben- und Wachstumswerte wieder in Schwung kommen, erklärt Caroline Gauthier, Co-Head of Equities bei Edmond de Rothschild AM, im Interview der Börsen-Zeitung.

„Wir befinden uns in einer noch nie dagewesenen Marktanomalie“

Im Interview: Caroline Gauthier

„Das ist eine noch nie dagewesene Marktsituation“

Rothschild-Expertin: Nebenwerte sind aktuell historisch günstig bewertet – Leitzinssenkungen könnten Katalysator sein

Small und Mid Caps sind in den vergangenen Jahren hinter den Blue Chips zurückgeblieben. Warum das so ist und was nötig ist, damit Neben- und Wachstumswerte wieder in Schwung kommen, erklärt Caroline Gauthier, Co-Head of Equities bei Edmond de Rothschild AM, im Interview der Börsen-Zeitung.

Frau Gauthier, Sie sind spezialisiert auf Nebenwerte. Diese sind zuletzt hinter den Blue Chips zurückgeblieben.

Ja, seit dem April 2022 sind Nebenwerte um 29 Punkte hinter den Large Caps zurückgeblieben. Das ist eine noch nie dagewesene Marktsituation, die bei weitem die letzte Periode der Underperformance übertrifft. In der Finanzkrise von 2008 bis 2009 betrug die Underperformance nur 14 Punkte.   

Woran liegt das?

Erstens haben Small Caps stark unter dem Anstieg der Zinssätze, der die Bewertungsmultiplikatoren gedrückt hat, gelitten – man darf nicht vergessen, dass dieses Universum hauptsächlich aus Wachstumswerten besteht. Zweitens haben sie unter einem ungerechtfertigten Misstrauen der Anleger gelitten, weil seit 2022 mit dem Krieg in der Ukraine, den Energiepreisen, der Inflation und der Angst vor einer Rezession die Risikoaversion auf dem Markt sehr hoch ist.

Und das belastet Nebenwerte stärker als Blue Chips?

Ja, dieses Stressumfeld ist sehr ungünstig für Small Caps, und Anleger haben es vorgezogen, sich aus dieser Anlageklasse zurückzuziehen, weil sie diese als stärker ausfallgefährdet ansehen. Dabei ist die finanzielle Gesundheit von Small Caps intakt. Wenn man sich den europäischen Small-Cap-Index anschaut, haben 30% der Unternehmen eine Netto-Cash-Situation. Aber aufgrund dieses Missverständnisses kommt es zu kontinuierlichen Abflüssen.

Und wie geht es jetzt weiter?

Wir sind der Meinung, dass wir uns in einer noch nie dagewesenen Marktanomalie befinden. Eine Situation, in der die Bewertung von Small Caps noch nie so niedrig war, sowohl absolut als auch relativ gesehen im Vergleich zu Large Caps. Wenn man sich die letzten 20 Jahre ansieht, dann wurde für Small Caps wegen ihrer höheren Wachstumsraten immer ein Aufschlag gegenüber den Large Caps gezahlt, die Prämie lag im Durchschnitt bei fast 25%. Diese Wachstumsprämie ist heute völlig verschwunden. Wir haben sogar einen riesigen Abschlag von 16% bezogen auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis. Da ist mehr als nur eine Rezession eingepreist. Daher gibt es nun einen erheblichen Spielraum nach oben. Es braucht allerdings einen Katalysator.

Und was könnte ein Katalysator sein?

Eine Änderung in der Politik der EZB sollte die Anlageklasse stark unterstützen. Zinssenkungen könnten zu einer Neubewertung beitragen und würde auch die übertriebenen Befürchtungen hinsichtlich der Kreditwürdigkeit zerstreuen. Ein zweiter Katalysator ist für mich die Tatsache, dass die Gewinndynamik im Jahr 2024 wieder zugunsten der Small Caps ausfallen dürfte. Wenn wir uns den Analystenkonsens ansehen, erwarten sie für 2024 ein EPS-Wachstum von 8% für die Small Caps und nur 3% für die Large Caps. Der dritte Katalysator ist eine Erholung des PMI. Small Caps werden oft als zyklischer angesehen als Large Caps. Wir brauchen eine Rückkehr der Kapitalströme in diese Anlageklasse, und ich bin ziemlich optimistisch, dass das der Fall sein wird, die Frage ist bloß wann. Zuletzt haben sich die Märkte ungewöhnlich stark auf die Mega Caps konzentriert, aber die Investoren werden bald auch wieder den Rest des Marktes in Betracht ziehen, und dann werden Small Caps wieder auf dem Radar sein.

Unter den Zugpferden bei den großen Unternehmen waren zuletzt besonders Titel, die mit KI assoziiert werden. Ist das bei SMEs ähnlich?

Im Small- und Mid-Cap-Bereich finden Sie auch Akteure aus dem Bereich der Halbleiterindustrie. Bedenken Sie aber, dass diese Namen sehr volatil sind und stark mit dem Nasdaq-Momentum korrelieren. Daher wäre ich bei diesen kleineren Namen vorsichtiger, auch wenn ich mir sicher bin, dass es Chancen geben wird, sobald die Technologie ausgereift ist. Wir sprechen da nicht nur über KI, sondern auch über Beratungs- oder IT-Dienstleistungsunternehmen, über Rechenzentren, in die in den kommenden Jahren Investitionen erforderlich sein werden.

Welche Sektoren haben Sie noch im Blick?

Wir haben einen reinen Stock-Picking-Fonds. Das bedeutet, dass wir weder auf bestimmte Sektoren noch auf bestimmte Länder schauen. Wir konzentrieren uns auf die Wachstums- und Rentabilitätsaussichten von Unternehmen. In unserem Small-Cap-Fonds sind alle Sektoren vertreten, die wichtigsten sind Industriewerte, Technologie, Gesundheitswesen und Konsumgüter.

Wie gehen Sie vor, um vielversprechende Nebenwerte zu identifizieren?

Wir konzentrieren uns in unseren Small-Cap-Fonds hauptsächlich auf Qualitätsunternehmen, deren Managementteams eine klare und überzeugende Wachstumsstrategie mit einer langfristigen Vision umsetzen. Die DNA unseres Fonds besteht aus vier Auswahlkriterien: Erstens Wachstum. Dieses wird oft von langfristigen Trends unterstützt, die wir Megatrends nennen. Wettbewerbsfähigkeit, denn wenn man will, dass das Wachstum sichtbar und dauerhaft ist, muss das Unternehmen eine hohe Eintrittsbarriere aufweisen und einen Wettbewerbsvorteil haben, um diesen Vorteil zu behalten und in der Lage zu sein, in seiner Marktnische zu wachsen. Das dritte Kriterium ist die Wertschöpfung, denn wir suchen zwar nach Wachstum, aber wir wollen, dass es langfristig profitabel ist. Und das letzte Kriterium ist das Management, die Qualität des Managements und eine gute und transparente Kommunikation, um die Finanzmärkte zu bearbeiten.

Auf welchem zeitlichen Horizont basieren Ihre Investitionen?

Wir investieren mit einer Perspektive von mindestens fünf Jahren in den Small-Cap-Bereich, weil wir die Unternehmen und das Management über einen längeren Zeitraum auf ihrem Weg, ihrem Wachstumspfad, begleiten wollen. Wir schauen auf den Geschäftsplan für die nächsten drei, fünf, zehn Jahre. Und wir erwarten, dass unsere Investoren den gleichen Investitionshorizont haben wie wir. Wir setzen auf Qualitätswachstumsunternehmen, integrieren aber auch ESG-Kriterien. Und wir investieren nur in Unternehmen, von denen wir glauben, dass sie in der Lage sind, über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren Arbeitsplätze zu schaffen.

Können Sie unseren Lesern auch ein paar Namen von Unternehmen nennen, die Ihrer Einschätzung nach stark positioniert sind?

Amplifon. Das italienische Unternehmen ist Marktführer im Vertrieb von Hörgeräten weltweit mit einem starken Engagement in Europa, aber auch in den USA, wo sie ein stabiles Wachstum in Aussicht haben, und im asiatisch-pazifischen Raum. Wir schätzen die sehr gute Positionierung von Amplifon innerhalb der Wertschöpfungskette, mit einer angesichts seiner Größe starken Kaufkraft und einer guten Preismacht. Das Unternehmen bedient einen wachsenden Markt, der von einem Megatrend getrieben wird: der alternden Bevölkerung. Zudem verstärken sie durch Fusionen und Übernahmen das Wachstum der Plattform, konsolidieren den Markt und erobern auch Marktanteile.

Haben Sie noch einen Tipp?

Aus dem deutschen Raum mögen wir SAF-Holland, die auf die Ausrüstung von Lastwagen und Anhängern spezialisiert sind. Sie sind aktuell mit weniger als dem Fünffachen des Ebitda bewertet – ein deutlicher Abschlag gegenüber der langfristigen Durchschnittsbewertung.

Sie sind in der Lage, eine hohe freie Cashflow-Rendite zu erzielen, und sie befinden sich immer noch in einer Transformationsphase nach der Übernahme von Haldex. Das bringt Synergien und Aufwärtspotenzial auf der Margenebene mit sich. Wir schätzen ihre weltweit führende Position, die je nach Markt entweder die Nummer 1 oder die Nummer 2 ist. Sie haben ein starkes Engagement in den USA und auch in schnell wachsenden Ländern wie zum Beispiel Indien. Auch schätzen wir den starken Anteil des Ersatzteilgeschäfts an ihren Einnahmen, das SAF-Holland ein ziemlich widerstandsfähiges Profil verleiht.

Das Interview führte Tobias Möllers.

Das Interview führte Tobias Möllers.