Notiert inMoskau

Die Elastizität von Verboten

Die Tschetschenen bekommen in jüngster Zeit wiederholt enteignete Unternehmen zugeschanzt. Selbst kümmerten sie sich zuletzt um die Regelung der passenden Musik. Und machten dabei einen peinlichen Fehler.

Die Elastizität von Verboten

Notiert in Moskau

Die Elastizität von Verboten

Von Eduard Steiner

Tschetschenien ist – nun, wie soll man sagen – eigen. Eigentlich eine der ärmsten Teilrepubliken Russlands und als solche vorwiegend auf Transfers aus Moskau angewiesen, fällt es in anderen Bereichen und nach anderen Kriterien durchaus auf. Zum einen durch eine traditionalistische Kultur, beruhend auf dem Kodex des Adat. Dieses ungeschriebene Recht regelt auch die Blutrache. Zum anderen fällt Tschetschenien durch einen national adaptierten Islam auf. Zum Dritten durch eine Kultur der Gewalt und einen Nationalstolz, der sich über die Jahrhunderte auch und gerade in Kämpfen mit den Russen äußerte. Auch zu Beginn von Wladimir Putins Amtszeit in den Nullerjahren.

Heute freilich sind die Tschetschenen unter der Führung ihres Lokalautokraten Ramsan Kadyrow eine wichtige Stütze des Kremls im Ukraine-Krieg, in dem sie mit ihren eigenen Truppen ihre Loyalität gegenüber Moskau demonstrieren. Als Dank dafür bekommen sie in jüngster Zeit immer wieder Unternehmen in ihren Einflussbereich zugeschanzt, deren westliche Vorbesitzer entweder freiwillig das Land Richtung Westen verlassen haben oder deren russische Vorbesitzer kurzerhand enteignet wurden. In der großen innerrussischen Besitzumverteilung, die teils schon in Gang ist und Experteneinschätzungen zufolge noch gewaltige Ausmaße annehmen könnte, stehen die Nordkaukasier jedenfalls nicht in der zweiten Reihe.

Verbotene Musik

Genug zu tun, würde man meinen. Und doch bleibt den Machthabern in der südrussischen Teilrepublik Zeit, sich um Details der eigenen Mentalität zu kümmern und dafür zu sorgen, dass diese bleibt, wie sie immer war. Konkret vergangenen Freitag, als der regionale Kulturminister Musa Dadajew laut russischer Nachrichtenagentur Tass die Regelung verkündete, welche Musik künftig zu hören sei. Was schneller ist als 116 Beats pro Minute und langsamer als 80 Schläge, dürfe demnach nicht mehr in Radiosendern gespielt werden.

Dieser Tempokorridor, abgesprochen mit Kadyrow, entspreche der „tschetschenischen Mentalität und dem musikalischen Rhythmus“, um „dem Volk und der Zukunft unserer Kinder das kulturelle Erbe des tschetschenischen Volkes zu vermitteln“, wird Dadajew vom US-Sender CNN zitiert. „Es ist unzulässig, Musikkultur von anderen Völkern zu übernehmen“, sagte er. Die „Moscow Times“ berichtet, dass Musiker nun bis zum 1. Juni Zeit hätten, ihre Stücke umzuschreiben, um alle Kriterien zu erfüllen.

In jedem Fall verbannt die Regelung damit viele moderne, westliche Tanzmusikgenres aus dem öffentlichen tschetschenischen Raum. Ein Punkt wurde dabei in der Eile offenbar nicht bedacht. Auch die russische Nationalhymne spielt sich nicht im Rahmen ab. Mit ihren 76 Beats pro Minute ist sie zu langsam für das tschetschenische Gemüt. Man wird das Problem sicher regeln können. Denn wie sagt man im Russischen so schön: Wenn etwas verboten ist, man es aber sehr will, dann darf man.

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