JahresschlussArbeitsmarkt

Antworten auf den Fachkräftemangel

Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus. Das gefährdet den Wirtschaftsstandort. Dabei gibt es mehrere Stellschrauben, die Linderung versprechen.

Antworten auf den Fachkräftemangel

Antworten auf den
Fachkräftemangel

Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus. Das gefährdet den Wirtschaftsstandort. Dabei gibt es Lösungen, die Linderung versprechen.

Von Anna Steiner, Frankfurt

Die Zahlen sind alarmierend: 1,8 Millionen Stellen sind in Deutschland unbesetzt. Jedes zweite Unternehmen klagt über Schwierigkeiten bei der Suche nach geeignetem Personal (siehe Grafik). Nicht nur hochspezialisierte Fachkräfte fehlen, auch im ungelernten Bereich mangelt es an Mitarbeitern. In diesem Jahr gingen laut Fachkräftereport der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) mehr als 90 Mrd. Euro an Wertschöpfung durch unbesetzte Stellen verloren. Auch an der Nachwuchsfront sieht es mau aus. Jeder zweite Ausbildungsbetrieb kann nicht jede ausgeschriebene Lehrstelle besetzen. Manche Unternehmen erhalten keine einzige Bewerbung.

Besserung ist nicht in Sicht

„Arbeitskräfte sind heute so knapp wie seit dem Wirtschaftswunder nicht mehr“, erklärt Arbeitsmarkt-Experte Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Dabei waren in Deutschland noch nie mehr Menschen in Arbeit. Die Erwerbstätigkeit ist auf einem Rekordhoch. Dass sich die Situation weiter zuspitzen wird, zeigen zwei Entwicklungen. Zum einen werden in den kommenden Jahren die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge in den Ruhestand gehen – und mit ihnen zahlreiche Fachkräfte. Zum anderen planen viele Unternehmen – trotz Konjunkturflaute – mehr Einstellungen im ersten Halbjahr 2024. Das ergab jüngst eine Befragung unter Personalleitern von Randstad und Ifo-Institut. „Die Knappheit am Arbeitsmarkt wird also bleiben“, fasst Weber zusammen.

Zwei Lösungen für den Fachkräftemangel, die die Politik gerne bemüht, sind zum einen die Hebung des ungenutzten Arbeitskräfte-Potenzials im Land und zum anderen die Zuwanderung. Zu diesem ungenutzten Potenzial zählen etwa die vielen Teilzeitkräfte. Würden diese ihre Arbeitszeit aufstocken, wäre vielen Unternehmen geholfen. Allerdings hat die Teilzeitarbeit in Deutschland zuletzt eher wieder zugenommen. Problematisch ist vor allem die maue Kinderbetreuung an vielen Orten. Daher gilt der Kita-Ausbau der Bundespolitik als ein wichtiger Pfeiler in der Fachkräftesicherung. „Es muss verhindert werden, dass die berufliche Entwicklung von Frauen mit der Kinderphase abknickt“, erklärt Weber.

Neues Potenzial muss her

Um mehr einwanderungswillige Fachkräfte aus dem Ausland anzulocken, hat die Ampel-Koalition in diesem Jahr eine Reform des Zuwanderungsgesetzes auf den Weg gebracht. Neu ist daran seit November die Einführung einer sogenannten Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems – ähnlich dem in Kanada. Arbeitswillige Fachkräfte, die mithilfe dieses Gesetzes nach Deutschland einwandern wollen, müssen Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und einen Deutschlandbezug nachweisen. Allerdings dürfte auch das Einwanderungspotenzial begrenzt sein. Schon heute ist jeder siebte Arbeitnehmer zugewandert. Ausländische Arbeitnehmer machen etwa 15% der sozialversicherten Beschäftigten aus, wie aus Statistiken des IAB hervorgeht.

Vielversprechender – wenn auch langwieriger – erscheint daher ein anderer Weg. Die Bundesregierung muss Bildung und Lehre stärken. Die duale Ausbildung ist auf einem Tiefpunkt. „Wichtig ist, die Berufsberatung auszubauen, um mehr junge Menschen in die Ausbildung zu bringen“, fordert Weber. „Niederschwellige Angebote können helfen, diejenigen zu erreichen, die eine volle Ausbildung in einem Zuge nicht absolvieren würden.“ Die Betriebe sind gefragt, auf mögliche Lehrlinge zuzugehen, auch wenn diese vielleicht nicht die erste Wahl darstellen.

Auch die Stärkung von Kooperationen zwischen Wirtschaft, Universitäten und Fachhochschulen ist ein Weg. Dass dies funktionieren kann, zeigt die Entwicklung in den vergangenen Jahren. „Die Start-up-Szene in Deutschland hat sich in den vergangenen zehn Jahren deutlich aufwärts entwickelt“, weiß Weber. Ein Blick in die Daten allerdings zeigt: Angesichts der Alterung der Gesellschaft wird etwa die Selbständigkeit in Deutschland zurückgehen. „Deshalb wäre es wünschenswert, unternehmerisches Handeln in Studiengängen stärker zu etablieren“, fordert der Arbeitsmarkt-Ökonom. Einer, der sich genau dies zum Ziel gesetzt hat, ist Helmut Schönenberger.

Wachstumsfinanzierung fehlt

Der Luft- und Raumfahrttechniker ist Mitgründer und CEO von UnternehmerTUM, einer Plattform, die Start-ups nach eigenen Angaben „einen Rundum-Service von der ersten Idee bis zum Börsengang“ bietet. Die von der deutschen Unternehmerin Susanne Klatten gegründete Initiative ist an der Technischen Universität München (TUM) beheimatet. Seit 2023 ist Schönenberger zudem Mitglied des Vorstands des Deutschen Start-up-Verbands.

Der gelernte Ingenieur weiß um die Herausforderung der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt: „Der Fachkräftemangel wirkt toxisch auf die Innovationskraft Deutschlands“, erklärt Schönenberger. „Er schwächt speziell den Mittelstand und hemmt das Wachstum junger und etablierter Unternehmen.“ Eine Lösung für den Professor für Entrepreneurship ist die Einwanderung. An der TU München gelinge es bereits gut, ausländische Talente anzulocken. „Die TU München hat inzwischen einen internationalen Studierendenanteil von 44%“, so Schönenberger und fährt fort: „Die meisten Absolventen bleiben im Land als Arbeitnehmer und Gründer. Hier liegt ein großes Potenzial.“

Auch wenn sich die deutsche Gründungsförderung zuletzt positiv entwickelt hat, „haben wir in Deutschland großen Aufholbedarf in der Wettbewerbsfähigkeit, vor allem im Vergleich zu den USA und China“, sagt Schönenberger. Gerade bei der Wachstumsfinanzierung hinkt Deutschland hinterher. So wurden pro Kopf von Anfang 2020 bis Ende Juni 2023 in den USA 1.157 Euro im Rahmen von Finanzierungsrunden mit mindestens 100 Mill. Euro investiert. Das entspricht fast dem Sechsfachen des deutschen Wertes. Dazu kommt die hohe Abhängigkeit von amerikanischen Investoren: Fast die Hälfte (46,1%) der Finanzierungsrunden kommen von US-Geldgebern.

Rahmenbedingungen anpassen

Deutschland hat Aufholbedarf, was die Start-up-Kultur angeht. Denn wie der deutsche Start-up-Monitor zeigt, wurden 2023 wesentlich weniger Investments als im Vorjahr getätigt. Allerdings steigt zugleich die Zahl der neu gegründeten Start-ups wieder. Schwerpunkt der Neugründungen sind künstliche Intelligenz und Clean Tech, also Produkte oder Prozesse, die Kosten, Ressourcen, Energieverbrauch, Abfälle und Verschmutzung reduzieren. Die Keimzelle der deutschen Gründerszene findet sich an Hochschulen (siehe Grafik). 49% der Neuunternehmer geben an, Unterstützung von Hochschulen erhalten zu haben. "Die deutsche Gründungsförderung, insbesondere an Hochschulen, hat sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt“, fasst Schönenberger zusammen. Führend sind hier die RWTH Aachen und die TU München.

Doch der Mitgründer von UnternehmerTUM mahnt: „Im Vergleich zu den USA geben wir prozentual mehr für Forschung aus, kommerzialisieren die Forschungsergebnisse aber nicht einmal halb so gut. Das kann sich unser Land nicht mehr leisten.“ Erste Schritte zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Gründer hat die Berliner Politik bereits unternommen. So brachte die Ampel-Koalition im Sommer 2022 eine Start-up-Strategie auf den Weg, die laut Schönenberger erste Fortschritte erzielt hat. Auch der Wettbewerb „Start-up Factories“ des Bundeswirtschaftsministeriums sei ein wichtiger Schritt. Fünf bis zehn solcher Gründerfabriken sollen an deutschen Hochschulen entstehen.

Erfolg zieht Talente an

Doch noch haben besonders kleinere und neue Unternehmen Schwierigkeiten, an das dringend benötigte Kapital zu kommen, um weiter zu wachsen. „Hier kommen bislang – aufgrund sehr bürokratischer Anforderungen – meist nur die großen, etablierten Unternehmen zum Zug“, kritisiert Schönenberger. Dabei könnten die Gründer echte Gamechanger mit Blick auf den Fachkräftemangel werden. Denn erfolgreiche Gründergeschichten dürften laut Schönenberger junge Arbeitskräfte aus dem Ausland anziehen – und andere zum Gründen motivieren. Damit das klappen kann, muss die Politik aber insbesondere an der Bürokratie arbeiten. Auch ein besserer Zugang zu Wachstumskapital und ein optimierter Technologietransfer aus der Wissenschaft in die Wirtschaft müssen stärker gefördert werden.

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