Geringe Produktivität

Die Bauwirtschaft braucht mehr Digitalisierung

Die Arbeitsabläufe am Bau haben sich lange kaum verändert. Doch inzwischen bewegt sich was. Zahlreiche Start-ups schieben die Modernisierung an.

Die Bauwirtschaft braucht mehr Digitalisierung

Die Bauwirtschaft braucht mehr Digitalisierung

Die Arbeitsabläufe am Bau haben sich lange kaum verändert. Doch inzwischen bewegt sich was. Zahlreiche Start-ups schieben die Modernisierung an.

Von Helmut Kipp, Frankfurt

Stark erhöhte Preise für Baumaterial, verschärfte Auflagen, höhere Zinsen – für den Einbruch der Bauwirtschaft gibt es viele Gründe. Doch diese Punkte sind nur ein Teil der Wahrheit. Die Branche hat auch ein strukturelles Problem: die geringe Produktivität. Die reale Wertschöpfung je Arbeitnehmer oder je Arbeitsstunde ist über Jahrzehnte hinweg kaum gestiegen.

Der Faktor Produktivität

In der Baubranche im engeren Sinne, dem Bauhauptgewerbe, lag die Produktivität im Jahr 2021 laut einer Analyse des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie nur um 7% über dem Niveau von 1991. Im breiter gefassten Baugewerbe, das auch Ausbaugewerke umfasst, ist sie sogar um 4% gesunken. Im verarbeitenden Gewerbe, also der Gesamtindustrie, ist die Produktivität dagegen um 90% gestiegen. Das ernüchternde Fazit des Bauverbands: „Die Mehrzahl der Bauunternehmen hat es in der gesamten Zeit versäumt, in produktive Arbeitsabläufe zu investieren.“ Das hängt vor allem mit der langen Baurezession von 1996 bis 2005 zusammen, als das Baugewerbe seine Investitionen um 60% zusammenstrich.

Die Art und Weise, wie gebaut wird, hat sich über Jahrzehnte wenig verändert, obwohl Bauen komplexer wurde und in modernen Gebäuden sehr viel Technik steckt. Die geringe Mechanisierung, Rationalisierung und Digitalisierung hat Folgen. Der Kostendruck, etwa durch steigende Löhne, wird kaum durch Produktivitätsfortschritte abgefedert. Er muss über Preisanhebungen weitergewälzt werden, was Bauen immer weiter verteuert.

Software statt Bleistift

Kaum eine Branche ist so wenig digital wie der Bau. „Das liegt zum einen an der hohen Fragmentierung der ausführenden Unternehmen, die stark handwerklich geprägt sind“, sagt Florian Moll, Senior Manager der Beratungsgesellschaft S&B Strategy. Zum anderen sei der Veränderungsdruck aufgrund der Sonderkonjunktur am Bau gering gewesen. Doch jetzt sorgen der zunehmende Fachkräftemangel und die steigende Komplexität der Projekte für eine neue Situation. Der Druck steigt, Fertigungsprozesse und Arbeitsabläufe zu rationalisieren.

Der entscheidende Hebel zur Effizienzsteigerung seien digitale Tools und Softwarelösungen, betont S&B Strategy in einer Studie zum „Gamechanger Bausoftware“. Digitalisierung trage dazu bei, Projekte effizienter und kostengünstiger abzuwickeln sowie Qualität und Sicherheit der Bauwerke zu verbessern. Während Planungs- und Architekturbüros bereits recht gut aufgestellt seien, gebe es im Gebäudemanagement noch reichlich Spielraum. Das höchste Digitalisierungspotenzial aber machen die Berater in der Bauausführung aus, also der Steuerung und Dokumentation des eigentlichen Baus. An diesen Prozessen ist mit Installateuren, Baufirmen, Architekten und Generalunternehmern eine Vielzahl von Akteuren beteiligt. Die ausführenden Unternehmen sind häufig handwerklich geprägt, die Anbieterlandschaft ist zersplittert. „Da wird noch viel mit Papier und Bleistift gearbeitet“, sagt Moll.

12 Prozent Wachstum erwartet

Unter den Bausoftware-Anbietern gibt es einige größere wie Nemetschek und Autodesk, aber viele kleine. Das Marktvolumen lag 2022 bei 1,7 Mrd. Euro in Deutschland. S&B Strategy rechnet mit etwa 12% Wachstum jährlich bis 2028.

Softwarelösungen stoßen in der Bauwirtschaft bisher auf geringe Akzeptanz. Entsprechend groß ist das Potenzial für Digitalisierung in der Branche.

Ein weiterer Ansatz, die Produktivität zu steigern, ist serielles Bauen. Das heißt: Bauteile werden in einem Produktionswerk hergestellt und an der Baustelle nur noch montiert. Die Wertschöpfung wird also in Fabrikhallen verlagert. Das spart Zeit und Arbeitskräfte. Bei konsequenter Umsetzung seien Zeitersparnisse von 75% möglich, hat S&B Strategy ermittelt. Voraussetzung sind allerdings – neben detaillierter Planung – allgemeine Standards, und daran hapert es bisher. Die Bundesregierung hat sich aber vorgenommen, das serielle und modulare Bauen voranzubringen. Als Vorreiter in Sachen serielles Bauen sieht sich Traumhaus aus Wiesbaden. Im Oktober 2022 ging das neue Fertigteilewerk in Kruft in Rheinland-Pfalz in Betrieb. Allerdings setzt der scharfe Einbruch des Neubaugeschäfts dem börsennotierten Unternehmen schwer zu. Traumhaus hat Anfang Dezember Insolvenz in Eigenverwaltung beantragt.

Serielle Modernisierung

Auch vor- und nachgelagerte Stufen sind in die Digitalisierung eingebunden. So hat der Baustoffhersteller Heidelberg Materials vor gut zwei Jahren mit Dennis Lentz einen Chief Digital Officer auf Vorstandsebene installiert, der die Verantwortung für die digitale Transformation in Händen hält. Im September 2021 investierten die Heidelberger 250 Mill. Dollar in eine Minderheitsbeteiligung an der US-Softwarefirma für Baustofflogistik Command Alkon. Erklärtes Ziel war, die Lieferkette mit cloudbasierten Lösungen zu skalieren. Des Weiteren verfügt der Konzern mit HConnect, HProduce und HService über eigene Digitalprodukte. Im Jahr 2025 will Heidelberg Materials mehr als 75% des Umsatzes mit dem „digitalen Flaggschiff“ HConnect abdecken.

In der energetischen Gebäudemodernisierung kommen ebenfalls neue Verfahren zum Einsatz. Laut der Deutschen Energie-Agentur (Dena) sind 30% der Gebäude in Deutschland für die serielle Sanierung mit vorgefertigten Fassadenelementen geeignet. Außerdem werden die Immobilien mit Solaranlagen ausgestattet. Große Bestände lassen sich mit diesem „Energiesprong“ genannten Verfahren, das in den Niederlanden entwickelt wurde, mit weniger Fachkräften in kürzerer Zeit Richtung Klimaneutralität bringen. Deutschlands größter Wohnungsvermieter Vonovia hat im Herbst erstmals hochgeschossige Gebäude auf diesem Weg saniert. Dabei wurden zusätzlich Fotovoltaikmodule in die Fassade eingearbeitet, um die Gebäude ausreichend mit selbst erzeugtem Strom zu versorgen.

Einstieg bei Gropyus

Als Lead-Investor einer Series-B-Finanzierungsrunde ist Vonovia beim Proptech Gropyus eingestiegen, das auf die serielle Holz-Hybrid-Bauweise spezialisiert ist. Das österreichische Unternehmen setzt den Angaben zufolge auf die vollständige Digitalisierung der Wertschöpfungskette von der Planung über die automatisierte Fertigung bis zum Betrieb.

Gropyus ist nur eines der zahlreichen Start-ups im Bausektor, die in den vergangenen Jahren an den Start gegangen sind. Mit einer Plattform, die alle Mitwirkenden verbindet und alle Dokumente und Informationen bereithält, will die 2018 gegründete Capmo aus München das Bauen effizienter machen. Die Baumanagementsoftware soll einen Überblick über das gesamte Projekt verschaffen. Das soll zum Beispiel gewährleiten, dass auf der Baustelle alle nach dem aktuellen Plan arbeiten. Mehr als 40.000 Bauprojekte im deutschsprachigen Raum seien bereits mit Nutzung der App realisiert worden, ist auf der Homepage zu lesen. Vor gut zwei Jahren sammelte das Unternehmen in einer Series-B-Finanzierung 25,5 Mill. Euro ein. Angeführt hat die Runde der US-Technologie-Investor Bessemer Venture Partners.

Navvis und Alasco

Dreidimensionale Modelle von Innenräumen erstellt die ebenfalls in München ansässige Navvis. Auf Grundlage der "digitalen Zwillinge" können Sanierungen und Modernisierungen geplant werden. Die Technologie kommt auch in der Industrie zum Einsatz. So gibt es eine Kooperation mit Mercedes-Benz. Das 2013 mit Unterstützung der Technischen Universität München gegründete Unternehmen verfügt inzwischen über Niederlassungen in den USA, Großbritannien und China.

Software für Finanzcontrolling und ESG-Management entwickelt die 2018 gegründete Alasco. Kunden sind Projektentwickler, Bauträger und Assetmanager. Die letzte Finanzierungsrunde, bei der Insight Partners und Lightrock einstiegen, brachte vor zwei Jahren 40 Mill. Dollar in die Kasse. Mit Personal- und Gebäudedokumentation befasst sich die Softwarefirma Ishap. Mit dem sogenannten digitalen Bauwerk haben die Wiener ein Dokumentationskonzept für den Lebenszyklus von Gebäuden entwickelt – von der Planung über das Bauen bis Facility Management und Bewirtschaftung.

Planradar mit namhaften Kunden

Ein Tool für digitale Zutrittskontrolle und Dokumentenverwaltung etwa von Subunternehmern bietet Bausicht aus Münster an. Es erfasst die Personen auf der Baustelle und gibt Nachricht, wenn Dokumente wie Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis fehlen oder abgelaufen sind. Das Ziel des vor zwei Jahren gegründeten Unternehmens: zollkonforme Baustellen. Fast 30 Jahre älter ist Projekt Pro, die Software für Projektcontrolling und -management an Architekten und Bauingenieure vertreibt und gut 50 Mitarbeiter zählt.

Zu den etablierten Jungfirmen gehört die 2013 gegründete Planradar aus Österreich, die eine Webapplikation für Dokumentation und Kommunikation in der Bau- und Immobilienwirtschaft anbietet. Zu den Kunden zählen die Baukonzerne Hochtief, Strabag und Porr, Immobilienkonzerne wie Vonovia und Aroundtown, aber auch Siemens und Rewe. Angefangen hat das Unternehmen mit einem Tool für Mängelmanagement. Rund 60 Mill. Euro holte sich Planradar Anfang 2022 in einer Finanzierungsrunde, die von Insight Partners und Quadrille angeführt wurde.

Finanzinvestoren wollen konsolidieren

Inzwischen arbeiten Private-Equity-Firmen daran, den zersplitterten Bausoftwaremarkt zu größeren Gruppen zu konsolidieren. So hat der Familieninvestor Bregal Unternehmerkapital im November 2023 die Gründung der Buildtec Software Group verkündet, in der diverse Softwaremarken gebündelt werden.

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