JahresschlussSteuerpolitik

Steuerreform kann die Industrie erblühen lassen

Deutschland ist im internationalen Steuerwettbewerb zurückgefallen. Investoren brauchen aber Anreize und der Standort ein echtes Konzept. Nur so kommt die gebeutelte deutsche Wirtschaft wieder auf die Füße.

Steuerreform kann die Industrie erblühen lassen

Steuerreform könnte Industrie erblühen lassen

Investoren brauchen Anreize und der Standort ein echtes Konzept.

Von Angela Wefers, Berlin

Wenn es um blumige Gesetzesnamen geht, ist die Ampel-Regierung selten verlegen. Das "Wachstumschancengesetz" von Finanzminister Christian Lindner (FDP) sollte von 2024 an der gebeutelten deutschen Wirtschaft steuerlich auf die Beine helfen. Die Mischung aus Investitionsförderung für den Klimaschutz, mehr Liquidität und einer Reihe überfälliger Regelungen ist indessen kurz vor Jahresende auf der Strecke geblieben. Bundesregierung und Bundestag ignorierten im parlamentarischen Verfahren weitgehend die Einwände der Länder. Der Bundesrat schickte das Gesetz in die Vermittlung. Die Fronten sind aber so verhärtet, dass vor Jahresende nicht einmal ein Termin sinnvoll schien. Ob die Reform überhaupt kommt, ist zweifelhaft. Im Steuerrecht sind Novellen unterjährig schwer umsetzbar. Wieder ziehen womöglich zwölf Monate ins Land, in denen der Steuerstandort Deutschland international weiter zurückfällt.

Denn im weltweiten Steuerwettbewerb ist es um Deutschland schlecht bestellt. Seit der Unternehmenssteuerreform 2008 hat sich wenig getan. Die Novelle war ein Befreiungsschlag; die Senkung der Körperschaftsteuer von 25% auf 15% im Wettbewerb attraktiv. Heute, eineinhalb Dekaden später, liegt Deutschland mit einer Tarifbelastung von fast 30% durch Körperschaft- und Gewerbesteuer sowie Solidaritätszuschlag wieder in der traurigen Spitzengruppe. Nur Japan und Malta übertreffen das Niveau. In der Industrieländerorganisation OECD beträgt der Durchschnitt rund 23%.

Steuersätze sind gesunken

Fast alle großen Industrieländer haben in den vergangenen Jahren ihre Steuersätze für Kapitalgesellschaften deutlich gesenkt – darunter die USA, Großbritannien oder Frankreich. Dies hat die Lage hierzulande relativ verschlechtert. Einzig Lettland und Portugal haben die Steuersätze laut dem Forschungsinstitut IW Köln erhöht. In Deutschland kommt eine große Spannbreite durch die kommunale Hoheit bei der Gewerbesteuer hinzu: 2022 variierte die tarifliche Belastung zwischen 24,6% etwa in Leverkusen und 36,1% in Oberhausen. Letzteres ist global ein Spitzenwert. Auch in der Dynamik des Unternehmenssteueraufkommens liegt Deutschland in einsamen Höhen. Von 2010 bis 2020 rechnet das IW eine Steigerungsrate von 45% zum Niveau in anderen großen Industrieländern vor.

Steuersätze allein sind keine Allheilmittel zur Stärkung eines Standorts, aber für private Investoren sind sie ein wichtiges Signal. Soll die deutsche Industrie wieder erblühen, gehört eine Unternehmenssteuerreform auf die wirtschaftspolitische Agenda. Zudem: Globalen Änderungen in der Besteuerung kann sich kein Land entziehen. Die Digitalisierung der Wirtschaft schafft für viele Steuerbehörden Probleme beim herkömmlichen Konzept der Besteuerung an der Betriebstätte. Wertschöpfung wird zunehmend losgelöst vom Ort des Absatzes. Der in der OECD koordiniert Steuerclub von rund 140 Ländern hatte vor einigen Jahren begonnen, anstelle einer Digitalsteuer die Neuverteilung des Steueraufkommens zwischen Industrie- und Schwellenländern zu konzipieren. Die Einigung steht bislang aus.

Die USA denken nicht daran, die Besteuerung ihrer profitablen Big-Tech-Unternehmen aus der Hand zu geben. Stattdessen hat der Steuerclub zusätzlich die – von Deutschland betriebene – Einführung einer globalen Mindeststeuer beschlossen. Treibende Kraft dahinter war Olaf Scholz (SPD) noch als Bundesfinanzminister. Die Steuer war ursprünglich nur dafür gedacht, den Verlust von Steuersubstrat bei der Umverteilung zugunsten von Schwellenländern zu kompensieren. Hierzulande ist das in EU-Recht gegossene Vorhaben 2023 in ein nationales Gesetz umgesetzt worden. Es belastet von nun an große deutsche Unternehmen mit einer zusätzlichen Steuer. Auch hier sind die USA ausgeschert. Unternehmen jenseits des Atlantiks müssen sich nicht einmal mit dem Gedanken an die globale Mindeststeuer belasten.

Konzept gehört auf die Agenda

Seit Jahren blockieren sich die Koalitionäre in Berlin steuerpolitisch gegenseitig, etwas für die Wirtschaft auf den Weg zu bringen. Erst galt dies für die große Koalition aus CDU/CSU und SPD, nun für die Ampel aus SPD, Grünen und FDP. Selbst in Zeiten von Haushaltsüberschüssen, also noch vor der Coronakrise, bissen die Lobbyverbände der Wirtschaft auf Granit. Lange Wunschlisten mit dringendem Regelungsbedarf werden regelmäßig vorgetragen – ohne Aussicht auf Erfolg. Dabei wäre am Anfang eine Idee, ein Konzept nötig. Was will Deutschland mit seinem Steuerstandort bewirken? Für wen soll der Investitionsstandort attraktiv sein?

Der Chemieverband VCI hat in einer Umfrage unter Dax- und MDax-Unternehmen sowie großen Familiengesellschaften zutage gefördert, dass es Stammhäuser in Deutschland besonders schwer haben. Geld verdient wird im Ausland, Steuern werden zu Hause gezahlt. Dabei ist die Beschäftigungsrate im Inland hoch – ein Umstand, der Sozialpartner und Politiker beglücken dürften. 2018 entfielen vom weltweiten Umsatz der befragten Unternehmen nur 17% auf Deutschland, aber 44% der weltweit gezahlten Ertragsteuern. Fast 40% der Mitarbeiter waren hierzulande beschäftigt. Hinzu kommen Energie- und Grundsteuern sowie Lohnsteuern und Sozialabgaben. Eine Steuerpolitik, die Unternehmen im Inland halten will, muss sich damit befassen, wie der Holdingstandort gestärkt werden kann.

Potenzial für Forschung

Auch den Forschungsstandort könnte eine steuerliche Flankierung beflügeln. Heftig haben sich deutsche Regierungen gegen eine Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung gesträubt. Nun sollte mit dem Wachstumschancengesetz die Bemessungsgrundlage dafür verdreifacht werden. Neben personalintensiven Vorhaben sollten auch Projekte mit hohen Investitionskosten künftig möglich werden. Mit dem Wachstumschancengesetz liegen diese Pläne zur verbesserten Forschungsförderung im Vermittlungsausschuss aber auf unbestimmte Zeit auf Eis.

Mit steuerlichen Verbesserungen wollte die Ampel den Start-up-Standort voranbringen. Sie sind auf halbem Wege stecken geblieben. Dabei gäbe es noch viel Potenzial. Laut Ifo-Institut brachte es Deutschland im alten Jahr auf 30 Unicorns bei Unternehmensgründungen. In den USA waren es stolze 655. Mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz zur Stärkung des Finanzstandorts war geplant, die Freibeträge für die Mitarbeiterkapitalbeteiligung deutlich zu steigern. Die Dry-Income-Problematik sollte so entschärft werden, dass bei langen Übergangsfristen Steuern erst dann gezahlt werden müssen, wenn auch wirklich Geld fließt. Beides wurde im Gesetzgebungsverfahren aus eher vernachlässigbaren Kostengründen gekappt und fällt deutlich weniger ambitioniert aus, als es möglich gewesen wäre.

Der Schatz der deutschen Industrie sind die mittelständischen Hidden Champions – in ihrem Fach an der Spitze in der Welt und zu Hause vielfach Arbeitgeber, wie sie sich auch kapitalmarktkritische Politiker nur wünschen können. Die Betriebe werden von Inhabern und Familien mit Herzblut geführt. Vielfach unterliegen sie der Einkommensbesteuerung. Eine praktikable Besteuerung etwa für die im Unternehmen thesaurierten Gewinne wäre ebenso wichtig wie eine taugliche Option, sich wie eine Kapitalgesellschaft behandeln zu lassen. Dies würde das Potenzial jener Unternehmen stärken, die hierzulande vor allem auf dem Land für Wohlstand sorgen.

Die Mängelliste ist lang. Vieles könnte im Steuerrecht verbessert werden, das nicht einmal etwas kostet. Verspätete Betriebsprüfungen schaffen Unsicherheit und Bürokratie. Das deutsche Steuersystem ist international inkompatibel. Kein Land streitet mehr in Doppelbesteuerungsverfahren mit anderen Staaten um Steueraufkommen. Betriebswirtschaftlich sinnvolle Umstrukturierungen verbieten sich vielfach steuerlich. Das Land verkrustet. Hinzurechnungen und Nichtanrechnungen sollen die Gewerbesteuer als Hauptfinanzressource der Kommunen stärken. Eine ertragsgerechte Unternehmensbesteuerung und eine stabile Einnahmequelle sind aber ein Widerspruch in sich.

Zwei Expertenkommissionen für ein moderneres Steuerrecht hat Finanzminister Lindner Ende September eingesetzt. Sie sollen bis Mitte 2024 einen Bericht vorlegen und Maßnahmen für ein moderneres und zukunftsfestes Steuerrecht empfehlen: Unter den Überschriften „Vereinfachte Unternehmenssteuer“ und „Bürgernahe Einkommensteuer“ stehen dort Wissenschaft und Praxis mit dem Ministerium im Dialog. Die Lösungen sollen "praxisnah und politisch umsetzbar" sein. Das Wort Reform taucht vorsichtshalber nirgendwo auf.

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