Halbleiter

Chipstandort D entgeht dem Rotstift

Nach der überwundenen Haushaltskrise des Bundes stehen die zugesagten öffentlichen Fördermittel bereit für den Bau hochmoderner Chipfabriken vor allem in Ostdeutschland. Im internationalen Wettbewerb um Chipstandorte erringt die größte Volkswirtschaft der EU einen Teilerfolg. Der deutsche Steuerzahler zahlt dafür aber einen hohen Preis.

Chipstandort D entgeht dem Rotstift

Chipstandort D entgeht dem Rotstift

Nach dem beigelegten Haushaltsstreit ist der Weg frei für den Bau von Fabriken vor allem in Ostdeutschland. Für den Steuerzahler ist der Preis aber hoch.

Von Stefan Kroneck, München, und Alex Wehnert, New York

In der zyklischen, kapitalintensiven Halbleiterbranche ist vor allem das Timing entscheidend für den geschäftlichen Erfolg. Der Zeitpunkt für umfangreiche Kapazitätserweiterungen einer Reihe von Herstellern zur Produktion moderner, leistungsstarker Chips scheint für diesen Hochtechnologiezweig günstig zu sein. Denn nach dem branchenweiten Umsatzeinbruch 2023 hellt sich die Lage für die globale Chipindustrie 2024 deutlich auf. Der Bedarf an elektronischen Bauelementen wird auf breiter Front steigen, wie Gartner vorhersagt. In einer jüngsten Studie erwartet der US-Marktforscher im neuen Jahr einen Zuwachs der weltweiten Branchenerlöse von 17% auf 624 Mrd. Dollar, gefolgt von einem prognostizierten Schub 2025 auf 721 Mrd. Dollar ( 16%). Zum Vergleich: 2023 sackte der Chipumsatz Gartner zufolge um 11% auf 534 Mrd. Dollar ab.

Nach der zurückliegenden Flaute aufgrund einer schwachen Nachfrage nach Smartphones und Notebooks dürfte der Trendsetter künstliche Intelligenz (KI) aus Sicht der Marktforscher weiter an Zugkraft gewinnen. Chipanwendungen für die Autoindustrie (Stichwort Elektromobilität), erneuerbare Energien (Stichwort Klimawandel) und Rechenzentren halten den Bedarf auch in den folgenden Jahren auf einem strukturell hohen Niveau.

Tausende neue Stellen

Vor diesem Hintergrund liegen Anbieter wie Infineon und Wolfspeed wohl goldrichtig mit ihren Entscheidungen, ihre Aktivitäten in Deutschland deutlich auszuweiten. Deutschlands Marktführer baut am Standort Dresden ein weiteres Werk, welches 2026 in Betrieb gehen und rund 1.000 neue Arbeitsplätze schaffen soll. Der US-Halbleiterspezialist Wolfspeed errichtet in Kooperation mit dem schwäbischen Autozulieferer ZF eine Fabrik im saarländischen Ensdorf. In dieser sollen ebenfalls rund 1.000 Personen beschäftigt sein. ZF stellt mit 600 den Großteil, von übrigen Zulieferern kommen 400. Aufgrund der Transformation zur Elektromobilität fallen bei Autozulieferern viele Stellen weg. Denn für den Bau von E-Autos wird weniger Personal benötigt, da sie mit deutlich weniger Antriebskomponenten auskommen als Verbrenner. Für den Bau investieren die Amerikaner 3,5 Mrd. Euro.

Für Aufsehen sorgten Intel und TSMC mit ihren Ankündigungen, sich in Deutschland mit eigenen Werken anzusiedeln. Der US-Chipriese will bei Magdeburg rund 30 Mrd. Euro investieren. 10.000 neue Stellen sollen geschaffen werde. Der Auftragsfertiger aus Taiwan beabsichtigt, bei Dresden für 10 Mrd. Euro eine Fabrik in Kooperation mit Bosch, Infineon und dem Produzenten NXP aus den Niederlanden zu bauen. Das schafft in Sachsen voraussichtlich weitere Tausende neue Arbeitsplätze.

Der Bund klotzt

Impulsgeber dieser Schritte der Firmen ist aber nicht nur der erwartete wachsende weltweite Bedarf an Chips, sondern es sind umfangreiche staatliche Fördermittel. Erst die Anreize der öffentlichen Hand, die Bauvorhaben mit Beträgen von bis zu mehreren Milliarden an Steuergeldern zu bezuschussen, locken vor allem die ausländischen Konzerne in die größte Volkswirtschaft der EU. Für Intel sagte Vater Staat knapp 10 Mrd. Euro zu, für TSMC 5 Mrd. Euro, für Infineon 1 Mrd. Euro und für Wolfspeed 0,7 Mrd. Euro. Das entspricht einer Bandbreite von einem Fünftel (Wolfspeed, Infineon) bis zur Hälfte (TSMC) der jeweiligen Investitionssumme. Bei Intel ist es ein Drittel.

Der Bund klotzt. Rückendeckung erhält die Berliner Ampel-Koalition dabei von Brüssel. Angesichts eines Subventionswettlaufs mit den USA und China um Chipstandorte sah sich die EU-Kommission gezwungen, mit einem European Chips Act gegenzusteuern, um die Gemeinschaft als Hightech-Standort attraktiver zu machen. Das heißt, erforderliche Beihilfeprüfungen – wie in solchen Fällen üblich – winkt die EU-Kommission wohlwollend durch.

US-Förderung rollt nur langsam an

In den USA hat es hingegen lange gedauert, bis Subventionen aus dem im August 2022 verabschiedeten Chips and Science Act tatsächlich verfügbar wurden. Insgesamt ist das Programm 280 Mrd. Dollar schwer, davon sollen rund 53 Mrd. Dollar direkt in die Fertigung von und Forschung zu Halbleitern fließen – doch die Förderung rollte erst im dritten Quartal 2023 mit Millionenbeträgen für Projekte des US-Verteidigungsministeriums an.

Das Handelsministerium stieß bei der Verteilung von Milliarden-Fördermitteln unterdessen schnell auf Probleme. Laut Ressortleiterin Gina Raimondo herrscht zwar ein großer Andrang auf die 39 Mrd. Dollar, die sie zu vergeben hat. Doch der Chips Act ist mit kleinteiligen Vorgaben gespickt, die das Abrufen von Subventionen erschweren. Dies soll Zielen wie dem Umweltschutz dienen – trägt laut dem Analysedienst Bloomberg Intelligence aber dazu bei, dass der Bau von Halbleiterfabriken in den USA im Schnitt 25% länger dauert als in Asien.

Furcht vor Wahlausgang

Nun will das Handelsministerium mit 10 Mrd. Dollar aus dem Chips Act regionale Technologiezentren aufbauen, die Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen anziehen sollen. Allerdings hat Washington bisher nur 5% der Fördermittel wirklich zugewiesen. "Der Kongress muss die Mittel jährlich neu in den Haushalt aufnehmen", räumte die stellvertretende Handelsministerin Alejandra Castillo im Dezember vor Journalisten in New York ein. Damit wird die Befürchtung deutlich, die Marktteilnehmer umtreibt: dass die US-Förderprogramme nach republikanischen Siegen bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen 2024 versiegen, bevor sie Effekte entfalten können.

Derweil ist in Deutschland die wochenlange Zitterpartie um die Fördersummen beendet. Die Bundesregierung einigte sich darauf, die vorgesehenen Mittel für die Chipfabriken weitgehend von den Haushaltseinsparungen zu verschonen. Letztere wurden notwendig, um ein entstandenes Finanzloch zu stopfen. Denn das Bundesverfassungsgericht erklärte zuvor die Umwidmung von Mitteln aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) für nichtig. Einen Teil der für die Chipfabriken zugesagten Fördergelder wollte die Ampel-Koalition aus dem KTF finanzieren. Für die betroffenen Unternehmen ist die beigelegte Haushaltskrise ein Segen. Denn nun herrscht Planungssicherheit. „Wir begrüßen es, dass die zugesagten Fördermittel ausgereicht werden“, sagt ein Infineon-Konzernsprecher. „Wichtig für die Industrie ist jetzt, dass die erzielten Kompromisse auch auf lange Sicht belastbar sind“, erklärt der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI).

Streit um Mittel für Intel und TSMC

Die Argumente von Interessenvertretungen und der Politik sind nachvollziehbar. Schließlich geht es bei den Investitionen auch um innovative Produkte, die die Wettbewerbsposition europäischer Konzerne verbessern könnten. So setzen das Dax-Mitglied aus Neubiberg bei München sowie andere Anbieter wie etwa Wolfspeed auf Siliziumkarbid-Halbleiter. Diese neuen Leistungschips sind zwar teurer als solche aus Silizium, können elektrische Ströme aber effizienter steuern. Das beschleunigt unter anderem das Laden von E-Autos. Insofern trägt das dazu bei, den politisch gewollten Wandel zur emissionsfreien Elektromobilität zu unterstützen.

Strittig ist aber nach wie vor die Höhe der staatlichen Fördersumme insbesondere bei Intel und bei TSMC. Mancher Ökonom argumentiert, dass beide Konzerne weit über das Normalmaß hinaus bezuschusst werden. Das stimmt, wenn man zum Vergleich die öffentlichen Mittel bei den Projekten von Infineon und bei Wolfspeed ins Verhältnis zur gesamten Investitionssumme setzt. Die Staatsquoten fallen dort deutlich geringer aus. Einerseits. Andererseits musste sich Berlin großzügig zeigen, um im Standortwettbewerb gegenüber Nordamerika und Fernost zu punkten. Mancher sprach davon, dass sich die Bundesregierung in den Verhandlungen mit den Konzernspitzen habe erpressen lassen. In dieser Kritik schwingt mit, dass Vater Staat Steuergelder verschleudert. Ob und inwiefern diese Mittel sich für den Chipstandort D auszahlen, könnte sich in der kommenden Dekade herausstellen. Dann dürften die neuen Fabriken ihre volle Leistungskraft erreichen – vorausgesetzt, das operative Geschäft boomt so, wie Optimisten hoffen.

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