InterviewBettina Orlopp

"Wir haben eine kleine Renaissance der Filiale erlebt"

Nach dem Ende der Pandemie habe die Digitalisierung in Deutschland den Rückwärtsgang eingelegt, sagt die stellvertretende Commerzbank-Chefin Bettina Orlopp. Dagegenzuhalten sei nicht nur mit Blick auf die eigene Kundschaft wichtig, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe, damit das Land nicht abgehängt wird.

"Wir haben eine kleine Renaissance der Filiale erlebt"

„Wir haben eine kleine Renaissance der Filiale erlebt“

Nach dem Ende der Pandemie habe die Digitalisierung in Deutschland den Rückwärtsgang eingelegt, sagt die stellvertretende Commerzbank-Chefin Bettina Orlopp. Dagegenzuhalten sei nicht nur mit Blick auf die eigene Kundschaft wichtig, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe, damit das Land nicht abgehängt wird.

Frau Dr. Orlopp, in der Vergangenheit wurde die Commerzbank gerne mal ein bisschen spöttisch als größte Sparkasse Deutschlands bezeichnet. Bald sind drei von sieben Vorstandsposten mit Managern besetzt, die von den österreichischen Sparkassen kommen. Wollen Sie auf diese Weise von Ihren wichtigsten Wettbewerbern lernen?

Vorstandspersonalien sind Sache des Aufsichtsrats, da bin ich nicht die richtige Ansprechpartnerin. Ich kann nur sagen, dass die Zusammenarbeit im Vorstand ausgesprochen gut funktioniert. Und wir freuen uns auch sehr auf den neuen Risikovorstand Bernd Spalt. Im Übrigen schauen wir nicht auf andere oder auf die Vergangenheit, sondern konzentrieren uns voll und ganz auf die Umsetzung unserer weiterentwickelten Strategie bis 2027. Wir wollen das Kundengeschäft profitabel ausbauen, die Transformation in Deutschland mitgestalten, für Investoren langfristig Wert schaffen und melden uns als attraktive Arbeitgeberin zurück. Es gibt viel zu tun! 

Was unterscheidet die Commerzbank von den Sparkassen?

Unser Geschäftsmodell ist ein anderes. Auf der Privatkundenseite können wir mit unseren beiden Marken alle Kundengruppen bedienen, sowohl diejenigen, die neben unserem digitalen Angebot auch eine persönliche Präsenz und Beratung wünschen, als auch die komplett digitalen, onlineaffinen Kunden der Comdirect.

Sie meinen, dass die Sparkassen im Privatkundengeschäft eine Klientel bedienen, die mehr Wert auf die Möglichkeit legt, die Filiale besuchen zu können?

Da müssen Sie natürlich die Sparkassen fragen. Ich kann hier nur für die Commerzbank sprechen. Wir decken eine ganz andere Bandbreite ab, auch im Firmenkundengeschäft: Unser Fokus liegt dabei auf dem mittleren bis größeren Mittelstand, vor allem den Unternehmen, die im Ausland aktiv sind und die wir mit unserer Exportfinanzierung und unserem sonstigen Angebot im Firmenkundengeschäft dabei begleiten können.

In der Vergangenheit wurde vom privaten Lager immer mal wieder der ungleiche Wettbewerb mit den Sparkassen moniert, die unter geringerem Renditedruck stehen. Wie bewerten Sie das deutsche Drei-Säulen-Modell?

Der deutsche Bankenmarkt ist deutlich fragmentierter als die Bankenmärkte anderer Länder. Fragmentierung geht immer einher mit Effizienzverlusten. Wir sind immer noch „overbanked“ im Vergleich zu anderen Ländern in Europa. Außerdem ist Deutschland als größte europäische Volkswirtschaft sehr attraktiv für ausländische Wettbewerber. Das führt zu einer besonders hohen Wettbewerbsintensität. Das kann man auch sehen, wenn man die erzielbaren Margen hier in Deutschland betrachtet, diese sind sowohl im Firmen- als auch im Privatkundengeschäft strukturell niedriger als in anderen Ländern. Und das bei vergleichsweise hohen Durchschnittskosten. Deutschland ist ja nicht gerade ein günstiger Produktionsstandort.

Daran hat sich in den vergangenen Jahren auch nichts geändert?

An dem strukturellen Problem hat sich trotz der laufenden Konsolidierung innerhalb der Säulen in der Tat kaum etwas geändert.

Der Wettbewerb mit den Sparkassen zwingt Sie in zu hohe Kostenstrukturen?

Nein, so würde ich das nicht sagen. Am Ende haben wir doch alle denselben Anspruch: Wir möchten unseren Kunden den besten Service bieten. Bei der Commerzbank geht es uns darum, unsere Services und Beratungsangebote den Kunden auf möglichst allen Kanälen anzubieten – von der Filiale über das Beratungscenter bis hin zu online und mobilen Kanälen. Das wollen wir besser machen als der Wettbewerb. Dieser Anspruch hat aber nichts zu tun mit dem Drei-Säulen-Modell in Deutschland. Das hat mit dem technologischen Fortschritt zu tun. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss man sich weiterentwickeln. Das ist überall in Europa so.

Worin genau besteht der Nachteil des deutschen Marktes dann?

Wir haben einfach eine andere Margensituation. Wir können in unserem Heimatmarkt mit einem Produkt weniger verdienen als unsere Wettbewerber in anderen europäischen Märkten. Auch wenn uns die veränderte Zinssituation bei diesem Thema jetzt hilft. Nehmen Sie etwa das Girokonto: In einem Markt, in dem es fast mit null bepreist ist, und bei bis vor kurzem vorherrschenden Negativzinsen ist es wahnsinnig schwer, eine ordentliche Profitabilität zu erzielen.

Das Zinsumfeld hat sich zwischenzeitlich verändert.

Es hat sich normalisiert. Wir können damit im Einlagengeschäft wieder Geld verdienen. Das hat uns im Jahr 2023 Rückenwind gegeben.

Die Commerzbank hat viele Jahre sehr intensiv um Kunden geworben. Mit der Restrukturierung haben Sie das eingestellt. Wie viele Privatkunden haben Sie aktuell?

Wir haben in Deutschland insgesamt knapp elf Millionen Kunden, davon knapp drei Millionen bei der Comdirect. Wir waren auch in der Transformationsphase werblich aktiv, vor allem, um Kunden anzusprechen, die uns als Hausbank in Betracht ziehen. Erfreulich ist, dass wir in den Segmenten, die wir besonders in den Fokus genommen haben, die Kundinnen und Kunden von uns überzeugen konnten. Übrigens haben wir im Zuge der Restrukturierung weniger Kunden verloren, als wir das einmal selbst kalkuliert hatten. Und vor allem haben wir damit sehr wenig Ertrag verloren.

Wie sieht es mit dem Kampf um die privaten Kundeneinlagen aus? Die sind dank Zinswende ja wieder mehr wert für die Banken.

Das ist richtig, es gibt wieder Wettbewerb um Einlagen. Das hat ungefähr im Februar, März angefangen und sich seither verstärkt. Das ist offensichtlich ein funktionierender Markt. Kunden, die darauf aus sind, ein höheres Zinsangebot auf ihr Tagesgeld zu bekommen, haben eine sehr große Auswahl. Wir konnten unsere Einlagen in den ersten drei Quartalen steigern. Per Ende September belief sich das Volumen im Segment Privat- und Unternehmerkunden in Deutschland auf 157 Mrd. Euro.

Welche Strategie verfolgt die Commerzbank im Einlagengeschäft?

Wir rechnen damit, dass wir die Einlagen im Firmenkundengeschäft bis 2027 relativ stabil halten werden. Im Privatkundengeschäft wollen wir das Volumen um 3% pro Jahr steigern. Wir teilen die allgemeine Einschätzung, dass die Einlagevolumina allein schon aufgrund der Inflation zunehmen. Wir möchten allerdings auch stärker wachsen als der Wettbewerb.

Wir sind mit unseren rund 400 Filialen, die wir bundesweit haben, derzeit richtig aufgestellt.

Die Deutsche Bank hat angekündigt, das Filialnetz der Postbank weiter auszudünnen. Hat das bei Ihnen ähnliche Überlegungen ausgelöst?

Wir sind mit unseren rund 400 Filialen, die wir bundesweit haben, derzeit richtig aufgestellt.

Das heißt, die Commerzbank ist mit ihrer Restrukturierung durch?

Die Zeiten der großen Einschnitte, in denen wir von A bis Z alles durchgegangen sind, liegen hinter uns. Aber natürlich ruhen wir uns jetzt nicht aus. Wir werden uns auch weiterhin verändern und modernisieren. Wir werden eine Kultur etablieren, bei der wir uns und unsere Prozesse ständig hinterfragen. Wie können wir das eigentlich besser machen? Müssen wir das wirklich so machen?

Können Sie ein Beispiel dafür geben?

Wir haben in der Bank ein großes Projekt aufgesetzt, das heißt „Einfach Einfacher“. Es geht darum, Komplexität zu reduzieren und Prozesse zu vereinfachen. Und es ist explizit jede und jeder in der Bank aufgerufen, sich mit Ideen und Verbesserungsvorschlägen einzubringen, wie wir uns das Leben im Alltag alle zusammen ein Stück weit leichter machen können. Meine Kolleginnen und Kollegen fragen mich oft, wann wir das abschließen werden. Meine Antwort lautet: wahrscheinlich nie. Es ist ein ständiger Lernprozess, nicht nur innerhalb der Bank. Es geht auch darum, die Kundinnen und Kunden zu überzeugen, dass sie viele Services auch ganz wunderbar online erledigen können, statt dafür in die Filiale zu gehen.

Braucht es dafür wirklich noch Überzeugungsarbeit? Ich dachte, das hätte sich durch Corona weitgehend erledigt.

Überraschenderweise haben wir nach dem Ende der Pandemie eine kleine Renaissance der Filiale erlebt: Manche Kundinnen und Kunden kommen wieder in die Filiale und suchen den persönlichen Kontakt. Auch die Bargeldnutzung hat wieder zugenommen. Das sieht man ja, wenn man im Supermarkt an der Kasse wartet.

Woran liegt das?

Ich denke, das ist ein kulturelles Phänomen in Deutschland. Übrigens nicht nur bezogen auf Bankgeschäfte, man kann es ja in vielen Lebenssituationen beobachten. Das 49-Euro-Ticket zum Beispiel kann man sich bequem online besorgen, aber gerade am Anfang standen dafür noch viele Menschen in der Schlange. In den Behörden wiederum haben wir das Problem, dass viele Dienstleistungen noch nicht digital erledigt werden können, ich denke da zum Beispiel an die Pass- oder Führerscheinbeantragung. Für mich ist das ein echtes Standortthema.

Ist das wirklich ein typisch deutsches Problem?

Der Eindruck drängt sich auf. In den Niederlanden oder Skandinavien etwa gehen die Menschen ganz anders mit dem Thema Digitalisierung um. Dort wird man ja beinahe schon schräg angeschaut, wenn man in bar bezahlen möchte. Jeder Kiosk hat da inzwischen ein Bezahlterminal. Und Dänemark hat kürzlich die Post de facto abgeschafft, zumindest die „Beförderungspflicht“, und klassische Briefe werden dort ab Januar deutlich teurer und somit auch unattraktiver. Stattdessen setzen die Dänen verstärkt auf E-Mail.

In Deutschland ist gerade ein Entwurf für ein neues Postgesetz vorgelegt worden.

Ja. Da stellt sich schon die Frage, wie zeitgemäß das noch ist. Wäre es nicht besser, darüber nachzudenken, wie wir die Anzahl an Briefen reduzieren? Das ist auch ein Nachhaltigkeitsthema. Nicht nur wegen der Zustellung, sondern auch wegen des Papierverbrauchs. Dasselbe Thema haben wir auch mit den Kontoauszügen. Deswegen haben wir jetzt gesagt, dass man in unseren Filialen nur noch einmal im Monat Auszüge ausdrucken kann. Das gefällt nicht jedem. Aber wenn ich auf dem Smartphone oder online den Kontostand in Echtzeit abrufen kann, ist das tägliche Ausdrucken von Auszügen einfach nicht sinnvoll.

Ist das eine Mentalitätsfrage?

Nicht nur. Es gibt auch eine regulatorische Komponente. Gerade Banken und Versicherer dürfen einen Teil der Geschäftskorrespondenz gar nicht elektronisch übermitteln. Da braucht es eine sogenannte „nasse Unterschrift“. Die Unterlagen müssen also auf jeden Fall per Post geschickt oder persönlich ausgehändigt werden, was bestimmte Prozesse unnötig verlangsamt. Das Vorgehen ist zum Beispiel bei der Baufinanzierung gesetzlich vorgeschrieben. Natürlich hilft das nicht bei der Digitalisierung, die aus meiner Sicht eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe ist. Auch deshalb geben wir uns Mühe, die Kundinnen und Kunden davon zu überzeugen, unsere App zu nutzen, statt den Überweisungsträger auszufüllen und in die Filiale zu bringen. Das ist furchtbar mühsam und kostet am Ende auch viel Geld. Mit der Fotoüberweisung ist der gleiche Vorgang innerhalb weniger Sekunden erledigt.

Wie hält es die Privatkundin Bettina Orlopp denn selbst so?

(Lacht) Ich gehe eigentlich nie in die Filiale, es sei denn berufsbedingt, wenn ich Kolleginnen und Kollegen besuche. Ich bin die klassische Digitalkundin, die meisten Dinge erledige ich mit der mobilen App. Bei bestimmten Sachen geht das heute noch nicht, in dem Fall mache ich das online. Und wenn es mal ganz was Spezielles ist, dann greife ich zum Telefon.

Älteren oder körperlich beeinträchtigten Menschen fällt das nicht immer so leicht.

Deshalb müssen wir einen Weg finden, wie wir alle mitnehmen können. Ich werde deshalb nicht sagen, wir schaffen den Kontoauszugsdrucker ab und bieten alles nur noch digital an. Wir wollen ja einen Service anbieten, der alle Kundenbedürfnisse abdeckt.

Dazu gehören auch die erweiterten Servicezeiten im Beratungscenter. Wie wird das angenommen?

Das Angebot in den Randzeiten wird genutzt. Manchmal ist das auch nur zur Kontrolle: Wer abends auf dem Sofa ein Tagesgeldkonto eröffnet hat, drückt dann vielleicht auf den Call-Button in der App, um sich zu erkundigen, ob alles geklappt hat. Auch die Nachfrage am Samstag sollte man nicht unterschätzen.

Die Mitarbeiter dürften sich über die Samstagsarbeit und das Arbeiten zu den Randzeiten weniger gefreut haben.

Wir haben das so organisiert, dass es die Mitarbeiter möglichst wenig belastet. Egal, wo der Kunde sitzt: Er wird immer dorthin geleitet, wo gerade freie Kapazitäten sind. Und wir haben die Arbeitsplätze so ausgestattet, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Schicht von zu Hause aus erledigen können, damit niemand spät abends noch den Heimweg antreten muss. Viele Kolleginnen und Kollegen schätzen es übrigens sehr, dass sie so flexibel arbeiten können und sich nicht nach festen Öffnungszeiten in der Filiale richten müssen. So lassen sich Beruf und Familie für manche noch besser miteinander vereinbaren.

Lassen Sie uns über das Firmenkundengeschäft reden. Sie haben gesagt, dass sich die Commerzbank von 2.000 Kundenbeziehungen getrennt hat. Sind denn auch neue dazugekommen?

Insgesamt ist der Kunden- und Ertragsverlust durch unsere Transformation deutlich geringer, als wir erwartet hätten, das gilt sowohl für das Privat- als auch für das Firmenkundengeschäft. Gerade an den internationalen Standorten hatten wir eine ganze Reihe von Kunden, mit denen wir eigentlich nur eine Kreditlinie hatten.

Und diese Beziehungen haben Sie gekappt.

Es hat eine Rückbesinnung stattgefunden auf Firmenkunden, die einen Bezug zu Deutschland oder zumindest zum deutschsprachigen Raum haben. Dadurch stellen wir sicher, dass wir mit diesen Kunden, wenn sie sich dazu entscheiden, nach Deutschland zu gehen, auch echtes Geschäft machen. Zugleich haben wir aber auch neue Kundinnen und Kunden gewonnen, daher ist der Nettoeffekt überschaubar geblieben. Auf die Ertragsentwicklung hatte das so gut wie keinen Einfluss, was eben auch verdeutlicht, dass es unprofitables Geschäft war, von dem wir uns getrennt haben.

Sie haben angekündigt, die bestehenden Kundenbeziehungen aufzuwerten, also mehr Ertrag pro Kunde zu generieren. Wie gehen Sie dafür vor?

Wir schauen uns jede Kundenbeziehung an und gehen der Frage nach, welche zusätzlichen Bedürfnisse dieser Kunde haben könnte. De facto haben viele Kunden multiple Bedürfnisse. Das fängt mit einer einfachen Betriebsmittellinie an, geht dann zu einem klassischen Kredit für bestimmte Investitionsbedarfe bis hin zur Exportfinanzierung – je nachdem, welches Geschäft der Kunde betreibt und wie groß er ist. Bei großen Kunden kann es auch um Kapitalmarktgeschäft gehen. Am Ende bieten wir die ganze Bandbreite an, wobei wir uns auf das konzentrieren, was wir als Kernkompetenz sehen. In manchen Bereichen arbeiten wir mit Partnern zusammen, zum Beispiel mit Oddo im gesamten Equity-Geschäft.

Können Sie schon beziffern, wie der Ertrag pro Kunde angestiegen ist?

Das ist nichts, was von heute auf morgen passiert. Wir sind an langjährigen Kundenbeziehungen interessiert. Und nicht jeder Kunde braucht in jedem Jahr alle Dienstleistungen und Produkte von uns. Wichtig ist: Unsere Relationship Manager kennen ihre Kunden schon seit Jahren sehr gut und können gezielt auf ihre Bedürfnisse eingehen.

Aber ganz ohne Auswirkung wird die Reduktion der Kundenbeziehungen doch nicht geblieben sein?

Fakt ist, dass wir den Anteil der Kredite bei Kundenbeziehungen mit einer RWA-Effizienz von weniger als 3% von gut einem Drittel im Jahr 2020 auf inzwischen unter 20% gesenkt haben.

Das Wachstum kam zuletzt ja aus dem Firmenkundengeschäft. Werden Sie das so fortschreiben können?

Natürlich wollen wir das Kreditgeschäft mit Firmenkunden weiter ausbauen. Wir glauben, dass in Deutschland ein sehr hoher Investitionsbedarf besteht mit Blick auf die grüne und die digitale Transformation der Wirtschaft. Das kann der Staat allein nicht leisten. Deshalb stehen wir Banken als Finanzierungspartner bereit. Wir haben bei der Commerzbank dafür sehr gute Angebote.

Jetzt geht aber die Kreditnachfrage sogar zurück. Macht Ihnen das Sorgen?

Schon, aber mehr für den Standort als für uns als Bank. Dadurch, dass wir unsere Kunden international begleiten, sehen wir natürlich, dass gerade die größeren Kunden sehr wohl investieren, aber eben nicht in Deutschland, sondern anderswo in der Welt.

Welche Regionen sind das?

Vor allem in den USA, aber auch teilweise in Asien. Langfristig ist es für uns als Bank natürlich wichtig, dass die Kunden hier bei uns in Deutschland investieren. Deshalb plädieren wir schon lange dafür, dass etwas passiert, um den Standort zu stärken.

Energiekosten, Bürokratie und Fachkräftemangel. An allen drei Themen müssen wir arbeiten. Sonst wird die Investitionsneigung in Deutschland auf Dauer nicht so sein, wie wir sie haben wollen und wie wir sie brauchen.

Was genau schwebt Ihnen vor?

Es geht es vor allem um die drei Themen, die wir alle kennen: Energiekosten, Bürokratie und Fachkräftemangel. An allen drei Themen müssen wir arbeiten. Sonst wird die Investitionsneigung in Deutschland auf Dauer nicht so sein, wie wir sie haben wollen und wie wir sie brauchen – als Bank und als Standort.

Das klingt ziemlich pessimistisch.

Für mich ist das Glas halb voll: Wir haben es selbst in der Hand, etwas zu ändern. Aber dafür müssen wir uns bewegen und sichtbare Veränderungen schaffen. Damit wir unserem Mittelstand das Gefühl geben, dass er hier wirklich investieren kann. Wenn man mit Unternehmerinnen und Unternehmern in Deutschland spricht, dann hört man oft, dass hier einfach alles viel zu lange dauert, dass es unglaublich langwierig ist, die erforderlichen Genehmigungen zu bekommen. Und deshalb ist es nachvollziehbar, dass sie sich dreimal überlegen, ob sie ihre Pläne hier umsetzen oder lieber doch irgendwo anders auf der Welt, wo ihnen nicht so viele Steine in den Weg gelegt werden.

Wie hilfreich war das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in dem Zusammenhang?

Kurzfristig natürlich überhaupt nicht. Andererseits könnte man die Haushaltskrise auch als Chance dafür nutzen, noch stärker zu priorisieren, wofür man in Deutschland Geld ausgibt. Viele Themen habe ich schon genannt. Bildung gehört mit Sicherheit auch dazu. Wir müssen dringend in unser Bildungssystem investieren, das hat zuletzt auch die Pisa-Studie wieder gezeigt. Wenn wir das nicht tun, besteht die Gefahr, dass wir abgehängt werden. Und es wäre jetzt auch höchste Zeit, die Bedingungen für private Investitionen in Deutschland und Europa zu stärken. Sonst verlieren wir langfristig weiter an Boden.

Zur Person
Analytisch, nüchtern, eloquent: Das Finanzressort scheint der Commerzbank-Vorständin Bettina Orlopp auf den Leib geschneidert. Wenn die frühere McKinsey-Partnerin das unter ihrer Ägide transparenter und granularer gewordene Zahlenwerk erläutert, vergisst man schnell, dass sie ihre Vorstandskarriere 2017 mit einem vermeintlichen Frauen-Ressort begonnen hat. Personal schien damals in vielen Konzernen (wenn überhaupt) das einzige Ressort zu sein, das man Frauen anvertraute – wahrscheinlich wegen ihrer angeblich ausgeprägteren Sozialkompetenz. Nicht wenige trauen der 53-jährigen promovierten Betriebswirtin heute noch mehr zu als das 2020 übernommene Finanzressort und die 2021 hinzugekommene Stellvertretung des als Sanierer angeheuerten CEO Manfred Knof. Mit dem Ausscheiden von Risikochef Markus Chromik zum Jahreswechsel ist Orlopp nicht nur dienstältestes Vorstandsmitglied, sondern auch das einzige verbliebene, dem es in den turbulenten Restrukturierungsjahren gelungen ist, im Sattel zu bleiben.

Das Interview führte Anna Sleegers.

Interview: Bettina Orlopp

Das Interview führte Anna Sleegers.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.