Softbank

Vision Funds ohne Visionen

Das Schrumpfen der Technologieblase entzieht der Softbank Group die Geschäftsgrundlage. Private-Equity- und Venture-Capital-Gesellschaften machen dem Konzern zusätzlich das Leben schwer. An der Börse ist die Aktie trotzdem gefragt.

Vision Funds ohne Visionen

Der Zweck, auf die Welt zu kommen, besteht darin, Dinge zu bewegen.“ Das Zitat stammt von Ryoma Sakamoto (1836 – 1867) und ist der Wahlspruch von Masayoshi Son. Seit seiner Kindheit verehrt der Gründer und CEO von Softbank Group den einflussreichen Reformer, in seinem Büro steht ein Ölporträt in Lebensgröße von ihm. Sein Vorbild aus der japanischen Geschichte erklärt den ewigen Ehrgeiz von Son, etwas Besonderes und Großes zu schaffen, zum Beispiel den größten Technologie-Fonds aller Zeiten mit 100 Mrd. Dollar.

Aber in diesem Jahr ging der 65-jährige Unternehmer mit seinen Ambitionen baden. Denn das Schrumpfen der Technologieblase entzog Son die Grundlage für sein Geschäftsmodell, das auf inflationierten Bewertungen von jungen Tech-Unternehmen beruhte. In der Folge schrieben die beiden Softbank Vision Funds zwischen Januar und Juni mit insgesamt 5,9 Bill. Yen (40,5 Mrd. Euro) tiefrote Zahlen. Son und Softbank stehen damit pars pro toto für die Neubewertung von Tech-Unternehmen am Finanzmarkt. Besonders rächte sich der Kardinalfehler von Son, große Anteile an seinen häufig unprofitablen Start-ups nach einem erfolgreichen Börsengang im Portfolio zu behalten. Nun ist sein einst strahlender Nimbus als genialer Investor und „Warren Buffett der Tech-Branche“ nahezu erloschen.

Ein erster Warnschuss hatte den Japaner mit koreanischen Wurzeln 2019/20 durch den Büroflächen-Vermieter Wework getroffen. Dessen Bewertung stürzte binnen eines Jahres von 47 Mrd. Dollar auf 2,9 Mrd. Dollar. Damals kamen Zweifel auf, ob Wework eine so hohe Bewertung wie ein Tech-Unternehmen verdiente. Doch in diesem Jahr häuften sich infolge der raschen und kräftigen Straffung der US-Geldpolitik heftige Korrekturen im Tech-Sektor, angefangen bei börsennotierten Giganten wie Amazon, Alphabet und Meta bis hin zu zahlreichen unprofitablen Jungunternehmen im Silicon Valley und anderswo.

Demut nach Kurseinbrüchen

Den schwedischen Zahlungsdienstleister Klarna zum Beispiel taxierten Investoren bei der von Softbank geführten Finanzierungsrunde im Juni 2021 noch auf 45,6 Mrd. Dollar. Doch durch die erhöhten Zinssätze stieg die Schuldenlast von Klarna drastisch an. Bei der jüngsten Finanzierungsrunde im Juli 2022 war Klarna nur noch 6,5 Mrd. Dollar wert. Die Aktienkurse von zwei anderen Softbank-Beteiligungen – dem Fahrdienstvermittler Grab Holdings in Singapur und dem E-Commerce-Konzern Coupang in Südkorea – fielen seit ihren IPOs im Vorjahr um 77 % bzw. 51 %. Softbank selbst kürzte den Wert des indischen Hotelvermittlers Oyo gegenüber 2019 um 73 % auf 2,7 Mrd. Dollar.

Bei der Vorlage der Geschäftszahlen im August zeigte sich der Konzernchef geläutert. Softbank als Gans, die goldene Eier legt, kam in seiner Rede nicht mehr vor, er ließ auch keine Einhörner mehr über ein Corona-Tal fliegen. Statt wie zwei Jahre zuvor mit Jesus Christus verglich er sich nun zerknirscht mit Shogun Tokugawa Ieyasu nach der verlorenen Schlacht von Mikatagahara 1573. „Falls wir weiter eine große Vision einseitig verfolgen, besteht die Gefahr der totalen Zerstörung“, räumte Son ein. „Daher werden wir Investitionen gründlich beschränken.“ Das Versprechen hat er gehalten: Zwischen Juli und September taucht Softbank im globalen Ranking der zehn größten Kapitalgeber von CBInsights nicht auf.

Parallel schrumpfte Son sein Portfolio: Den Besitzanteil der chinesischen Alibaba Group, die erfolgreichste und größte Beteiligung von Softbank, reduzierte er von 23,7 % auf 14,6 %, obwohl der Aktienkurs des Internetriesen seit dem Höchststand im Oktober 2020 um 70 % gefallen war. Aus dem Fahrdienstvermittler Uber stieg Son komplett aus. Die Baisse an der Börse erschwert jedoch den geplanten Börsengang des britischen Chipdesigners Arm sowie den angestrebten Verkauf der US-Investmentbank Fortress. Auch das Klumpenrisiko in China ist nicht zu unterschätzen: Mit 21 % des Nettoinventarwertes zu Ende Juni bleibt Alibaba ein Schwergewicht. Und rund 20 % des Kapitals in den Vision Funds steckt in chinesischen Start-ups wie dem Fahrdienstvermittler Didi Chuxing.

Die Gruppe verliert an Einfluss

Die Gretchenfrage lautet, ob sich Sons Geschäftsmodell überhaupt retten lässt. An der Börse sind nun profitable Tech-Unternehmen gefragt, Investoren greifen nach Start-ups, die wenig Geld verbrennen und Aussicht auf schwarze Zahlen haben. Dagegen basierte Sons Vorgehen darauf, die Bewertung eines Jungunternehmens durch hohe Kapitalspritzen zunächst selbst hochzutreiben, Wettbewerber durch einen ruinösen Preiskampf aus dem Markt zu drängen und sein oft über Kredite gehebeltes Investment dann über einen Börsengang mit einer noch höheren Taxierung als Bilanzgewinn zu verbuchen. Damit dürfte auf absehbare Zeit Schluss sein, weil die Kapitalkosten stark gestiegen sind.

Ein epochaler Wandel der Venture-Kapital-Welt macht Son ebenfalls das Leben schwer. Inzwischen drehen Private-Equity-Investoren und Hedgefonds ihm eine lange Nase, weil sie den heißesten Start-ups schneller fettere Schecks ausstellen können. „Die Zeiten sind vorbei, als kein Start-up auf Kapital von Softbank verzichten konnte“, meint Takeshi Ebihara vom Venture-Kapitalgeber Rebright Partners.

Insight Partners in den USA sammelte im Februar 20 Mrd. Dollar ein, Tiger Global Management im März 12,7 Mrd. Dollar. Doch Softbank fand für ihren zweiten Vision Fund keine Partner mehr und stemmt 38 Mrd. Dollar an Investitionen allein. Wegen der Assetverkäufe wie Alibaba fehlen ihr nun Sicherheiten für neue Kredite. Auch eine Abtrennung der Vision Funds mit einem Börsengang bietet wegen der niedrigeren Bewertungen keine gute Lösung. Dazu verteilt Son das Geld neuerdings mit der Schrotflinte. Der Vision Fund 1 investierte in 94 Start-ups, der Vision Fund 2 in 252 Start-ups, wohl mit der Hoffnung, auf diese Weise eher einen zweiten Volltreffer wie Alibaba zu landen.

Der einstige Zerstörer der Branche wird nun selbst zerstört. Auch deswegen verlassen langjährige Son-Partner das Softbank-Schiff – der designierte Nachfolger Marcelo Claure ging im Streit über die Entlohnung. Der Architekt der Vision Funds, Rajeev Misra, zog sich aus einigen Funktionen zurück, um einen eigenen Venture-Fonds aus der Taufe zu heben. Der verschärfte Wettbewerb um fähige Assetmanager hat ihre Gehälter nach oben getrieben und zwingt die Vision Funds zu Entlassungen. Mindestens 30 % der Mitarbeiter müssen gehen.

Aktie stark gefragt

Allerdings zeigt die Vergangenheit, dass man Son nie vorschnell abschreiben sollte. So denken offenbar auch einige Anleger, denn die Aktie war im vergangenen Quartal mit einem Plus von 34 % der beste Wert im Nikkei 225. Als mögliche Ursachen nennen Analysten die Kostensenkungen sowie einen weiteren Aktienrückkauf von 400 Mrd. Yen (2,7 Mrd. Euro) bis April 2023. Die Cash-Bestände von geschätzt über 60 Mrd. Dollar wecken neue Begehrlichkeiten. In Japan ist Kapital dank des Nullzinses weiter billig. Mit einem Buchwert von 1,2 wird die Aktie weit unter ihrem Fünfjahres-Schnitt gehandelt, was Schnäppchenjäger auf den Plan rief.

Außerdem dürfte Softbank am Freitag trotz des anhaltenden Tech-Abschwungs gute Zahlen vorlegen. Nomura schätzt die Vorsteuerverluste der Vision Funds zwischen Juli und September auf nur noch 462 Mrd. Yen (3,2 Mrd. Euro). Dem stehen nach der Nomura-Kalkulation Vorsteuererträge von 2,4 Bill. Yen (16,4 Mrd. Euro) aus dem Verkauf der Alibaba-Anteile über Derivative gegenüber.

Der Geist seines großen Vorbildes Sakamoto ist bei Son jedenfalls noch lebendig. Er soll schon einen dritten Vision Fund planen. Und auf der Softbank-Webseite schreibt Son den Aspiranten, die für ihn arbeiten wollen, ins Stammbuch: „Seien Sie ehrgeizig und lassen Sie uns etwas schaffen, über das die Menschen auf der ganzen Welt auch in 50 oder 100 Jahren noch staunen werden.“

Von Martin Fritz, Tokio

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