Lohnentwicklung

Mindestlohn: Deutschland liegt mit Anhebung im Trend

Deutschland folgt mit der geplanten Mindestlohnerhöhung dem europäischen Trend und schiebt sich auf Rang 2. Die hohe Inflation lässt allerdings nur wenig vom Lohnplus übrig.

Mindestlohn: Deutschland liegt mit Anhebung im Trend

ast Frankfurt

Mit der geplanten Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro zum 1. Oktober liegt Deutschland voll im europäischen Trend. Denn die Mindestlöhne in der Europäischen Union ziehen wieder kräftig an. Das geht aus dem Internationalen Mindestlohnbericht hervor, den das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am Donnerstag veröffentlicht hat.

Spitzenreiter Luxemburg

Demnach haben die meisten europäischen Länder ihren Mindestlohn zum Jahreswechsel erhöht. Der mittlere Zuwachs betrug zum 1. Januar 4% und fiel etwas höher aus als im Vorjahr. In Deutschland stieg der Mindestlohn von 9,60 auf 9,82 Euro. In den Nachbarländern wie den Niederlanden (10,58 Euro), Frankreich (10,57 Euro) oder Belgien (10,25 Euro) sieht es allerdings noch besser aus (siehe Grafik) – ganz zu schweigen von Luxemburg, wo Arbeitnehmer pro Stunde mindestens 13,05 Euro erhalten. Mit einer Erhöhung auf 12 Euro würde Deutschland auf den zweiten Platz rücken.

Allerdings spüren die Beschäftigten davon nicht allzu viel: Die anhaltend hohe Inflation dämpft den Effekt höherer Mindestlöhne – und zwar in der gesamten EU. So betrug das tatsächliche Lohnplus durchschnittlich nur 1,4% und fiel damit sogar noch etwas geringer aus als im noch stark von der Pandemie geprägten Vorjahr 2020.

Das Statistische Bundesamt (Destatis) veröffentlichte bereits am Mittwoch die aktuellen Daten für Deutschland, wonach die Reallöhne im vergangenen Jahr das zweite Mal in Folge sanken. Nach den vorläufigen Daten der Behörde wuchsen die Bruttomonatsverdienste einschließlich der Sonderzahlungen im Jahr 2021 um knapp 3,1%, wurden aber mehr als vollständig von den um gut 3,1% gestiegenen Verbraucherpreisen aufgezehrt. Der Rückgang der Reallöhne betrug damit 0,1%. Die Statistiker wiesen zudem darauf hin, dass das Lohnwachstum durch einen Sondereffekt statistisch nach oben verzerrt werde: Der Rückgang der Kurzarbeit nach dem ersten Coronajahr sorgte dafür, dass mehr Beschäftigte bei der Rückkehr zur Vollzeit wieder mehr Gehalt erhielten. Besonders deutlich zeigte sich dieser Effekt in den von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Branchen wie etwa der Gastronomie oder dem Luftverkehr.

Median als Maßstab

Mit der für Oktober geplanten Anhebung entspräche der Mindestlohn in Deutschland ungefähr der Schwelle von 60% des Medianlohns. Dies wird zwar von Arbeitgeberverbänden hierzulande als überzogen kritisiert, gilt aber international als Richtwert für ein angemessenes Lohnniveau. So orientiert sich etwa auch die Europäische Kommission in ihrem Entwurf für eine Europäische Mindestlohnrichtlinie, die noch nicht verabschiedet wurde, an diesem Schwellwert. Berechnungen der Industrieländerorganisation OECD zufolge lag Deutschland zuletzt bei nur 50,7% des Medians. Zum Vergleich: Länder wie Portugal (65,1% des Medianlohns) oder Frankreich (61,2%) haben gemessen am nationalen Lohnniveau deutlich höhere Lohnuntergrenzen festgelegt.

Die WSI-Wissenschaftler Thorsten Schulten und Malte Lübker empfehlen sicher nicht zuletzt mit Blick auf die Debatte hierzulande (siehe Text oben), diese Median-Schwelle auch gesetzlich zu verankern. „Dieser Schritt würde das Mandat der Mindestlohn-Kommission stärken und ihren Handlungsspielraum für die Zukunft erweitern“, heißt es in der Studie. Und weiter: „Dies würde verdeutlichen, dass es der Bundesregierung um die nachhaltige Etablierung eines angemessenen Mindestlohnniveaus geht.“ Im März 2021 hatten Arbeitsminister Hubertus Heil und der damalige Finanzminister Olaf Scholz (beide SPD) angekündigt, den bisherigen Prüfkatalog im Mindestlohngesetz (MiLoG) um das 60-Prozent-Kriterium ergänzen zu wollen. Im aktuellen Referentenentwurf ist davon allerdings keine Rede mehr.

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