Corporate Finance AwardUniper

Der Kraftakt zur Verstaatlichung

Die Rettung von Uniper war nicht nur teuer für den Steuerzahler, sondern angesichts der sich permanent ändernden Rahmenbedingungen auch äußerst komplex. Dafür erhält der verstaatlichte Energieversorger den Corporate Finance Award in der Kategorie Large Caps.

Der Kraftakt zur Verstaatlichung

Corporate Finance Award: Die Preisträger (3)

Verstaatlichung von Uniper – ein Parforceritt

Mit dem Aus für die Gasumlage ist zweites Rettungspaket hinfällig – Von der Gunst der Ratingagenturen abhängig

Von Annette Becker, Düsseldorf

Anfang 2022 war der Versorger Uniper der breiten Öffentlichkeit kein Begriff. Heute kennt Deutschlands größten Gasimporteur so ziemlich jeder, weil das Unternehmen vom Steuerzahler gerettet wurde. Mit der Verstaatlichung gelang es, Deutschland vor dem Zusammenbruch des Energiesektors zu bewahren.

Mit einem tiefen Griff in den Staatssäckel ist Uniper im Dezember vor der Pleite und Deutschland vor einem Zusammenbruch des Energiesektors gerettet worden. Das, was Anfang 2022 als reine Liquiditätskrise begann, wuchs sich zur finanziell größten Rettung für ein einzelnes Unternehmen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland aus. Mit der im Dezember durchgeführten Kapitalerhöhung um 8 Mrd. Euro und einer ersten Ziehung aus dem genehmigten Kapital von 5,5 Mrd. Euro handelte es sich hierzulande um die größte Eigenkapitaltransaktion im vorigen Jahr.

An dieser Mega-Transaktion kam auch die Jury des Corporate Finance Award nicht vorbei.  Uniper erhält den Preis in der Kategorie Large Caps jedoch nicht nur aufgrund der schieren Größe der Transaktion. Vielmehr ist sie auch ein Paradebeispiel dafür, dass staatliche Stellen – sei es bundes- oder europaweit –, wenn es hart auf hart kommt, schnell handeln können.

Zwar sollte es vom ersten Antrag auf Staatshilfe im Juli 2022 bis Weihnachten dauern, bevor der einstige Spin-off von Eon frisches Eigenkapital sah. Faktisch schloss die EU-Kommission das Beihilfeverfahren binnen weniger Wochen ab. Die finale Ausgestaltung der Stabilisierung stand nämlich erst Anfang Dezember fest, weil das Hilfspaket mehrfach an die sich ändernden Rahmenbedingungen angepasst werden musste. „Unser Vorteil war, dass der Vorgang schon lange bekannt war, offen waren nur die Details des Rettungspakets“, sagt Frank Possmeier, der auf Seiten von Uniper im vorigen Jahr die Leitung des Rettungsprojekts übernommen hatte.

Erdgas als Waffe

Doch der Reihe nach: Alles begann zum Jahreswechsel 2021/22. Damals sah sich Uniper aufgrund der drastisch gestiegenen Gaspreise einem deutlich höheren Margining-Bedarf gegenüber, welcher die vorhandene Liquidität drastisch überstieg. Neben Liquiditätshilfen seitens des finnischen Hauptaktionärs Fortum, der 8 Mrd. Euro in Form eines Gesellschafterdarlehens und Garantien zur Verfügung stellte, wurde auch mit der staatlichen KfW eine 2 Mrd. Euro schwere Kreditlinie vereinbart. Zu diesem Zeitpunkt dachte sich noch niemand etwas Böses, zumal die gestiegenen Gaspreise „nur“ die Liquidität einem Stresstest unterzogen, die Profitabilität jedoch steigerten.

Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine am 24. Februar wurde langsam ersichtlich, dass Russland Erdgas als Waffe einsetzte. Doch selbst zu diesem Zeitpunkt vertraute das Uniper-Management auf die über Jahrzehnte gewachsenen Beziehungen zu Gazprom, die bisher noch jeder politischen Krise getrotzt hatten.  Es sollte bis Mitte Juni dauern, bis auch Uniper in der Realität ankam. Zu diesem Zeitpunkt drosselte der russische Gaslieferant seine Lieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1, in der Folge schrieb Uniper täglich einen zweistelligen Millionenverlust. Mit den Lieferkürzungen wurde aus dem Liquiditäts- auch ein Profitabilitätsproblem und Uniper rief nach dem Staat.  „Als wir den Antrag am 8. Juli stellten, war klar, dass wir auch Eigenkapital brauchten“, erinnert sich Possmeier.

„Das erste Stabilisierungspaket war strukturell ein Spiegelbild des Rettungspakets für die Lufthansa in der Coronakrise“, erläutert der Uniper-Manager. Gelockt wurde der Staat mit dem Einstiegskurs von 1,70 Euro je Aktie, der beim Exit Gewinn versprach. Beteiligen wollte sich der Bund lediglich mit 30%, die Mehrheit sollte Fortum behalten. Bereits zu diesem Zeitpunkt war die Einführung einer Umlage im Gespräch, mit der die Gasverbraucher an den Kosten der Ersatzbeschaffung beteiligt werden sollten.

Doch der Rettungsplan wurde mit dem Komplettstopp der Gaslieferungen seitens Gazprom Ende August zu Makulatur. Die Verluste explodierten. Damit war klar, dass weitaus mehr Eigenkapital vonnöten war, das – anders als die zunächst erwogene Wandelanleihe – nicht zurückgezahlt werden muss. Erschwerend kam hinzu, dass die Ratingagenturen allmählich ungeduldig wurden. „Das Investment-Grade-Rating ist für uns eine wichtige Voraussetzung, um am Markt für Strom und Gas handeln zu können. Im Handel mit anderen Versorgern werden Geschäfte teilweise über Margining, teilweise aber auch über ein Investment-Grade-Rating als Maßstab der Kreditwürdigkeit besichert“, veranschaulicht Stefan Jost, Leiter Group Finance von Uniper, die brenzlige Lage.

Da aber auch vereinbart war, dass die Altaktionäre mit zusätzlicher Staatshilfe nicht weiter verwässert werden, stand zugleich fest, dass Fortum der Ausstieg ermöglicht werden musste.

Doch auch das am 21. September präsentierte Rettungspaket sollte nur neun Tage Bestand haben. Ende September nahm das Wirtschaftsministerium die mittlerweile fertig ausgearbeitete Gasumlage vom Tisch. Statt über den Gasverbraucher sollten die Verluste über den Steuerzahler sozialisiert werden. Vom Gesamtvolumen der Gasumlage von 34 Mrd. Euro hatte Uniper 24 Mrd. Euro für sich reklamiert. Diesen Betrag galt es nun zu ersetzen. Geschaffen wurde ein Kapitalrahmen von bis zu 25 Mrd. Euro, aus dem der Staat quartalsweise Eigenkapital zur Abdeckung der aus der Ersatzbeschaffung entstandenen Verluste zeichnet.

Inzwischen hat sich die Situation am Gasmarkt wieder beruhigt. Mit Marktpreisen zwischen 40 und 50 Euro/MWh dürfte Uniper im Gashandel sogar wieder Geld verdienen. Schon zur Bilanzvorlage im Februar hatte sich die Situation entspannt. Aus dem im November befürchteten Rekordverlust von 40 Mrd. Euro für das Geschäftsjahr 2022 wurden letztlich „nur“ 19 Mrd. Euro. Der Grund: Zum jeweiligen Stichtag werden die erwarteten Verluste aus der Ersatzbeschaffung zum aktuellen Marktpreis hochgerechnet. In langfristigen Lieferverträgen zu ungünstigen Konditionen ist Uniper noch bis Ende 2024 gefangen.

Bauchgefühl entscheidend

Wenngleich die Verhandlungen dem Vernehmen nach in konstruktiver Atmosphäre stattfanden, zogen die Beteiligten nicht immer an einem Strang. Mal verhandelten Uniper und Fortum als Team mit dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWK), mal saß nur Fortum am Tisch, und ein anderes Mal buhlten Fortum und Uniper in den Verhandlungen um die Unterstützung des BMWK für die eigene Position. Erschwerend kam hinzu, dass die Ratingagenturen als vierte Macht gar nicht mit am Verhandlungstisch saßen. Ihre Bewertung des Rettungspakets entschied jedoch über Wohl oder Wehe. Von daher musste Jost nach jeder Verhandlungsrunde mit den Bonitätswächtern in Kontakt treten, um herauszufinden, ob die gefundene Lösung für den Erhalt des Ratings ausreicht. Verlassen konnte sich der Manager dabei nur auf seine Erfahrung und sein Bauchgefühl, denn Ratingagenturen verstehen sich nicht als Ratgeber und geben vorab keine Hinweise.

Die Situation spitzte sich zu, als der Baustein Gasumlage aus dem Rettungspaket gestrichen wurde. Zu diesem Zeitpunkt musste das BMWK selbst in die Bütt, um Standard & Poors (S&P) glaubhaft zu versichern, dass Uniper in jedem Fall aufgefangen werde. „Uniper fallen zu lassen wäre einem Lehman-Effekt gleichgekommen“, sagt Possmeier. „S&P hat das Rating Unipers am 12. Oktober 2022 bei „BBB−“ bestätigt und seitdem dort belassen. Die immense Unterstützung des deutschen Staates ist in Form eines sogenannten Government Uplifts von 6 Stufen in unserem Rating reflektiert“, erklärt Jost.

Kein Bail-out zum Nulltarif

Kurz vor Weihnachten segneten die Aktionäre den Kapitalrahmen ab, einen Tag später gab es grünes Licht aus Brüssel. Ende gut, alles gut? Von den Auflagen der EU-Kommission ist der Energieversorger natürlich nicht begeistert, doch zum Nulltarif gibt es nun mal kein Bail-out. Am härtesten trifft die Düsseldorfer der erzwungene Verkauf des Steinkohlekraftwerks Datteln 4, um dessen Betriebserlaubnis bis 2038 das Unternehmen 2019 in den Verhandlungen über den Kohlausstieg verbissen gekämpft hatte. Jetzt muss das Kraftwerk bis Ende des Jahres 2026 verkauft sein.

„Der wichtigste Punkt mit Blick auf die Auflagen war, ein zukunftsfähiges Portfolio zu erhalten“, stellt Jost heraus und ergänzt: „Wir haben ein funktionierendes Geschäftsmodell, wir brauchen aber eine neue Strategie.“  Fristgerecht hat die Boston Consulting Group bis Ende März im Auftrag der EU ein Gutachten zur Lebensfähigkeit – vergleichbar einer Fortführungsprognose – erstellt. Bis Ende des Jahres muss der Bund Exit-Strategien präsentieren. „Aus unserer Sicht ist der Exit über den Kapitalmarkt die beste Option“, gibt sich Jost zuversichtlich.

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