Im CFO-InterviewRalf Thomas, Siemens

„Es weht uns derzeit kräftiger Wind ins Gesicht“

Siemens-Finanzchef Ralf Thomas bekräftigt im Interview der Börsen-Zeitung die Jahresziele des Konzerns. „Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen.“ Aber das Automatisierungsgeschäft läuft sehr schleppend.

„Es weht uns derzeit kräftiger Wind ins Gesicht“

Herr Prof. Thomas, in Kürze endet das zweite Quartal. Wie ist es gelaufen?

Insgesamt sind wir weiterhin gut unterwegs, wobei es Unterschiede zwischen den einzelnen Geschäften gibt. Für das Automatisierungsgeschäft gilt: Es weht uns derzeit kräftiger Wind ins Gesicht. Dieser ist noch intensiver, als wir dies vor Weihnachten erwartet haben. Denn wir gingen von einer Belebung des Geschäfts insbesondere in China in der zweiten Jahreshälfte aus.

Die Distributoren hatten zum Jahresende Bestände für rund 13 Wochen im Lager. Konnten diese in Richtung des Normalniveaus abgebaut werden?

Wir können im Moment noch keine genauen Zahlen nennen und es scheint sich nichts Gravierendes verändert zu haben. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass sich die Nachfragebelebung verzögert. Dies bereitet mir keine Kopfschmerzen, da diese Belebung wie auch in früheren Konjunkturzyklen zurückkommen wird. Wenn sie ein halbes Jahr später einträte, werden wir auch hiermit im Siemens-Konzern dank unseres starken Portfolios klarkommen.

Weshalb verschiebt sich die Belebung?

Die chinesische Regierung hat sich Anfang März mit einem Wirtschaftswachstum von 5% ehrgeizige Ziele gesetzt. Das ist im Tagesgeschäft noch nicht spürbar. Implizit betroffen sind wir auch davon, dass der Euro seit seinen Tiefständen im Jahr 2022 gegenüber Renminbi und US-Dollar stärker wird. Dieser veränderte Wechselkurs macht es für exportorientierte Länder nicht leichter. Außerdem kommen die Zinssenkungen nicht so früh wie von einigen Marktteilnehmern erwartet. Deshalb habe ich Verständnis dafür, dass Kapitalgüterkunden jetzt eher zögerlich mit Investitionen sind. Das ändert aber nichts daran, dass sie in Nachhaltigkeitstechnologien investieren wollen, und wir haben die passenden Angebote in unserem Portfolio.

Sind die Ziele für das Geschäftsjahr 2023/2024 gefährdet?

Für die Jahresprognose des Konzerns mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Wir werden unsere Ziele erreichen.

Warum?

Wir verspüren an vielen Stellen im Unternehmen Rückenwind. Das industrielle Softwaregeschäft läuft sehr gut. Die Halbleiterindustrie beispielsweise vergibt momentan sehr große Aufträge. Die Nachfrage nach Data-Centern ist weiterhin extrem stark. Der Übergang zu erneuerbaren Energien erfordert Investitionen in vielen Bereichen der Elektrifizierung und der Gebäudetechnik. Hier bieten wir unseren Kunden maßgeschneiderte Lösungen und unsere Sparte Smart Infrastructure ist weiterhin auf Erfolgskurs. Smart Infrastructure hat sich erfreulicherweise zu einem äußerst profitablen Business entwickelt. Dazu kann ich dem verantwortlichen Vorstand Matthias Rebellius und seinem Team nur gratulieren.

Was sind die Erfolgsfaktoren der Sparte?

Die Elektrifizierungsgeschichte ist eine tolle Erfolgsstory. Die Sparte hat ihre Preissetzungsstrategie während der Lieferketten-Engpässe im Gegensatz zum Wettbewerb nicht überzogen. Dies wird von den Kunden sehr geschätzt. Die geografische Ausrichtung mit Schwerpunkt in den USA hilft ebenfalls.

Es gibt einen Ausgleich im Konzern?

Vielleicht sieht der Siemens-Profitabilitätsmix am Ende des Geschäftsjahres ein bisschen anders aus, als wir ihn zu Beginn des Jahres erwartet haben. Aber darin besteht ja auch unsere Stärke. Wir halten kontinuierlich Ausschau nach Chancen im Geschäft und mobilisieren optionale Szenarien schnell.

Verliert Siemens in der Sparte Digital Industries Marktanteile?

Nein, und das ist sehr wichtig. Wenn Sie sich unsere Wachstumszahlen im Auftragseingang sowie Umsatz über die letzten drei Jahre hinweg ansehen, werden Sie feststellen, dass wir in der Automatisierung deutlich stärker als der Markt wachsen. Im Geschäft mit Software sind wir ebenfalls sehr gut unterwegs, wobei eine SaaS-Transition bekanntlich die Umsatz-Wachstumsrate während des Übergangs belastet.

Digital Industries ist stark in China präsent. Sollte Siemens strukturell einen Ausgleich schaffen mit einem Zukauf in den USA?

Unser Investitionsplan schafft schon eine ganze Weile diesen strukturellen Ausgleich. Wir vertrauen also an dieser Stelle primär auf unsere Selbstheilungskräfte.

Die Äußerungen des Managements lassen trotzdem eine Bereitschaft vermuten, größere Schritte durch Akquisitionen zu gehen.

In den letzten 15 Jahren haben wir Softwareunternehmen für einen Gesamtpreis in der Größenordnung von über 14 Mrd. Euro erworben. Es war keine Großakquisition dabei, bei der alle gesagt hätten: „Wow.“ Und das ist eigentlich gut so. Ich bevorzuge diese Variante, allein schon aus Gründen der Risikodiversifikation.

Also keine größere Akquisition?

Wir haben große Zukäufe in den letzten zehn Jahren nie völlig ausgeschlossen, wir tun dies auch jetzt nicht.

Wo wäre es aus Sicht des CFOs sinnvoll, aktiv zu werden?

Eine Weiterentwicklung unseres Softwareangebots ist sicher wünschenswert. Roland Busch betont bei jeder Gelegenheit, und ich kann mich dem Vorstandsvorsitzenden nur anschließen, dass wir auf eine Balance zwischen intelligenter und vernetzter Hardware und Software zielen. Da braucht man Weitblick.

Inwiefern?

Wir haben keine Lücken, wo dringend etwas getan werden müsste. Wir lesen unsere strategische Landkarte vom Ende her. Wo will ich hin? Mit den vielen M&A-Investitionen in industrielle Software haben wir gezeigt, dass man einen langen Atem braucht, um eine wirklich gute Marktposition aufzubauen. Zudem gilt: Nicht alles, was man sich wünscht, ist zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich. Und wenn es möglich ist, sind die hohen Bewertungen nicht immer finanzierbar oder erklärbar. Manchmal muss man „Dr. No” sein, um sich nicht in der Euphorie des Augenblicks zu etwas hinreißen zu lassen, was das Unternehmen langfristig wie ein Gespenst verfolgt.

Erlaubt Ihnen der Kapitalmarkt überhaupt einen größeren Softwarezukauf angesichts der Multiples?

Aktuell toleriert der Markt nachvollziehbare Zukäufe trotz hoher Bewertungen. Das bedeutet nicht, dass man dies imitieren muss. Für uns gehört zu guter M&A, dass man in angemessener Zeit zu einem Break-even kommt, dass die Kapitaleffizienz dann stimmt und so weiter – ich glaube, da sind wir schon austrainiert. Siemens handelt aus einer Position der Stärke.

Dazu gehört auch, Geld zu haben, falls man aktiv werden will.

Wir haben die notwendigen Spielräume. Die Cash-Generierung aus dem operativen Geschäft ist wirklich gut. Die Bilanz ist stark, dies haben die Ratingagenturen mit ihren Upgrades geadelt. Wenn es die Möglichkeit gibt, uns substanziell zu verstärken mit einer Kombination von intelligenter Hardware und Software sowie datenorientierten Nachhaltigkeitsstrategien, dann sind wir jederzeit handlungsfähig.

Sie haben den Beutel im Februar mit neuen Anleihen im Wert von 5 Mrd. Euro gefüllt. Welche Philosophie haben Sie verfolgt?

Wir nutzen die inverse Zinsstruktur, haben uns Geld für bis zu 20 Jahre geliehen und verschieben damit zunehmend Fälligkeiten in die weiter entfernte Zukunft. Dies gibt uns zusätzliche strukturelle Freiheitsgrade für Investitionen aller Art.

Wie bewerten Sie die Bondbe­dingungen?

Wir sind durchaus stolz auf die Konditionen. Wir waren mehr als vierfach überzeichnet, ein anderes Unternehmen mit ebenfalls einem AA-Rating hat fast zeitgleich nur eine rund eineinhalbfache Überzeichnung gemeldet. Außerdem waren die Konditionen für uns günstiger als bei Wettbewerbern. 

Bei den Neuwahlen zum Siemens-Energy-Aufsichtsrat gab es Auffälligkeiten. Der zuständige Energy-Ausschuss hatte Frau Grimm auch mit Ihrer Stimme nominiert, doch die Siemens AG hat gegen die Berufung gestimmt. Funktioniert die Abstimmung bei der Siemens AG nicht?

Der Vorgang beweist, dass wir die Unabhängigkeit in der Gremienarbeit ernst nehmen. Sowohl mein Siemens-Vorstandskollege Matthias Rebellius als auch ich als damaliges Energy-Aufsichtsratsmitglied haben natürlich an den Willensbildungsprozessen in der Siemens AG in keiner Weise teilgenommen. Eine Vermischung der beiden Funktionen käme für mich nicht infrage.

Was spricht für Frau Grimm?

Sie ist nicht nur eine veritable Persönlichkeit, sondern auch eine der wenigen deutschen Expertinnen im Energiesektor. Jedes Unternehmen würde sich freuen, so eine Expertise in seinen Reihen zu haben.

Wenn sie eine Persönlichkeit ist, die Siemens Energy weiterhelfen kann, wäre es ja auch im Interesse der Siemens AG gewesen, dass sie gewählt wird.

Im Vorfeld der Hauptversammlung sind zuvor nicht bekannte Bedenken öffentlich gemacht geworden, die sowohl den Erfolg von Frau Grimm als Aufsichtsratsmitglied für Siemens Energy als auch als Mitglied des Expertenausschusses beeinträchtigen könnten. Insofern konnte man zu verschiedenen Zeitpunkten durchaus zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Am Ende ist es ein Abwägen und Gewichten der Argumente; da gibt es kein klares „Richtig oder Falsch“.

Im Interview: Ralf Thomas

„Es weht uns derzeit kräftiger Wind ins Gesicht“

Der Siemens-Finanzvorstand berichtet über die ausbleibende Belebung im Automatisierungsgeschäft, sieht aber Rückenwind in anderen Sparten des Konzerns

Die Siemens-Aktie reihte seit Dezember Kursrekord an Kursrekord. Als Finanzvorstand Ralf Thomas am 19. März vor Investoren die Geschäftserwartungen dämpfte, sank die Bewertung jedoch deutlich. Thomas wirft im Interview einen detaillierten Blick auf das endende zweite Quartal und die M&A-Strategie.

Das Interview führte Michael Flämig.

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