GastbeitragUnternehmensteuern

Die globale Mindestbesteuerung wirft in der Praxis viele Fragen auf

Die globale Mindeststeuer sieht vor, dass Einkünfte weltweiter Unternehmen mindestens zu 15% besteuert werden sollen. Was als Prinzip sinnvoll klingt, ist mit diversen Hürden in der Umsetzung verbunden.

Die globale Mindestbesteuerung wirft in der Praxis viele Fragen auf

Die globale Mindestbesteuerung wirft viele Fragen auf

Robustes Grundprinzip, aber fragiler Vollzug – Gefahr der Mehrfachbesteuerung – Bisher keine weltweite Umsetzung absehbar

Von Johannes Frey und Florian Schmid *)

Der Bundesrat hat am 15. Dezember vergangenen Jahres die viel diskutierte Umsetzung der globalen Mindeststeuer verabschiedet. Damit ist die wohl größte Reform des internationalen Steuerrechts seit 100 Jahren aus deutscher Sicht vollzogen. Was als Prinzip zunächst sinnvoll klingt – Einkünfte globaler Unternehmen sollen mindestens zu 15% besteuert werden – wirft im Einzelnen viele Fragen auf. Diese Fragen betreffen u.a. den Schutz von Steuer- und Betriebsgeheimnissen sowie eines fairen Vollzugs. Beide Themen haben der EuGH sowie das Bundesverfassungsgericht auf dem Radar.

Flickenteppich

Deutschland setzte die entsprechende EU-Richtlinie vom 15. Dezember 2022 fristgerecht um. Andere EU-Staaten haben das äußerst komplexe Regelungswerk nicht bis Ende des Jahres umgesetzt und teils noch nicht einmal Gesetzesentwürfe vorgelegt. Außerhalb der EU ist offen, ob und wann Deutschlands größte Handelspartner die Mindeststeuer einführen werden. Allen voran die USA zögern bislang mit einem klaren Bekenntnis. Eine zeitnahe Umsetzung erscheint derzeit nicht absehbar.

Für Unternehmen ergibt sich somit – einmal mehr – ein unübersichtlicher Flickenteppich, wobei schon alleine das „Monitoring“ der weltweiten Umsetzungen enormen Aufwand bereitet. Ähnliches sind Unternehmen bereits von den globalen Berichtspflichten (Country-by-Country Reporting) und Mitteilungen sog. grenzüberschreitender Steuergestaltungen (DAC6) gewohnt.

Einfaches Grundprinzip

Verschärft wird die unübersichtliche Situation zudem durch die Vereinten Nationen. Diese haben kürzlich ihre eigenen Pläne für weltweite Steuerkooperation vorgestellt. Für Unternehmen ändert dies freilich nichts daran, dass sie die globale Mindeststeuer trotz vieler Unsicherheiten anwenden müssen.

Die Grundprinzipien der Mindeststeuer sind einfach: Ist die Muttergesellschaft der Gruppe in einem Staat ansässig, in dem die Mindeststeuer umgesetzt wurde, so versteuert sie Einkünfte aller Gruppengesellschaften nach, soweit sie einem effektiven Steuersatz von weniger als 15% unterlagen. Ist die Muttergesellschaft in einem Staat ansässig, der die Mindeststeuer (noch) nicht umgesetzt hat, so geht die Verpflichtung zur Nachversteuerung auf andere Gruppengesellschaften über.

Details ungeklärt

Hier zeigen sich nun die erheblichen Auswirkungen der fehlenden Umsetzung durch einige der Global Player. So wird u.U. zukünftig eine deutsche Vertriebsgesellschaft einer US-Muttergesellschaft unzureichend besteuerte Gewinne von Gesellschaften einer US-Gruppe nachversteuern müssen. Dies betrifft nicht alleine Gewinne aus Staaten mit niedrigen Steuersätzen. Vielmehr kann ein solcher Fall etwa auch eintreten, wenn zwei ausländische Gesellschaften verschmolzen werden. Viele Details, gerade im Zusammenhang mit Reorganisationen oder Transaktionen, sind ungeklärt.

Ermittlung der Einkünfte

Gerade auch die Ermittlung der nachzuversteuernden Einkünfte wirft Fragen auf. Die Aufteilung dieser Einkünfte richtet sich nach dem Verhältnis der inländischen Beschäftigten und inländischen Vermögenswerte gegenüber denen ausländischer Gruppengesellschaften, die ebenfalls nachversteuern müssen. Plakativ kann somit der Fall eintreten, dass sich Deutschland und Frankreich in Zukunft über den korrekten Nachversteuerungsbetrag der dort ansässigen Vertriebsgesellschaften einer US-Gruppe streiten, wenn innerhalb der Gruppe eine peruanische Gesellschaft auf eine bolivianische verschmolzen wird oder eine vergleichbare Reorganisation erfolgt.

Die Aufteilung zwischen Frankreich und Deutschland ist dabei nicht nur komplex; sie kann aufgrund der unterschiedlichen Rechtsordnungen auch zu einer Mehrfachbesteuerung führen. Leider gibt es keine klare Regelungen, wie etwaige zwischen verschiedenen Staaten streitige Fragen gelöst werden können.

Potenzielle Vollzugsdefizite

Weiterhin ist nicht klar, wie der deutsche Fiskus den rein ausländischen Sachverhalt aufklären und überprüfen will (und kann). Es bedarf hier der Kooperation der ausländischen Staaten. Es drängt sich die Frage auf, ob eine solche weltweite Ausrichtung nicht zu einem Vollzugsdefizit bei der Besteuerung führt. In anderem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht Vollzugsdefizite im Steuerrecht bereits mehrfach für verfassungswidrig erklärt, weil diese gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen.

Weitere Aspekte betreffen Erklärungs- und Berichtspflichten sowie den Schutz des Steuergeheimnisses und von Geschäftsgeheimnissen. Zur Durchsetzung der Mindeststeuer werden weitreichende Erklärungs- und Berichtspflichten eingeführt. Inländische Gruppengesellschaften müssen einen sog. Mindeststeuer-Bericht abgeben. Diese Verpflichtung entfällt nur, wenn ein solcher Bericht in einem anderen Staat, etwa in dem Ansässigkeitsstaat der Gruppenmutter, abgegeben wird und Deutschland eine völkerrechtliche Vereinbarung mit diesem Staat zum Informationsaustausch abgeschlossen hat. Deutschland hat allerdings bislang keine solchen Vereinbarungen getroffen, so dass inländische Gruppengesellschaften auf absehbare Zeit nicht entlastet werden.

Offenlegung sensibler Daten

Bei diesen Erklärungs- und Berichtspflichten stellt sich unweigerlich die Frage des Schutzes des Steuergeheimnisses und der Geschäftsgeheimnisse. So verlangt das neue Gesetz die Offenlegung sensibler Daten gegenüber allen Gruppengesellschaften, die entsprechende Berichte abgeben müssen.

Darüber hinaus ist nicht geklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen inländische Steuerbehörden ihrerseits die erlangten Informationen an weitere Finanzbehörden weitergeben dürfen, etwa auch an Staaten, die selbst die Mindeststeuer nicht eingeführt haben. Im Zusammenhang mit den sog. DAC6-Meldepflichten nach der DAC6-Richtlinie hat der EuGH bereits festgestellt, dass diese gegen das Anwaltsprivileg nach primärem EU-Recht verstoßen. Die Berichtspflichten zur Mindeststeuer werfen ähnliche Fragestellungen auf. Die Fragen der Europarechtswidrigkeit wird sich hier ebenfalls stellen.

Besteuerung und Konfliktlösung

Angesichts dieser weitreichenden Besteuerungsrechte wird es unausweichlich zu Konflikten rund um die Feststellung nicht ausreichend versteuerter Einkünfte und deren Zuordnung zu den nachversteuernden Staaten kommen. Zunächst ist völlig unklar, welche Prüfungsbefugnis Steuerbehörden zukünftig im Hinblick auf die Mindeststeuer haben werden. Soll beispielsweise die korrekte Anwendung ausländischen Steuerrechts geprüft werden? Bislang sind keine Streitbeilegungsmechanismen oder Kooperationsregelungen vorgesehen.

Umsetzung uneinheitlich

Dies ist für Unternehmen insofern misslich, als die konkrete Umsetzung bereits innerhalb der EU variiert – trotz EU-Richtlinie. Es ist zu erwarten, dass die Umsetzung in Nicht-EU-Staaten noch sehr viel weniger einheitlich sein wird.

Unsicherheiten bestehen daher für globale Unternehmensgruppen bis zum Abschluss jeder Prüfung in jedem relevanten Staat. Auslegungsschwierigkeiten ergeben sich bereits dadurch, dass die OECD auch nach der Verabschiedung der EU-Richtlinie weitere Guidance herausgegeben hat. Inwieweit diese zu berücksichtigen ist oder gar im Widerspruch zur Richtlinie steht, ist ungeklärt. Es bedarf daher des Ausbaus bestehender Konfliktlösungsinstrumente (Verständigungsverfahren, EU-Schiedsverfahren) und deren Beschleunigung. Für Fragen der Mindeststeuer sollte eine zentrale Anlaufstelle geschaffen werden, etwa im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft.

Kosten-Nutzen-Verhältnis

Es bleiben zahlreiche Fragen beim Vollzug der globalen Mindestbesteuerung ungeklärt. Aufgrund dieser Vollzugsfragen und uneinheitlicher Anwendbarkeit können sich schädliche Wettbewerbsverzerrungen ergeben. Bei aller Diskussion um eine „gerechte Steuerwelt“ sollte zudem das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht außer Acht gelassen werden. Das ifo-Institut berechnete die Mehreinnahmen für Deutschland aus der Mindeststeuer mit etwa 5 bis 7 Mrd. Euro jährlich. Bei einer zunehmenden weltweiten Umsetzung würden die jährlichen Einnahmen auf rund 2 Mrd. Euro sinken – in etwa so viel wie diejenigen der Alkoholsteuer. Ob dies den gewaltigen Aufwand auf Seiten der Unternehmen und der Finanzverwaltung lohnt? Der deutsche Gesetzgeber hatte sich mit dieser Frage aufgrund der EU-Vorgaben nicht zu befassen und konnte sich ganz auf die Umsetzung beschränken.

*) Dr. Johannes Frey ist Partner von Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom und Dr. Florian Schmid Associate der Kanzlei.

Dr. Johannes Frey ist Partner von Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom und Dr. Florian Schmid Associate der Kanzlei.