Investitionsstandort Deutschland

Warum Deutschland im Direct Lending nur dritte Wahl ist

Großbritannien enteilt, Anschluss an Frankreich verloren: Dass der Standort Deutschland sein Direct-Lending-Potenzial nicht ausschöpft, hat viele Gründe – eine Spurensuche.

Warum Deutschland im Direct Lending nur dritte Wahl ist

Standort Deutschland ist im Direct Lending nur dritte Wahl

Großbritannien und Frankreich sind enteilt. Die Gründe dafür sind vielschichtig.

Von Philipp Habdank, Frankfurt

Nicht nur geografisch betrachtet ist Deutschland das Zentrum Europas. Gemessen am Bruttosozialprodukt ist Deutschland auch die größte Volkswirtschaft im Wirtschaftsraum – vor Großbritannien und Frankreich. In kaum einem Land hat der Kredit in der Unternehmensfinanzierung zudem so eine hohe Bedeutung wie hierzulande. Im Direct Lending allerdings hinkt der Standort seit Jahren dem französischen und vor allem dem britischen Markt hinterher, wo doppelt und dreifach so viele Direktkredite von Debt Funds an Unternehmen vergeben werden.

Der "Private Debt Deal Tracker" der Unternehmensberatung Deloitte dokumentiert seit zehn Jahren jedes Quartal die Transaktionen von aktuell 76 Debt Funds in Europa und Großbritannien. Von den kumulierten 4.543 Transaktionen entfielen seitdem 34% auf Großbritannien, fast ein Viertel auf Frankreich und nur 13% auf Deutschland. Heißt: Nur etwas mehr als jede zehnte Private-Debt-Finanzierung findet in Europas größter Volkswirtschaft statt – und das, obwohl die Branche boomt. Seit 2012 hat sich das verwaltete Vermögen der Anlageklasse in Europa laut Deloitte von 36,2 Mrd. Dollar auf 187 Mrd. Dollar mehr als verfünffacht.

Direct Lending: Britische Vormachtstellung wankt

In diesem Jahr ist die britische Vormachtstellung jedoch erstmals in Gefahr, da Investoren in Europa stärker diversifizieren. Nutznießer war vor allem Frankreich, wo die Anzahl an Private-Debt-Transaktionen einem schwierigen Marktumfeld standhielt und im dritten Quartal 31,2% aller europäischen Finanzierungen ausmachte. Der deutsche Markt zog ebenfalls an und lag mit einem Marktanteil von 18,1% zwar deutlich hinter Frankreich, aber nur knapp hinter Großbritannien zurück. Dessen Marktanteil in diesem Zeitraum war mit 20,3% so niedrig wie nie seit Beginn der Aufzeichnung.

Am Tropf von Private Equity

Laut Statistischem Bundesamt gibt es aktuell rund 3,4 Millionen Unternehmen in Deutschland. In Großbritannien sind es nur rund 2,7 Millionen. Theoretisches Potenzial für mehr Direct Lending ist in Deutschland also durchaus vorhanden. Dass der Standort Deutschland dieses nicht vollends ausschöpft, hat vielschichtige Gründe. Zunächst ist die hohe Abhängigkeit von Direct Lending zum M&A-Markt zu nennen – insbesondere dem Private-Equity-finanzierten. Nach der Finanzkrise ist privates Fremdkapital im Schatten von privatem Beteiligungskapital groß geworden. Bei 86% aller Private-Debt-Finanzierungen in Europa ist laut Deloitte ein Private-Equity-Investor involviert. In Großbritannien sogar in 93% der Fälle.

Deutschlands Problem dabei: „Nach unseren Analysen ist der Anteil von Private-Equity-Käufern am M&A-Transaktionsvolumen in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren von rund 50% auf 40% 2023 gesunken", sagt der M&A-Chef der Commerzbank, Jens Krane. Der Rückgang sei damit stärker ausgefallen als beispielsweise in Großbritannien oder Frankreich.

Strategen dominieren deutschen M&A-Markt

Hinzu kommt ein strukturelles Problem: Deutschland war historisch immer ein Industrieland. Die Automobilindustrie war lange Zeit ein Liebling der Private-Equity-Investoren. Doch spätestens mit dem beschlossenen Aus des Verbrenners ist sie ein rotes Tuch. Bei neuen Investitionen sucht Private Equity nun nach Unternehmen aus den Bereichen Software/IT, Business Services und Healthcare – Branchen, in denen Deutschland nicht gerade als Vorreiter gilt.

Historisch betrachtet dominieren ohnehin strategische Investoren den deutschen M&A-Markt. Dem Datenanbieter Refinitiv zufolge gab es seit 2013 kein einziges Jahr mit mehr Private-Equity-finanzierten M&A-Deals als strategischen – weder im deutschen Binnen-M&A-Markt, wenn ein deutscher Käufer ein deutsches Unternehmen übernimmt, noch bei Transaktionen, wo der Käufer aus dem Ausland kam. Im Gegensatz zu Finanzinvestoren finanzieren Strategen ihre Übernahmen in der Regel nicht über Debt Funds, sondern über Banken oder liquide Kapitalmarktinstrumente wie Anleihen und Schuldscheine.

Banken als Türöffner für Direct Lending?

Und auch im Leveraged-Finance-Geschäft geben sich die deutschen Banken den Debt Funds nicht kampflos geschlagen. Anders als beispielsweise in Großbritannien, wo Debt Funds das Geschäft klar dominieren, teilt sich der Leveraged-Finance-Markt in Deutschland noch immer in etwa zur Hälfte zwischen Banken und Kreditfonds auf. Doch künftig könnten die Banken mit Blick aufs Direct Lending womöglich vom Türsteher zum -öffner werden – indem sie das Produkt selbst anbieten.

Kaum deutsche Investoren

Zuletzt haben zahlreiche internationale Großbanken eigene Direct-Lending-Strategien angekündigt. Die Deutsche Bank hat in diesem Jahr beispielsweise mit DB Investment Partners eine eigene Private-Debt-Plattform gegründet – auch, weil sich die DWS mit einer eigenen Private-Debt-Strategie stärker von der Deutschen Bank abnabeln möchte. Die Commerzbank hat zwar noch keine Direct-Lending-Strategie ausgerufen, kooperiert im Leveraged-Finance-Geschäft aber mit dem Vermögensverwalter Stepstone.

Unterm Strich gibt es bislang aber kaum deutsche Debt Funds – oder generell Finanzinvestoren. Natürlich hat Deutschland Allianz Global Investors und die DWS. Mit ELF Capital gibt es auch einen deutschen Debt Fund, der gerade von der Deutschen Beteiligungs AG (DBAG) übernommen wurde, und auch die Hannover Finanz hat einen eigenen Kreditarm. Akquivest ist ein deutscher Kreditfonds, der mit den Geldern der R+V-Versicherung arbeitet, und der deutsche Ex-Banker Dirk Notheis ist mit Rantum Capital schon seit mehreren Fondsgenerationen im Geschäft – doch dann wird es auch schon dünn. Insgesamt ist die Fondsszene noch immer stark angelsächsisch geprägt.

Deutsches Kapital für Debt Funds

Dass es so wenige deutsche Debt-Fonds-Manager gibt, dürfte auch daran liegen, dass die Anlageklasse bei deutschen institutionellen Investoren – deren Gelder die Debt-Fonds letztendlich verwalten – noch immer unterrepräsentiert ist. Zudem monieren deutsche Fondsmanager, dass die in Private Debt engagierten deutschen Pensionskassen und Versicherungen ihr Geld häufig lieber in ausländische Fonds mit längerer und erfolgreicher Historie investieren würden, als es deutschen Debütfonds anzuvertrauen. Speziell in einem so volatilen Marktumfeld, wie es derzeit vorherrscht.

Christian Fritsch forderte Anfang dieses Jahres im Gespräch mit der Börsen-Zeitung "mehr deutsches Kapital für deutsche Unternehmen". Der Gründer von ELF Capital verwies dabei auf Frankreich, wo die dortigen Pensionskassen und Versicherungen einen erheblichen Anteil ihres Kapitals in französische Fonds investieren würden, die wiederum französische Unternehmen finanzieren. Dieser Heimvorteil fehlt Deutschland noch, dessen generelle Kapitalmarktaffinität verglichen mit dem Rest von Europa oder den USA ohnehin ausbaufähig ist.

Wachsende Investorenskepsis

Somit sind deutsche Fondsmanager heute noch stark auf die Gelder ausländischer Investoren angewiesen. Doch diese haben, was den Investitionsstandort Deutschland betrifft, schon länger Fragezeichen, die zuletzt tendenziell sogar eher größer als kleiner wurden. Sorgen bereitet US-amerikanischen und asiatischen Investoren vor allem die hohe Inflation, insbesondere die hohen Energiepreise in Deutschland.

2023 dürfte die Zahl der Investitionsprojekte ausländischer Unternehmen in Deutschland erneut geschrumpft sein.

Henrik Ahlers, EY Deutschland

Dieses speziell deutsche Thema kommt bei Investoren noch zu der allgemeinen Skepsis gegenüber Europa hinzu, die angesichts des Rechtsrucks in einigen Ländern und des Ukrainekriegs ohnehin herrscht. Banker, Fondsmanager und Berater kritisieren auch immer wieder die für Investoren hohen bürokratischen Hürden für Investitionsprojekte in Deutschland. Das gilt spiegelbildlich auch für die Investitionsentscheidungen von Unternehmen. "2023 dürfte die Zahl der Investitionsprojekte ausländischer Unternehmen in Deutschland erneut geschrumpft sein, nachdem sie 2022 bereits leicht – um ein Prozent – gesunken war", sagt EY-Deutschlandchef Henrik Ahlers.

Die Situation wird sich laut Ahlers auch im kommenden Jahr nicht grundlegend verändern: "Wir sehen keine durchgreifende konjunkturelle Verbesserung, die Energiewende als Investitionsmotor verliert an Dynamik, und der Krieg in der Ukraine belastet das Investitionsklima nachhaltig." Umso wichtiger sei es, den Transformationsbedarf in Deutschland zu erkennen und endlich wirksame Reformen in Gang zu setzen, etwa hinsichtlich Digitalisierung, Bildung und Infrastruktur. Durch mit hohen Förderungen erkaufte Investitionen werde sich nichts Grundlegendes zum Positiven wenden, so Ahlers mit Blick auf die Halbleiterindustrie.

Deutschlands Ruf hat gelitten

Der Ruf des Investitionsstandorts Deutschland hat in den vergangenen Jahren spürbar gelitten. Das politische Bild, das Deutschland dabei zuletzt abgegeben hat, trägt nicht dazu bei, dass sich das schnell ändert. Stieß die Uneinigkeit der regierenden Ampel-Koalition bei ausländischen Investoren schon auf Verwunderung, dürfte diesen spätestens für die aktuelle Haushaltskrise jegliches Verständnis fehlen.

Hinter vorgehaltener Hand berichten Banker und Fondsmanager, dass sich ausländische Investoren über die Verlässlichkeit Deutschlands als Investitionsstandort sorgen sollen. So sollen sie sich mit Blick auf die teilweise sehr ideologisch geprägte Debatte über die nachhaltige Transformation der Wirtschaft beispielsweise ernsthaft die Frage stellen, ob in Zukunft im einstigen Industrieland Deutschland denn überhaupt noch Stahl gekocht oder Chemieprodukte hergestellt werden können. Das führt dazu, dass derzeit vor allem die deutschen Unternehmen für ausländische Investoren attraktiv sind, die möglichst wenig mit dem Heimatmarkt zu tun haben.

Dabei sind die Voraussetzungen in Deutschland für Direct Lending eigentlich gar nicht schlecht. An vielen Stellen ist die Stimmung schlechter als die Wirklichkeit. Die Insolvenzahlen sind weiter gering, die Restrukturierungsfälle noch überschaubar, im Mittelstand stehen viele Nachfolgeregelungen an und mit Blick auf die technologische und nachhaltige Transformation besteht hoher (privater) Kapitalbedarf. Das Investitionspotenzial ist in Deutschland vorhanden – es muss "nur" gehoben werden.

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