Japans Währung

Geldpolitischer Sonderweg belastet Yen

Das Festhalten der japanischen Notenbank am ultralockeren geldpolitischen Kurs drückt den Yen. Dieser Trend könnte später im Jahr auslaufen. Die Währung ist deutlich unterbewertet.

Geldpolitischer Sonderweg belastet Yen

Von Martin Hochstein*)

Wird nun auch die Bank von Japan das Ruder herumreißen und nach Jahren massiver Lockerungen den Pfad Richtung monetärer Normalisierung einschlagen? Im Zuge der beschleunigten geldpolitischen Straffung weltweit und der jüngsten Kehrtwende anderer zuvor „dovisher“ Zentralbanken ist diese Frage in den Fokus der Investoren gerückt. Notenbankpräsident Kuroda trat Ende April zunehmenden Erwartungen eines zeitnahen Strategiewechsels vehement entgegen. Notfalls werde man die aktuelle Zinsobergrenze zehnjähriger Staatsanleihen von 0,25% durch unlimitierte Marktinterventionen verteidigen und damit eine Fortsetzung des übergeordneten Regimes der „quantitativen und qualitativen Lockerung mit Kontrolle der Zinskurve“ sicherstellen. Die Bestätigung der divergenten Vorgehensweise gerade auch gegenüber der US-Notenbank, die ihrer erodierenden Glaubwürdigkeit bei der Inflationsbekämpfung durch verschärfte Leitzinsanhebungen und den zeitnahen Beginn der Bilanzreduzierung zu begegnen versucht, führte insbesondere am Devisenmarkt zu Reaktionen: Anfang Mai fiel der Yen gegenüber dem US-Dollar auf ein 20-Jahres-Tief. Auf Basis des realen handelsgewichteten Wechselkurses notierte er sogar auf dem tiefsten Stand seit 50 Jahren.

Geringe Inflationsdynamik

Um die künftige Entwicklung des Yen abzuschätzen, ist ein Blick auf die Motivation für den geldpolitischen Sonderweg und mögliche Auslöser eines Kurswechsels unabdingbar. Vergleicht man das Inflationsumfeld in Japan mit anderen Industrieländern, so zeigt sich eine weit weniger dramatische Lage. Die für die Notenbank maßgebliche Teuerungsrate lag im März bei nur 0,8% und dürfte nach deren Schätzung im laufenden Fiskaljahr bis auf 1,9% ansteigen, bevor sie in den beiden Folgejahren wieder Richtung 1% tendiert. Im Gegensatz zu dem massiven Überschießen der Inflation in weiten Teilen der Welt ist ein nachhaltiges Erreichen des 2-%-Ziels aus Sicht der Bank von Japan somit nicht gewährleistet.

Neben zyklischen Faktoren wie der seit der Covid-Rezession schleppenden Konjunkturerholung sowie strukturellen Rigiditäten nicht zuletzt im Arbeitsmarkt liegt die geringe Inflationsdynamik vor allem in einer tief verwurzelten deflationären Mentalität begründet. Drei Jahrzehnte zumeist stabiler und zum Teil rückläufiger Preise haben zu einer Entankerung der längerfristigen Inflationserwartungen geführt. Trotz des jüngsten Anstiegs notieren diese deutlich unterhalb des Notenbankziels. Die Erwartungsbildung erfolgte dabei im Zeitablauf zunehmend adaptiv auf Basis der schwachen historischen Preisentwicklung, und nicht vorausschauend rational.

Für die Geldpolitik bedeutet dieses Verhaltensmuster, dass eine dauerhafte und zielkonforme Reflationierung nur durch einen vorherigen spürbaren Anstieg des Inflationstrends zu bewerkstelligen ist. Dazu setzt die Zentralbank in Ermangelung hinreichender do­mestischer Preistreiber auf außenwirtschaftliche Impulse: einen schwächeren Yen und steigende Rohstoffpreise. Im Ergebnis erhofft man einen sich selbst verstärkenden Prozess, bei dem ein Anstieg der Importpreise über eine Verstetigung höherer Inflationserwartungen zu höheren Löhnen, Konsumausgaben, Unternehmensgewinnen, Investitionen und im Endergebnis aggregiert zu einem stärkeren Wirtschaftswachstum führt. Ein schwächerer Yen dient somit als Mittel zum Zweck – nicht nur wie üblich zur Stimulierung der Exportnachfrage, sondern auch zur gezielten Überwindung des strukturellen Niedriginflationsumfelds.

Sollte diese positive Entwicklung wie erhofft eintreten, würde dies auch das „neue Kapitalismusmodell“ von Ministerpräsident Kishida stützen. Dieses strebt durch eine engere Kooperation zwischen öffentlichem und privatem Sektor eine Steigerung und gerechtere Verteilung des Wohlstands an. Im Vorfeld der wichtigen Oberhauswahl im Juli sind aus politischer Sicht allerdings zuletzt die unmittelbaren Kosten der Yen-Schwäche in den Vordergrund getreten. Trotz fiskalischer Unterstützungsmaßnahmen sehen sich Unternehmen und vor allem Konsumenten zu­nehmend durch steigende Einfuhr-, Energie- und Nahrungsmittelpreise belastet. Zwar ist das Risiko einer zeitnahen Strategieänderung durch die Bank von Japan nach wie vor gering. Eine anhaltend schwache Währung könnte jedoch bei Ausbleiben positiver Abstrahleffekte letztlich zu einem Umdenken führen. Auch unter Be­rücksichtigung zusätzlicher Belastungsfaktoren wie etwa perspektivisch wieder steigender Kapitalabflüsse bei Portfolio-/Direktinvestitionen und eines Rückgangs des Leistungsbilanzüberschusses dürfte der Yen daher vorerst eher zur Schwäche neigen.

Fundamental unterbewertet

Dieser Trend könnte später im Jahr – mit zunehmender Wahrscheinlichkeit eines graduellen Kurswechsels der Bank von Japan – auslaufen. Dies insbesondere, falls sich der global zu beobachtende, zyklische und strukturelle Aufwärtsdruck auf die unterliegende Inflation letztlich auch in Japan materialisiert. Hierfür spräche per­spektivisch auch die attraktive längerfristige Bewertung des Yen, der aktuell auf Basis fundamentaler Langfristmodelle gegenüber dem US-Dollar um mehr als 10% unterbewertet ist. Weitere potenzielle Auslöser für eine schnellere Yen-Erholung wären ein nachhaltiger Anstieg der Risikoaversion in den Finanzmärkten, Markterwartungen einer weniger aggressiven geldpolitischen Normalisierung in den USA im Falle steigender Rezessionsrisiken oder nachhaltige Devisenmarktinterventionen des japanischen Finanzministeriums in Reaktion auf eine zu rapide oder starke Währungsabwertung.

*) Martin Hochstein ist Senior Economist bei Allianz Global Investors.