Im InterviewMandy DeFilippo und Werner Hoyer

„Wir brauchen Diversität in allen Dimensionen des Wirtschaftslebens“

Vielfalt und Gleichberechtigung werden für die Wirtschaft immer wichtiger. Dies erläutern Mandy DeFilippo und Werner Hoyer im Interview der Börsen-Zeitung. Die Entwicklung gelte künftig auch für die Finanzwirtschaft. Erste Gender-Bonds sind auf dem Markt.

„Wir brauchen Diversität in allen Dimensionen des Wirtschaftslebens“

Frau DeFilippo, warum sind Vielfalt, Chancengleichheit und Einbeziehung – Diversity, Equity and Inclusion kurz DEI - im Finanzsektor und damit an den Finanzmärkten wichtig?

Es gibt eine Reihe von Gründen, warum Fortschritte bei den Themen Vielfalt, Gleichberechtigung und Eingliederung im Finanzdienstleistungssektor so wichtig sind, aber ich möchte nur zwei nennen. Der erste Grund ist die schiere Größe und der Umfang dieser Branche. Finanzdienstleistungsunternehmen treffen Entscheidungen, die Millionen, nein, Milliarden von Menschen aus allen Lebensbereichen betreffen.  Es liegt also auf der Hand, dass wir als Branche kreativere Problemlöser sein werden und somit bessere Ergebnisse für unsere Kunden erzielen können, wenn wir eine Vielzahl von Stimmen am Tisch haben, die ein breiteres Spektrum an Perspektiven und Erfahrungen einbeziehen. Aktuelle Umfragedaten bestätigen dies: PwC führte 2017  - also vor nunmehr sechs Jahren -  eine weltweite Umfrage durch, bei der 85 % der befragten CEOs von Finanzdienstleistern angaben, dass die Förderung von DEI-Richtlinien zur Verbesserung der Unternehmensleistung beiträgt.

Und der zweite Grund?

Zweitens müssen Sie die Gewinnung und Bindung von Talenten berücksichtigen. Unternehmen, die der DEI einen hohen Stellenwert einräumen, ziehen mit größerer Wahrscheinlichkeit vielfältige Mitarbeiter an und binden sie an sich, was zu einer engagierteren und innovativeren Belegschaft führen kann, was sich letztlich positiv auf die Gewinne der Unternehmen auswirkt. Auch dies wird durch Daten untermauert.  Eine Studie von McKinsey und Co. aus dem Jahr 2019 ergab, dass die Unternehmen, die bei der abstammungsmäßigen und ethnischen Eingliederung im obersten Quartil liegen, die Unternehmen im vierten Quartil bei der Rentabilität um 36% übertreffen.

Welche Fortschritte hat die Finanzdienstleistungsbranche bei der Förderung von DEI gemacht?

Ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass wir von einer ziemlich niedrigen Messlatte ausgehen und dass es sicherlich noch viel mehr zu tun gibt, aber es sind einige Fortschritte zu verzeichnen. Insgesamt sehen wir mehr Frauen in leitenden Positionen; mehr Firmen haben Vielfalt und Integration als erklärten Wert; Firmen verstehen die positiven Auswirkungen auf die Geschäftsergebnisse und schätzen die Auswirkungen, die eine solide DEI-Politik auf die Gewinnung und Bindung von Talenten haben kann. Entscheidend ist und bleibt die Nachfrage der Kunden nach einer soliden DEI-Politik, die sich positiv auf die Motivation für weitere DEI-Bemühungen auswirkt. Es ist wichtig, dass wir als Branche dieses Thema nicht aus den Augen verlieren.

Wie können wir sicherstellen, dass unsere Führungskräfte über DEI informiert sind und die Erwartungen an sie verstehen?

Dieses Thema ist eine der Hauptprioritäten, seit ich 2018 den Vorsitz der ICMA übernommen hatte, und ich lasse auch nun, wo ich nicht mehr Chair bin bei diesem Thema in der ICMA nicht locker. Die ICMA hat hier eine tragende Rolle als internationaler Branchenverband, und in meiner Abschlussrede habe ich das auch ganz klar thematisiert.

An was denken Sie dabei ganz konkret?

Die Führungskräfte müssen hier den Staffelstab in der Hand halten, den Dialog fördern, die Sichtbarkeit erhöhen und die Branche auf einen hohen Standard bringen. Wir müssen Talente anerkennen und diese Branche zu einer echten Leistungsgesellschaft machen. Wir müssen weiterhin Frauen in Führungspositionen einstellen, damit unsere Vorstände wirklich die Gesellschaft als Ganzes widerspiegeln. Es gibt viele Menschen, die eine Karriere im Finanzdienstleistungssektor anstreben, deren Lebensumstände jedoch sehr unterschiedlich sind, und ich denke, dass die Unternehmen dies widerspiegeln müssen. Die Pandemie, so schrecklich sie auch war, hat uns gelehrt, dass sich Veränderungen schnell vollziehen und dass wir uns an sie anpassen und erfolgreich sein können.

Welche DEI-Initiativen werden von der ICMA gefördert?

Nach meiner zweiten Amtszeit als ICMA-Vorsitzende, die im Sommer dieses Jahres endete, denke ich, dass wir einige Fortschritte erzielt haben, aber wir alle wissen, dass noch mehr getan werden kann. Die ICMA verfügt jetzt über einen Rahmen – jeder kann ihn auf unserer Website einsehen -, aber das ist nur die Basis, und darauf müssen wir aufbauen. In meiner Zeit als Vorsitzende hat die ICMA die Charta ‚Frauen im Finanzwesen‘  im Jahr 2022 unterzeichnet. Diese fordert einen Frauenanteil von 45% in der Führungsebene bis Juni 2024. Im Juni 2022 waren 54% der ICMA-Mitarbeiter weiblich, und 33% der Führungskräfte waren weiblich. Wir haben also noch einen weiten Weg vor uns, aber ich freue mich, sagen zu können, dass der ICMA-Vorstand von einem professionellen DEI-Coach in Sachen DEI geschult wird.

Sie sind auch ICMA-Women-Network - IWN - aktiv. Was gibt es hier konkret an Initiativen und Erfolgen vorzuweisen?

Ich bin stolz auf die Arbeit des ICMA-Frauennetzwerks, das die Gleichstellung der Geschlechter auf globaler Ebene unterstützt. ICMA verfügt nun über ein Netzwerk, das sich über 14 Regionen erstreckt. Es unterstützt und inspiriert Frauen in allen Phasen ihrer Karriere und fördert das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter auf den Anleihemärkten. Das IWN führt eine Kombination aus Live-Veranstaltungen und Online-Inhalten durch, die sich auf die Vermittlung von Fähigkeiten für den beruflichen Aufstieg konzentrieren und Diskussionen über relevante Themen zwischen einflussreichen Akteuren der Branche ermöglichen.

Gibt es noch andere diesbezügliche Netzwerke bei der ICMA?

Ja, das ICMA Future Leaders ist ein weiteres wertvolles Netzwerk, das der jüngeren Generation von Finanzfachleuten zugute kommen soll. Es wird von einem Lenkungsausschuss geleitet, der sich aus Personen zusammensetzt, die sich noch in der Anfangsphase ihrer beruflichen Laufbahn befinden. Sie geben dem Verband Orientierungshilfen und Anregungen, wie die ICMA mit der jungen Generation von Finanzfachleuten kommunizieren kann, und liefern Ideen für Veranstaltungen und Initiativen. In Fortsetzung dieses jugendlichen Themas fördert ICMA die soziale Mobilität durch unser Stipendienprogramm, das wir einem internationalen Publikum von jungen Fachleuten anbieten, deren Lebensumstände es ihnen möglicherweise nicht erlauben, Ausbildungsoptionen zu verfolgen, die sie in ihrer Karriere voranbringen könnten.

Was ist zentral bei all diesen Vorstößen für Sie?

Es ist wichtig, dass wir unsere Botschaft nach außen tragen, und zwar über die von uns durchgeführten Veranstaltungen. Daher streben wir bei all unseren Veranstaltungen und Diskussionsrunden eine größere Vielfalt unter den Rednern an. Wir haben Maßnahmen ergriffen, um Menschen mit Behinderungen, sowohl sichtbare als auch unsichtbare, in Sitzungen zu berücksichtigen. Letztendlich ist die ICMA ein Verband, der die Chancengleichheit der Mitglieder fördert, aber wir wissen, dass wir noch mehr tun können, um aktive Inklusion zu fördern. Wir werden weiterhin mit unseren Mitgliedern und der Branche zusammenarbeiten, um den Wert zu zeigen, den eine vielfältige Belegschaft mit sich bringt.

Herr Hoyer, welchen Stellenwert räumen Sie dem Aspekt Gender, Diversity & Inclusion in den kommenden Jahren an den Finanzmärkten ein? Denn in der Realwirtschaft wird das Thema ja immer höher gewichtet.

In einer Zeit des Fachkräftemangels in nahezu allen Branchen dürfen wir Gender, Diversity und Inklusion nicht nur als moralischen Auftrag sehen: Es ist eine ökonomische Notwendigkeit. Wir können es uns schlichtweg nicht leisten, unser Arbeitskräftepotenzial nicht voll auszuschöpfen, wenn wir unseren Wohlstand auch in Zukunft erhalten wollen. Das gilt sowohl für die Volkswirtschaft als Ganzes, wie auch für uns als Bank. Und natürlich wird das Thema damit auch an Finanzmärkten immer wichtiger.

Erste Gender-Bonds sind ja schon auf dem Markt. Gehen Sie davon aus, dass dieses Marktsegment in den kommenden Jahren ein spürbares Wachstum erfahren wird, und können Sie sich vorstellen, dass auch neue heute vielleicht nicht bekannte Finanzinstrumente hinzukommen werden bis hin zu Public Private Partnerships?

Natürlich wird es auch künftig immer wieder innovative Finanzinstrumente geben. Wir raten aber davon ab, Finanzierungsinstrumente zu sehr auszudifferenzieren. Reine Gender-Bonds, deren Erlöse zu 100 % für Gender-Projekte verwendet werden, sehen wir kritisch. Wir halten es für sinnvoll, Projekte, die zu verschiedenen sozialen Zielen beitragen, in Social Bonds zu bündeln, zum Nutzen aller. Das erhöht die Liquidität und macht diese Bonds attraktiver für Investoren. Das dient damit der Sache am meisten.

Es geht ja nicht nur um Gender, auch wenn wir damit anfangen, sondern auch um Nationen/Sprachen und damit Herkunft, Bildung, körperliche Versehrt- oder Unversehrtheit, Religionen, politische Orientierungen, Bildungs- und Einkommensniveaus und vieles anderes mehr. Bietet der Kapitalmarkt auch dort Möglichkeiten, über Use-of-Proceeds-Bonds, diese Themen über konkrete Projekte und die Finanzierung derselben ganz direkt anzugehen?

Eines sollte uns klar sein: Wir brauchen Diversität in allen Dimensionen des Wirtschaftslebens. Das habe ich bereits in meiner Zeit als Außenpolitiker gelernt, aber noch mehr durch meine Arbeit in einer EU Institution, wie der Europäischen Investitionsbank. Wenn Sie in einer Institution mit 27 anderen Nationalitäten zusammenarbeiten, wird Ihnen das jeden Tag klar. Allein schon aus volkswirtschaftlichen Gründen können wir es uns nicht leisten, das Potenzial der Frauen, also der Hälfte der Bevölkerung, und der LGBTQ+ Community nicht auszuschöpfen. Wie viel Luft nach oben hier noch ist, zeigt sich leider sogar bei den Start-ups in Europa: Zwischen 2011 and 2021 war unter 10 Gründern, die Venture Capital erhielten, nur eine Frau. Auf der Investorenseite war nur einer von sieben weiblich. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in der Klimafinanzierung, in der die EIB einer der weltweit größten Anbieter ist: Überall gehören Frauen zu den Vorreitern im Kampf um den Klimawandel, aber wenn wir sehen, wieviel finanzielle Mittel an von Frauen geführte Unternehmen gehen: Da haben wir noch viel Nachholbedarf. Es geht hier nicht um positive Diskriminierung, sondern darum diejenigen ganz konkret zu unterstützen, die an einer besseren Zukunft für uns alle arbeiten wollen.

Was haben Sie in Sachen Gender Diversity & Inclusion in der EIB ganz konkret an Projekten angestoßen?

Uns geht es darum, dass wir mit all unseren Projekten dazu beitragen, Diversity & Inclusion voranzubringen – und das ganz konkret. Deshalb sprechen wir Diversity-Themen in all unseren Projektverhandlungen offen an und berücksichtigen den Anteil von Frauen an Beschäftigten und im Management der von uns finanzierten Projekte. Das kann aber erst ein Anfang sein und wir müssen uns bewusst sein, dass hier noch ein langer Weg vor uns liegt. Aber wir haben natürlich auch Projekte in unserem Portfolio, deren ganz spezifische Zielsetzung das Thema Gleichstellung ist. Nennenswerte Projekte der EIB sind zum Beispiel unsere Unterstützung von afrikanischen, von Frauen gemanagten, Wasserprojekten, oder für den Green Generation Funds in Deutschland. Dieser, von Frauen geführte Fonds, investiert ausschließlich in nachhaltige Startups, die erhebliche Fortschritte in den Bereichen CO2-Vermeidung, Kreislaufwirtschaft, Klima- und Ressourcenschutz, Gesundheitsförderung und Biodiversität erzielen.

IM INTERVIEW: MANDY DEFILIPPO UND WERNER HOYER

„Wir brauchen Diversität in allen Dimensionen des Wirtschaftslebens“

EIB und ICMA über den Stellenwert von Gender Diversity und Inclusion in der Realwirtschaft und an den Finanzmärkten

Gender Diversity und Inclusion wird für die Realwirtschaft und die Finanzmärkte immer wichtiger. Mandy DeFilippo von der International Capital Market Association (ICMA) und EIB-Präsident Werner Hoyer legen im Interview der Börsen-Zeitung dar, welchen Stellenwert sie dem Thema jetzt und in den kommenden Jahren einräumen. Erste Gender-Bonds sind bereits auf dem Anleihemarkt.

Das Interview führte Kai Johannsen.

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