Frankreich

Macrons schwieriger Spagat

Ungünstige Vorzeichen für Emmanuel Macron: Erklärte Priorität des wiedergewählten Präsidenten ist, die Kaufkraft der Bevölkerung zu schützen. Gleichzeitig muss er die öffentlichen Finanzen im Griff behalten.

Macrons schwieriger Spagat

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Die Vorzeichen könnten unterschiedlicher nicht sein. War der Beginn der ersten Amtszeit von Präsident Emmanuel Macron in Frankreich vor fünf Jahren von Aufbruchstimmung geprägt, tritt er nun unter erschwerten Voraussetzungen an. Der Krieg in der Ukraine belastet nicht nur das Gemüt der Franzosen, sondern auch die Lieferketten und treibt die Inflation. Macron muss nun ein Spagat gelingen, denn er muss versuchen, die Kaufkraft der gespaltenen Bevölkerung zu bewahren und zugleich die öffentlichen Finanzen im Griff zu behalten, das Defizit zu senken und die versprochene Rentenreform anzupacken.

Es sei üblich, dass ein frisch gewählter Präsident den besorgniserregenden wirtschaftlichen Zustand dem Erbe seiner Vorgänger zuschreibe und als Vorwand nutze, Wahlkampfversprechen nicht umzusetzen, meint Bruno Cavalier, der Chefökonom der Privatbank Oddo BHF. Macron kann so nach seiner Wiederwahl zwar nicht argumentieren, doch er kann auf den Ukraine-Krieg verweisen, der das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone ausgebremst hat. Nachdem Frankreichs Bruttoinlandsprodukt 2021 um 7% zugelegt hat, dürfte es in diesem Jahr nur noch rund 3% steigen, schätzt Cavalier.

Die bisherige Wachstumsprognose der Regierung von 4% scheint nicht haltbar. Spätestens im Sommer, wenn der Nachtragshaushalt diskutiert wird, dürfte sie gesenkt werden. Der Internationale Währungsfonds hat bereits auf 2,9% revidiert (siehe Grafik). Alle wirtschaftlichen Akteure beobachten nun gespannt, wie sich die Inflation auf das Verbrauchervertrauen und den Privatkonsum der Haushalte auswirkt, einen traditionell wichtigen Wachstumsmotor der französischen Wirtschaft.

In Frankreich steigen die Verbraucherpreise zwar nicht ganz so stark wie im Rest der Eurozone, trotzdem hat das Thema Priorität. Im März lag die Inflation bei 4,5%, im Durchschnitt der Eurozone bei 7,4%. Mittelfristig könnte sie auch in Frankreich auf 5% steigen, meinen Ökonomen. Da derzeit alles auf einen langen Krieg in der Ukraine hindeutet, dürfte sich die Inflation verfestigen. Das sei das derzeit größte Risiko für die Wirtschaft, meint denn auch der Ökonom Emmanuel Jessua vom Institut Rexecode. Nach dessen Berechnungen könnten die Preisanstiege französische Haushalte in diesem Jahr 30 Mrd. Euro kosten, rund 2% ihres Einkommens und so viel wie seit 40 Jahren nicht. Damit wäre die während Macrons erster Amtszeit verbuchte Steigerung der Kaufkraft auf einen Schlag hinfällig.

Auf erste Maßnahmen wie vorübergehende Erleichterungen beim Benzinpreis dürften bald weitere folgen. Die Kaufkraft – das wichtigste Wahlkampfthema der unterlegenen rechtsextremen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen – dürfte nach Angaben von Regierungssprecher Gabriel Attal eine der ersten Baustellen der neuen Regierung sein. Die Regierung dürfte nicht zuletzt im Hinblick auf die Parlamentswahlen relativ zügig zwei von Macron im Wahlkampf versprochene Maßnahmen umsetzen: die Anpassung der Renten an die Inflation, laut Attal ab Juli, und Hilfen für Arbeitnehmer, die auf ihr Auto angewiesen sind und die unter dem Anstieg der Treibstoffpreise leiden. Die hohen Benzin- und Lebenshaltungskosten waren Ende 2018 einer der Gründe für die Proteste der Gelbwesten, der Gilets Jaunes.

Die Maßnahmen zum Ausgleich steigender Energiepreise haben zusammen mit den Corona-Hilfen und der durch die Pandemie ausgelösten Rezession die Staatsverschuldung während Macrons erster Amtszeit um rund 600 Mrd. Euro steigen lassen. Ende 2021 betrug sie 2,8 Bill. Euro, 112,9% des BIP. Noch zahlt Frankreich sehr niedrige Zinsen, doch die Inflation und mögliche Zinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank könnten das ändern. Damit wäre der haushaltspolitische Handlungsspielraum der künftigen Regierung sehr eingeschränkt. Macron hat versprochen, das Haushaltsdefizit von zuletzt 6,5% unter die nach EU-Regeln vorgegebenen 3% zu senken – allerdings bis 2027.

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