Notiert inFrankfurt

Lieferökonomie durchgespielt

Über einem Supermarkt zu wohnen, erleichtert die alltägliche Versorgung immens. Manche Mieter optimieren den Komfort aber selbst auf den allerletzten Metern. Schließlich bietet der Discounter auch einen Lieferdienst.

Lieferökonomie durchgespielt

Notiert in Frankfurt

Lieferökonomie durchgespielt

Von Lutz Knappmann

Für die Sicherheit der Kunden verläuft die Situation vorbildlich, für die Einhaltung der Kühlkette hingegen ungünstig: Feierabendzeit im Supermarkt, volle Kassenbänder, hungrige Büroheimkehrer. Da löst in der Frankfurter Filiale einer großen Supermarktkette der Feueralarm aus – gefolgt vom eindringlichen Aufruf, das Gebäude zu räumen. Binnen Minuten verlassen die Kunden den Markt. Zurück lassen sie Einkaufswagen und -körbe, prall gefüllt mit frischem Salat und Tiefkühlpizzen. Unwahrscheinlich, dass allzu viele Kunden nach dem Ende des (glücklicherweise harmlosen) Feuerwehreinsatzes ihren Einkauf fortsetzen.

Stattdessen parken vor dem Gebäude da längst die allgegenwärtigen Kleinwagen der örtlichen Lieferdienste. Der Markt liegt im Erdgeschoss eines großen und modernen Wohnkomplexes. Und die Bewohner haben sich ihr bei der Räumung des Discounters zurückgelassenes Abendessen nun eben anderweitig organisiert.

Direkt über einem großen Einkaufszentrum zu wohnen, bringt für die Mieter den charmanten Komfort mit sich, dass sie mit dem gefüllten Einkaufswagen von der Kasse direkt und barrierefrei bis in ihre Küche rollen können. Und gemessen an den zahlreichen, ungefähr hüfthohen Macken an den Wänden in Treppenhaus und Fahrstuhl nutzen sie das gerne aus. Nur eben nicht an diesem Abend. Aber es gibt ja Alternativen.

Schließlich gehören die vielen Dutzend Lieferando-Autos, Amazon-Transporter und Volt-Lastenräder, die sich Tag für Tag vor den Eingängen des Wohnkomplexes stauen, längst zum Alltag der viel beschäftigten Mieter. Bücher und Technik, Kleidung und Spielzeug: Statt einen Gang ins Kaufhaus in ihre eng getakteten Terminkalender zu jonglieren, bestellen sie online, was das Zeug hält. Das Klagelied über die Schattenseiten der Gig-Ökonomie ist so alt wie die Gründung von Amazon.

Ein kleines Detail verblüfft dann allerdings doch: Es ist die Frequenz, in der vor den Treppenhäusern Home-Delivery-Transporter ebenjener Supermarktkette parken, deren Filiale im Erdgeschoss fast rund um die Uhr geöffnet hat. Im Falle von Krankheit oder Handicap vollkommen nachvollziehbar, drängt sich in diesem wohlhabenden Frankfurter Stadtviertel aber doch der Eindruck auf, dass einige Bewohner schlicht das Lieferservice-Game bis zum letzten Level durchspielen. Warum das Gemüse und die Wasserkisten aus dem Erdgeschoss hochschleppen, wenn das auch ein Dienstleister erledigen kann? Dass der die Milchtüte nicht aus dem Kühlregal in Laufweite, sondern aus einem weit entfernten Zentrallager herankarrt, spielt für die Kunden keine Rolle. Selbst wenn sie sich kurz zuvor noch entnervt mit ihren SUVs durch die Kleintransporter-Armada bis in die Tiefgarage durchgeschlängelt haben. Convenience is King. Dumm nur, dass viele Paketdienste ihre Lieferungen für die abwesenden Mieter im Foyer des Treppenhauses abstellen. Und das liegt, Sie ahnen es schon: im Erdgeschoss.