Allianz

US-Behörden verhängen Höchststrafe

Die Behörden der Vereinigten Staaten sind für drastische Strafen bekannt. Die Verbannung der Tochter AGI vom US-Markt schmerzt die Allianz.

US-Behörden verhängen Höchststrafe

Von Michael Flämig, München

In der Ruhe liegt die Kraft: So lassen sich die Reaktionen der Allianz-Aktionäre auf das Schuldeingeständnis der Tochter Allianz Global Investors (AGI) in den USA im Durchschnitt zusammenfassen. Als der Versicherer am Dienstag um 16.36 Uhr den Abschluss der Ermittlungen der US-Behörden meldete, reagierte der Aktienkurs leicht positiv. „Die schnelle Einigung mit den US-Behörden ist ein Erfolg“, erklärte tags darauf Steffen Weyl, Fondsmanager von Union Investment. Auch Analysten wie Michael Huttner von der Privatbank Berenberg stellten heraus, dass eine Last vom Aktienkurs genommen sei.

Die Gelassenheit ist nachvollziehbar. Schließlich reichen die bekannten Allianz-Rückstellungen von 5,8 Mrd. Dollar (umgerechnet 5,6 Mrd. Euro) rund um den Fall der Structured-Alpha-Fonds aus, um die Sache finanziell aus der Welt zu räumen.

Trotzdem birgt die Einigung Sprengkraft. Erstens sind die Milliardenverluste der Fondsfamilie, anders als außerhalb der Allianz und der Ermittler bisher angenommen, keine unglückselige Folge des coronabedingten Marktcrashs im Frühjahr 2020. Vielmehr gehen die US-Behörden von langjährigen kriminellen Machenschaften dreier AGI-Manager aus, die erst die Voraussetzung für das Kollabieren der Fonds schufen. Das Hedging sei riskanter gewesen als gegenüber den Investoren behauptet, so die Staatsanwaltschaft. Außerdem seien teils Kunden-Dokumente gefälscht worden.

Zweitens hält die Staatsanwaltschaft der AGI in den USA zwar zugute, dass vor März 2020 niemand außerhalb des elfköpfigen Structured-Alpha-Teams von dem Fehlverhalten gewusst habe. Sie wirft AGI US aber zugleich vor, dass ihre Kontrollmechanismen nicht so ausgelegt waren, den Betrug der Manager aufzudecken. Konkret: AGI habe nicht überprüft, ob die Risikoabsicherungen so gestaltet waren, wie es den überwiegend institutionellen Kapitalanlegern versprochen wurde.

Die Quittung der US-Behörden: eine Höchststrafe. Schon die finanziellen Folgen sind beträchtlich. Der Löwenanteil der 5,8 Mrd. Dollar vor Steuern entfällt auf die Entschädigung der Investoren in Höhe von 5,05 Mrd. Dollar (siehe Grafik). Sie erhielten zwar die Verluste im Covid-Crash von mehr als 7 Mrd. Dollar nicht komplett ersetzt, weil sie in den Jahren zuvor fette Anlagegewinne eingestrichen hatten. Die Entschädigung liegt aber über jenen 3,2 Mrd. Dollar, die sie laut US-Staatsanwaltschaft ursprünglich investiert hatten.

Hinzu kommen Strafen und Gewinnabschöpfungen der Wertpapieraufsicht SEC (1 Mrd. Dollar) und des US-Justizministeriums (6 Mrd. Dollar). Es gibt zwei Gründe, dass die Allianz nur für den Teilbetrag von 0,8 Mrd. Dollar zusätzliche Rückstellungen bilden musste. Einerseits werden die Entschädigungen für die Investoren von 5,05 Mrd. Dollar angerechnet, die Strafen und Gewinnabschöpfungen werden also um diese Summe reduziert. Andererseits rechnen SEC und Ministerium ihre Strafen teils aufeinander an, um Doppelzahlungen zu vermeiden.

Die eigentliche Höchststrafe trifft die Allianz jedoch an einer anderen Stelle: AGI US muss sich für zehn Jahre aus dem Geschäft mit US-Fonds zurückziehen. Ein verwaltetes Vermögen von 120 Mrd. Dollar geht flöten. Zwar konnte die Allianz eine Brandmauer zu Pimco und Allianz Life errichten, die von dem Verbot nicht betroffen sind. Außerdem werden die AGI-US-Investment­teams und die Assets, sofern die Kunden zustimmen, an Voya Financial übergehen. Doch der Lizenzentzug schmerzt extrem – nicht nur, weil der ehemaligen ING-Tochter ein hervorragender Deal winkt, denn die AGI-Assets bilden bis zu einem Drittel ihres Vermögens, die Allianz erhält aber nur eine Kapitalbeteiligung von bis zu 24%. Wichtiger ist, dass AGI der Zutritt auf dem zentralen Assetmanagement-Markt versperrt ist.

Es lässt sich trefflich spekulieren, warum die US-Aufsichtsbehörden ein so drastisches Urteil gefällt haben. Möglicherweise haben sie ein Exempel statuiert, um alle privat organisierten Gesellschaften zu warnen. Die Botschaft: Ihr mögt weniger reguliert sein, aber bei Fehlverhalten werden wir Euch hart treffen. Die Structured-Fonds-Familie war mit einer derartigen Gesellschafter-Struktur versehen, aber auch die Spacs als Konstruktionen für einen unregulierteren Börsengang dürfen sich angesprochen fühlen.

Klar ist aber auch: Wenn es stimmt, was die Staatsanwaltschaft zusammengetragen hat, stellt sich die Frage nach der Verantwortung der Allianz-Führungsriege. Die 17 Structured-Alpha-Fonds waren keine Randaktivität, sondern lieferten laut Staatsanwaltschaft ein Viertel der Einnahmen von AGI US in den Jahren 2016 bis 2019. Structured-Alpha-Teamchef Gregoire Tournant, den die Ermittler als Kopf des Trios identifiziert haben, erhielt von 2015 bis 2019 am meisten oder zweitmeisten Geld aller bis zu rund 300 Beschäftigten von AGI US. Die hohen Gewinne der Fonds fielen in München auf. Doch die Betrugsmasche wurde nicht entdeckt.

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