Staatsverschuldung

Weniger Geldpolitik, klügere Fiskalpolitik und mehr Wachstum

Notenbankfinanzierte Schulden führen ins Desaster. Wir brauchen konkrete Konzepte von Regierungen, wie sie ihre Schuldenstände senken wollen.

Weniger Geldpolitik, klügere Fiskalpolitik und mehr Wachstum

Noch nie ist die Wirtschaft in so kurzer Zeit auf so breiter Front eingebrochen wie während der Corona-Pandemie. Die darauf folgenden Rettungsprogramme waren ebenso beispiellos. In nur drei Monaten ist das Defizit der Vereinigten Staaten von Amerika stärker gestiegen als in den letzten fünf Rezessionen zusammen. In nur sechs Wochen kaufte die amerikanische­ Notenbank mehr US-Treasuries­ als in den zehn Jahren unter ihren Präsidenten Ben Bernanke und Janet Yellen zusammen.

Das Bild in Europa ist kein anderes. Das PEPP-Programm der Europäischen Zentralbank – das Pandemic Emergency Purchase Programme – wurde zusätzlich zu bereits be­stehenden Programmen aufgelegt, und Christine Lagarde hatte nach 15 Monaten als EZB-Präsidentin bereits mehr Anleihen gekauft als Mario Draghi in seiner gesamten achtjährigen Amtszeit. Mittlerweile deckt die EZB die Corona-Rekorddefizite der Euro-Länder fast vollständig ab. Die Nettokäufe von Staatsanleihen entsprechen seit Beginn der Pandemie ziemlich genau den Netto-Anleiheemissionen der Euro-Länder. Auch in Deutschland wird der Bund innerhalb von drei Jahren deutlich mehr Schulden machen als in den vergangenen 20 Jahren seit der Jahrtausendwende zusammen.

Ja, es war und ist richtig, dass Staat und auch Notenbanken in der Krise entschieden gehandelt haben. Die Last über die Zeit zu strecken, ist wohlbegründet. Nothilfen sind wichtig, aber ein ständiger Stimulus ist das falsche Rezept. Denn ebenso gültig bleibt der Grundsatz: Alles hat seinen Preis. In welcher Form auch immer: Die Rechnung für Corona wird kommen – auch, wenn das im öffentlichen Bewusstsein noch nicht angelangt ist.

Hier scheint gerade etwas in die falsche Richtung zu kippen: Es droht sich auf breiter Front ein neues Verständnis von Schulden und politischer Krisenbekämpfung durchzusetzen. Nicht wer nach dem Vorsichtsprinzip handelt oder darauf verweist, dass jede zusätzliche Milliarde, die der Staat ausgibt, auch anderswo verdient werden muss, verhält sich nach dem neuen Selbstverständnis verantwortungsvoll. Nein, es ist derjenige, der aufhört sich über Schuldenstände Sorgen zu machen, bereitwillig sämtliche Pandemiefolgen abfedert und auch gleich noch für alle künftigen Herausforderungen kräftige öffentliche Investitionen in Aussicht stellt.

Neue Gratismentalität

Dieser neue Geist, dass Schulden keine Probleme bereiten, ja in der Niedrigzinsphase sowieso „gratis“ seien, durchzieht viele Wahlprogramme für die Bundestagswahl im September. Ebenso wird dieser Geist auch zunehmend in Europa stilprägend. Bezeichnend dafür stehen die Worte, mit denen Mario Draghi als italienischer Premierminister seinen Haushaltentwurf kommentierte: „Mit den Augen von gestern beurteilt, wäre eine solch hohe Neuverschuldung sehr beunruhigend. Heute schaut man ganz anders auf die Dinge, weil die Pandemie den Einsatz von Schulden legitimiert.“ Auf knapp 12% wird Italiens Haushaltsdefizit dieses Jahr in die Höhe schießen – und dies, obwohl das Land zusätzlich mehr als 200 Mrd. Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds erhält. Die italienische Schuldenquote steuert auf den Rekordwert von 160% des Bruttoinlandsproduktes zu.

Zur Ehrlichkeit gehört jedoch auch, dass viele Staaten ihre Fiskal- und Geldpolitik in historischem Maß ausgeweitet haben und nicht mehr wissen, wie sie zur Normalität zurückfinden sollen. Die Anleihekaufprogramme des Quantitative Easing waren als Brücke für Reformen gedacht. Sie wurden zur Ausrede, sie gar nicht erst anzupacken. Die EZB hat es schon vor Corona, in einer der längsten Aufschwungphasen der modernen Geschichte nicht ge­schafft, den Zins aus den negativen Zahlen zurück auf null anzuheben. Nach mehr als zehn Jahren expansiver Geldpolitik stellt sich immer lauter die Frage: Ist das wirklich noch Schadensbekämpfung oder längst -verschleppung?

Unterminierte Disziplin

Höhere Zinsen bei steigenden Schuldenständen sind eigentlich das Normalste der Welt und zugleich die beste Schuldenbremse. Doch in der Eurozone können sich Länder, die so hoch verschuldet sind wie nie zuvor, zur günstigsten Rate in der Geschichte refinanzieren. Dieses System demotiviert die Politik, Maß zu halten oder gar zu sparen. Es fördert Verantwortungslosigkeit und leichtsinniges Verhalten. Und trotzdem tun wir weiterhin so, als hätten Nullzinsen und Schulden keine negativen Folgen und würden keinerlei Einschränkungen erfordern. Wir erwecken den Eindruck von Wohlstandsmehrung, ohne dass es dafür notwendig ist, sich heute zu beschränken, um Ersparnisse zu bilden. Der Investor Jim Rogers hat mit Blick auf diese Dynamik gewarnt: „Wenn man eine Sache aus der Geschichte lernen kann, dann, dass die Menschen nicht aus der Geschichte lernen.“ Er hat recht: Schnell wachsende Staatsschulden, die durch Notenbanken finanziert werden, haben noch immer und überall ins Desaster geführt.

Es gibt keine Rückkehr zu einer Form von Normalität, wenn wir uns nicht mit dem Schuldenüberhang befassen. Das heißt sicher nicht, dass wir jetzt in der Krise rigide Sparmaßnahmen durchführen sollten. Aber: Wir brauchen die Einsicht, dass sich die Probleme nicht mit einer immer höheren Dosis der immer gleichen Medizin lösen lassen.

Wir brauchen einen anderen Politik-Mix: weniger Geldpolitik, eine klügere Fiskalpolitik und eine klare Wachstumspolitik, deren Schwerpunkt auf produktivitätssteigernden Reformen liegt. Wir brauchen konkrete Konzepte von Regierungen, wie sie ihre Schuldenstände senken wollen. Und wir müssen uns wieder bewusst machen: Nicht Regierungen und Zentralbanken können verlorenen Wohlstand wiederherstellen, das können nur risikobereite Unternehmer.

Wolfgang Steiger ist Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.